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Kiel
Mit Filteranlagen gegen Dieselfahrverbote

In vielen deutschen Großstädten gibt es bereits Fahrverbote für Dieselautos. Kiel ist bisher nicht betroffen. Damit das so bleibt, haben die Stadt und das Landesumweltministerium einen Plan zur Luftreinhaltung vorgelegt. Vom Tisch sind Fahrverbote damit aber nicht.

Von Johannes Kulms | 13.01.2020
Der Prototyp eines Purevento Stadtluftreinigers steht am 06.02.2019 am Theodor-Heuss-Ring (B76) in Kiel in Sichtweite einer Luftmessstation.
Ein Luftreinigungsgerät soll in Kiel gegen Stickoxide helfen (dpa / picture alliance / Carsten Rehder)
Vor einem knappen Jahr ist Kilian Nicolo umgezogen. Nun wohnt er mit zwei Kumpels am Kieler Theodor-Heuss-Ring. Alle drei Zimmer der Altbau-WG gehen hinaus zur Stadtautobahn:
"Also, Fenster auf ist jetzt im Winter sowieso nicht so drin. Aber im Sommer halt, wenn man Abends mal vor dem Fernseher sitzt, hört man auch immer noch den Lärm und muss die Lautstärke dementsprechend hochdrehen."
Doch der Lärm ist nur ein Problem. Deutlich gesundheitsgefährdender ist die Stickoxid-Belastung auf der wichtigen Ost-West-Achse. In einem Ranking landete Kiel 2018 nach Stuttgart, Darmstadt und München auf dem vierten Platz bei den am meisten mit Stickstoffdioxid belasteten Städten. Doch in der WG von Kilian Nicolo ist das eher selten ein Thema.
"Also, so wichtig ist es jetzt nicht unbedingt. Der Lärm ist halt allgegenwärtig und die Stickoxide, das hört man dann vielleicht in den Nachrichten. Ist natürlich manchmal ein Thema, wenn man das jetzt gerade hört, hier mit der schönen Anlage."
Mit der "schönen Anlage" meint der 28-jährige Student die Messstation, die direkt vor seinem Wohnhaus aufgestellt ist. 60 Mikrogramm Stickstoffdioxid pro Kubikmeter hat die Station noch 2018 gemessen, 2017 waren es sogar 64 Mikrogramm. Der Grenzwert liegt bei 40 Mikrogramm. Fieberhaft suchen die Stadt Kiel und das Schleswig-Holsteinische Umweltministerium schon lange nach Wegen, um diese Werte zu senken.
"Was wirksam ist, das wissen wir alle, ist die selektive Sperrung der 200 Meter Theodor-Heuss-Ring, es geht ja hier nicht um einen großen Bereich oder viele Abschnitte oder die ganze Stadt. Sondern um 200 Meter Theodor-Heuss-Ring, die betroffen sind, das auf diesen 200 Metern ältere Diesel-PKW nicht mehr fahren dürfen. Sondern eine 600-Meter-Umfahrung fahren müssen."
Sagt Schleswig-Holsteins Umweltminister Jan-Philipp-Albrecht. Der Grünen-Politiker weiß ebenso wie Kiels Oberbürgermeister Ulf Kämpfer, dass Fahrverbote aus Sicht der Autofahrer ein sehr saurer Drops wären. Häufig haben sich die beiden politischen Hauptakteure in den letzten Monaten über eine konkrete Lösung gestritten. Damit soll jetzt erstmal Schluss sein. Denn nach langem Warten hat Albrechts Ministerium am 10. Januar den finalen Entwurf zur Fortschreibung des Luftreinhalteplans in Kiel vorgestellt. Grundlage dafür sind die Vorschläge, die das Rathaus geliefert hat.
Drei Maßnahmen sollen Fahrverbote verhindern
Drei Hauptmaßnahmen sollen ein Fahrverbot für ältere Diesel-Fahrzeuge verhindern. Eine davon ist ein noch zu schaffendes Job-Ticket, das mehr Autofahrer zum Umstieg auf den Nahverkehr motivieren soll. Ein Rückgang der Stickstoffdioxidbelastung wird zudem durch eine Baustelle während der kommenden Sommermonate erwartet. Dann wird auf dem Theodor-Heuss-Ring stadteinwärts nur noch eine Spur zur Verfügung stehen.
"Diese Wirkung der Baustelle, die kann man relativ einfach berechnen, weil man weiß, wie viele zehntausende Fahrzeuge dann nur noch durchpassen pro Tag."
Sagt Kiels Oberbürgermeister Ulf Kämpfer. Als drittes gründet der SPD-Politiker seine Zuversicht auf ein Instrument, das von der Deutschen Umwelthilfe noch im vergangenen Sommer als "Micky-Maus-Maßnahme" bezeichnet wurde. An mehreren Stellen entlang des Theodor-Heuss-Rings will die Stadt Luftfilteranlagen aufstellen lassen. Mehrere Firmen haben inzwischen Modelle entwickelt. Welcher Anbieter am Ende zum Zuge kommt, wird eine Ausschreibung zeigen. Fast ein Jahr ist es her, dass eine große Containerähnliche weiße Box für mehrere Tage auf dem Bürgersteig der Stadtautobahn aufgestellt wurde. Hergestellt hat sie ein Unternehmen aus dem schleswig-holsteinischen Trittau. Geschäftsführer Robert Krüger erklärte den Mechanismus so:
Umweltverbände üben Kritik
"Das funktioniert im Grunde genommen ganz einfach. Wir saugen Luft hier in diesen hochfrequentierten und schadstoffüberladenen Bereich ein und führen ihn durch zwei Filterebenen gereinigt wieder nach außen."
Luftfilteranlagen, Jobtickets und eine Baustelle – all das klingt nach Maßnahmen, die den Autofahrern gar nicht weh tun. Doch wird dadurch der Stickstoffdioxidwert wirklich den erlaubten Grenzwert von 40 Mikrogramm je Kubikmeter unterbieten? Ja, sagt Kiels Oberbürgermeister Ulf Kämpfer und verweist darauf, dass schon durch die bisherigen Maßnahmen der Wert von zuletzt 60 auf 49 Mikrogramm gesunken sei. Harsche Kritik kommt dagegen von der Naturschutzorganisation NABU. Der Luftreinhalteplan sei das Papier nicht wert, auf dem er gedruckt sei, die Grenzwerte nur mit Fahrverboten einzuhalten, so der Kieler-NABU-Vorsitzende Hartmut Rudolphi. Die Kieler Industrie- und Handelskammer dagegen jubelt darüber, dass Fahrverbote erstmal vom Tisch sind. Auch Stefan Senf atmet auf. Sein Getränkemarkt liegt etwa 50 Meter entfernt vom Theodor-Heuss-Ring. Als im vergangenen Jahr zeitweilig Zufahrtsstraßen wegen der hohen Schadstoffwerte gesperrt waren, habe er viel Geld verloren und schätzungsweise zehn Prozent weniger Kunden gehabt.
Zufriedenheit bei Unternehmern
"Ich weiß nicht, ob dass die Lösung für den Theodor-Heuss-Ring ist. Aber für uns ist das eine Lösung, wir sind zufrieden, dass das aus dem Luftreinhalteplan rausgenommen wurde und wir hier freie Ein- und Ausfahrt haben für unsere Kunden."
Doch ob die Maßnahmen wirklich wirken, müssen die nächsten Monate zeigen. Endgültig sind Diesel-Fahrverbote noch nicht vom Tisch, das weiß Kiels Oberbürgermeister. Die von ihm versprochene Stärkung des Nahverkehrssystems ist ein langer Weg. Und der Theodor-Heuss-Ring dürfte auch in Zukunft die wichtigste Ost-West-Achse der Stadt bleiben. Am schönsten wäre es natürlich, wenn nicht nur die Diesel-Fahrzeuge, sondern alle Autos hier verschwinden, scherzt Anwohner Kilian Nicolo:
"Aber ich glaube, realistisch gedacht, ist es nicht möglich. Weil klar, es ist ja eine Hauptverkehrsstrecke und dementsprechend viel Verkehr. Also, wäre schon schön, wenn man hier eine 30-erZone vor der Haustür machen würde."