Dienstag, 19. März 2024

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Attenat in Barcelona
Reiseautor: Die Ramblas waren "ein Raum der Lebensart"

Mindestens 14 Menschen verloren bei dem Terroranschlag auf der Pracht-Promenade von Barcelona ihr Leben. Jene, die die Tat geplant und vollzogen hätten, wussten offenbar, dass man auf den Ramblas nicht nur Einheimische, sondern Menschen aus aller Welt treffen würde, sagte der Reisebuchautor Helmuth Bischoff im Dlf.

Helmuth Bischoff im Gespräch mit Michael Köhler | 18.08.2017
    Zahlreiche Menschen gehen am 18.08.2017 über die Flaniermeile Las Ramblas in Barcelona (Spanien). Auf der Straße war Tags zuvor ein Lieferwagen in eine Menschenmenge gefahren. Bei dem Terroranschlag auf der Promenade wurden am Donnerstag mehrere Menschen getötet und viele verletzt. Foto: Matthias Balk/dpa | Verwendung weltweit
    Bis zu dem Terroranschlag waren die Ramblas, Barcelonas Pracht-Promenade eine Flaniermeile und ein Ort der Begegnung für Einheimische und Touristen. (dpa/Matthias Balk)
    Michael Köhler: Zunächst aber zu unserem ersten Thema, den schrecklichen terroristischen Attentaten mit Transportern in Spanien. Das in Barcelona hat gestern etwa um diese Zeit stattgefunden. Insgesamt sind nach Angaben der spanischen Rettungskräfte 14 Menschen getötet und 130 Menschen verletzt worden. 17 von ihnen schweben noch in Lebensgefahr. Die Opfer stammen aus 37 Staaten.
    Politiker reagieren mit solchen Sätzen, ich zitiere Berlins Regierenden Bürgermeister: "Wir lassen uns in ganz Europa nicht die Freiheit unserer Lebensart nehmen." Dabei steht doch der Anschlags-Ort genau für das: Die Freiheit unserer Lebensart. Über die Flaniermeile Ramblas konnte ich kurz vor der Sendung mit Helmut Bischoff sprechen, er ist Autor mehrerer Bücher über Barcelona.
    Ich habe Helmuth Bischoff gefragt: Eine mehr als einen Kilometer lange Allee im Gotischen Viertel Barcelonas - warum geht man als Passant auf diese Pracht-Promenade?
    Helmuth Bischoff: Ja, weil sie einen ganz, ganz tollen Beruf hat, und das nicht erst seit gestern. Man muss dazu erwähnen, dass dieser Beruf nicht mehr ganz hält, was er verspricht. Die Ramblas waren Mitte 19. Jahrhundert, als sich das Bürgertum gründete, von vornherein ein Flanierweg. Es gibt auch ein spanisches Verb, das ramblear heißt, also flanieren, nicht nur gehen, sondern auch bleiben. An den Ramblas gibt es ein großes Opernhaus und andere schöne Kulturgebäude, und von daher, die Geschichte ist sehr, sehr attraktiv, der Weg ist sehr, sehr schön. Allerdings muss man auch sagen, dass mit dem Anstieg des Massentourismus diese Straße auch überflutet wird, im wahrsten Sinne des Wortes, denn wenn zu Sommerzeiten ein Kreuzfahrtschiff im nahen Hafen anlegt, dann gehen da 5.000 Leute von Bord, und die werden praktisch auf die Ramblas ausgespuckt, gehen da entlang, und dann kommen die vom Hafen nach oben und von der Plaça Catalunya nach unten, und die Ramblas bieten eigentlich gar keinen Platz mehr, sich lange hinzusetzen. Es ist also beides.
    "Schrecklicherweise genau der richtige Ort"
    Köhler: Wenn es den Terroristen, Herr Bischoff, nur darum ging, möglichst viele Menschen zu treffen, dann waren die Ramblas der richtige Ort in der katalanischen Millionenstadt?
    Bischoff: Dann waren die schrecklicherweise genau der richtige Ort. Es ist ein Ort zum Bleiben, man findet viele, zum Beispiel Fans des FC Barcelona, die im oberen Teil der Ramblas sich fast allabendlich treffen, um zu palavern, um das Spiel ihres Clubs zu kommentieren – das sind ältere Leute, das sind jüngere Leute, die sitzen da oder stehen da und gestikulieren und erzählen –, und es gibt den Massentourismus. Und beides zusammen ist halt eine wahnsinnig große Zahl an Menschen, die sich da aufhält.
    Hinzu kommt noch, muss man auch sagen, die Freundlichkeit, also eigentlich die Spaziergeher-Freundlichkeit dieses Weges, der links und rechts der Straße – deswegen konnte das Auto ja auch drauffahren –, drückt sich ja auch darin aus, dass die Trottoirs, die Bürgersteige sehr niedrig gehalten sind, jeder ältere Mensch mit einem Rollator kommt da gut drauf. Natürlich war es dann auch sehr leicht für dieses Lieferfahrzeug, da draufzufahren, ohne dass es gekracht und gescheppert hat.
    Köhler: Für was steht das für Sie, dieses Gefühl des Flanierens? Der Dichter García Lorca hat darüber ja auch schon geschrieben, das gehört dazu, das prägt die Menschen.
    Bischoff: Ja, was für mich dazugehört, ist das Wort Beschaulichkeit. Ich würde sagen, die Ramblas waren – und wenn es früh am Morgen ist, findet man die Stimmung auch immer noch – so was wie das Wohnzimmer Barcelonas, ein Wohnzimmer ohne Dach, zu dem man hingegangen ist, bei dem man sich getroffen hat, bei dem man geredet hat. Da war man einkaufen, aber nicht weil das jetzt eine Shoppingmeile wäre, sondern weil der Markt in der Nähe ist und vielleicht das ein oder andere kleine Geschäft. Also es war ein Raum der Lebensart.
    "Ich kenne die Ramblas auch als Ort, der wirklich beschaulich war"
    Köhler: Aber da sind Sie jetzt wieder in der Vergangenheit. Wenn wir jetzt hören, Menschen sind getroffen worden, verletzt, aus 34 Ländern, dann steht das auch für die globalisierte Welt.
    Bischoff: Ja, richtig. Ich meine, die Menschen, die den Anschlag geplant und vollzogen haben, die wussten wohl, dass man da nicht allein nur Spanien trifft oder Barcelona oder die Menschen aus Barcelona, die da leben, sondern dass man da Europa trifft oder auch die ganze Welt trifft. Und wenn ich in der Vergangenheit spreche, dann ist es immer so ein bisschen mit einem weinenden Auge, weil ich kenne Barcelona – da fahre ich seit über 30 Jahren hin durch meine Bücherschreiberei, und ich kenne die Ramblas auch als Ort, der wirklich beschaulich war und leider Gottes und geschuldet dem Massentourismus nicht mehr oft so beschaulich ist und sich zeigt. Aber wie gesagt, die vielen, vielen Menschen, die da sind und die sich darüber wälzen, waren vielleicht auch der Anlass, dass man gesagt hat, da trifft man auf jeden Fall welche.
    Köhler: Sagt Helmuth Bischoff über den Ramblas-Terroranschlag von gestern Nachmittag. Er ist Autor mehrerer Barcelona-Reisebücher.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.