Dienstag, 19. März 2024

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Attentat in London
"Briten werden vereint aus diesem dunklen Ereignis hervorgehen"

Die Labour-Abgeordnete Mary Creagh rettete am Tag des Attentats in London mutmaßlich unzähligen Menschen Gesundheit und Leben: Sie hatte das Sicherheitspersonal aufgefordert, die U-Bahn-Station in der Nähe des britischen Parlaments zu schließen. Die Briten würden sich nicht spalten lassen und stärker aus diesem Ereignis hervorgehen, sagte Creagh im DLF.

Mary Creagh im Gespräch mit Christoph Heinemann | 24.03.2017
    Am Trafalgar Square in London gedenkt man der Toten des Terroranschlags vom 23.3.2017.|
    Am Trafalgar Square in London gedenkt man der Toten des Terroranschlags vom 23.3.2017. (dpa / MAXPPP)
    Christoph Heinemann: Mary Creagh ist Abgeordnete der Labour Partei im britischen Parlament. Und sie ist laut Twitter eine Heldin, denn sie hat kurz entschlossen dafür gesorgt, dass am Mittwoch die U-Bahn Station Westminster geschlossen wurde. Andernfalls wären viele Fahrgäste dem Attentäter in die Arme gelaufen.
    Sie haben veranlasst, dass die U-Bahn Station Westminster geschlossen wurde. Wussten Sie genau, was sich draußen abspielte, wie war die Situation?"
    Mary Creagh: Nein, wir hatten keine genaue Vorstellung, was da los war. Jemand hatte mir gesagt, dass Schüsse im Parlament gefallen seien, und dass alles so schnell wie möglich evakuiert werden müsse, wir also hinaus müssten. Und so rannten wir alle zu den Ausgängen zur Westminster U-Bahn Station. Und ich war geschockt, als ich dort ankam. Da rannten Leute mit ihren Kindern herum und ich dachte nur, 'Wir müssen diese Leute in Sicherheit bringen und sie nicht in diese schreckliche, gefährliche, diese gewaltsame und möglicherweise tödliche Gefahr laufen lassen.'
    Ich wusste, dass es dort einen Kontrollraum gibt. Und ich wusste auch, dass das Personal sehr gut ausgebildet ist, um die notwendigen Maßnahmen durchzuführen. Ich ging also zu dem Kontrollraum, schlug an die Tür und rief 'Lasst mich rein, lasst mich rein, es gibt einen Terroranschlag im Parlament. Wir müssen die Station so schnell wie möglich schließen und alle Leute dort raus bekommen. Und zieht Warnwesten an.' Sie nahmen mich natürlich sofort ernst."
    "Ein Tag, wie ihn unser Parlament noch nie erlebt hatte"
    Heinemann: Das waren also beängstigende Augenblicke.
    Mary Creagh: "Es war sehr beängstigend. Normalerweise ist das Parlament sehr gut abgesichert. Es ist ein sehr ruhiger Ort, die Leute sind sehr freundlich und fröhlich dort.
    Catering- und Sicherheitspersonal, Parlamentsabgeordnete, Wissenschaftler und Journalisten - alle rannten aus dem Gebäude. Es war eine sehr furchterregende Situation, in der wir uns befanden. Ich wusste, dass es für meine Kollegen schrecklich war, die sich noch in dem Gebäude befanden. Sie mussten ihre Büros Stockwerk für Stockwerk räumen. Es war ein Tag, wie ihn unser Parlament noch nie erlebt hatte".
    Heinemann: Wann hat man Ihnen Bescheid gegeben, dass die unmittelbare Gefahr vorüber sei?
    Creagh: Wir gingen zum Gebäude von New Scotland Yard, das nur zwei Häuser entfernt liegt, dem Polizei-Hauptquartier von London. Die Eröffnung fand im letzten November statt, und es sollte am Donnerstag von der Queen noch einmal feierlich eingeweiht werden. Wir gingen zu New Scotland Yard. Wir trafen andere Leute, die über die Brücke kamen und gesehen hatten, was passiert war. Und erst dann begriffen wir, dass es ein viel, viel ernsterer Anschlag war, als wir zuerst gedacht hatten. Und wir hörten auch die tragische Nachricht, dass ein Polizist verletzt worden war. Unsere Gedanken und Gebete sind bei dem Polizist Keith Palmer, der sein Leben für unsere Sicherheit im Parlament gegeben hat.
    Umgang mit Verdächtigen müsse geprüft werden
    Heinemann: Die britische Premierministerin sagte heute, dass der Attentäter ein gebürtiger Brite sei, und dass gegen ihn im Zusammenhang mit gewalttätigem Extremismus ermittelt wurde. Glauben Sie, dass die Ermittler die Gefahr unterschätzt haben?
    Creagh: Mit der Zeit werden die Lehren aus diesem Vorfall ist gezogen werden. Es wird natürlich eine umfassende Überprüfung geben, sowohl zum Umgang mit dem Vorfall, als auch zum Umgang mit Verdächtigen. Aber ich möchte mich nicht auf den Charakter der Personen konzentrieren, die solche schlimmen Dinge tun, sondern auf das schöne Leben, die lieben Kinder, die ihr Spielzeug herbringen, die Leute, die auf dem Weg zu ihrer Hochzeit waren, die Kinder, die ihre Mutter verloren haben - das sind die Menschen, bei denen unsere Gedanken sein sollten. Es ist jetzt noch viel zu früh für uns, um irgendeine Analyse zu diesem Zeitpunkt zu machen."
    "Wenn wir uns spalten lassen, dann haben sie gewonnen"
    Heinemann: Besteht jetzt das Risiko, dass gewisse Bevölkerungsgruppen im Vereinigten Königreich wegen der Ereignisse am Mittwoch beschuldigt werden?
    Creagh: Ich habe heute Morgen mit meinem Polizeiinspektor in Wakefield gesprochen. Er wird sein Personal entsprechend aufstocken, mit mehr Kontrollen und Wachsamkeit in unserem Stadtzentrum. Und ich sehe, dass es schon viel mehr Polizeipräsenz als sonst üblich in U-Bahn-Stationen und Bahnhöfen in London gibt. Aber die Sicherheitsempfehlungen sind die gleichen geblieben. Die Sicherheitsvorkehrungen sind aufgrund dieses Anschlags nicht hochgesetzt worden. Die Terroristen versuchen uns zu spalten. Wenn wir uns spalten lassen, dann haben sie gewonnen. Genauso wie nach den Terroranschlägen auf die U-Bahn im Jahr 2005 werden Londoner und Briten stärker und vereinter aus diesem dunklen Ereignis hervorgehen."
    "Wir wollen eine lebhafte und offene Demokratie bleiben"
    Heinemann: Wie lässt sich sicherstellen, dass 1. das britische Parlament so bleibt wie es ist, ein offenes Parlament, und dass 2. Abgeordnete wie Sie in Sicherheit arbeiten können?
    Creagh: Parlamentsabgeordnete arbeiten unter immensen Sicherheitsvorkehrungen, die stets auf den neuesten Stand gebracht werden seit dem furchtbaren Mord an meiner Freundin Jo Cox im Juni, im letzten Sommer vor dem Referendum. Wir bekommen umfangreiche Sicherheitstraining, viel Beratung. In den in den letzten 12 Jahren hat das Parlament riesige Sicherheits-Verstärkungen erhalten wie z.B. Betonklötze rings um das Gebäude, um genau solche Anschläge zu verhindern. Man kann aber nicht allen Menschen zu jeder Zeit Sicherheit garantieren. Wir wollen eine lebhafte, nach außen gerichtete Demokratie bleiben, offen für unsere Wähler, offen für Menschen aus der ganzen Welt, die zur "Mutter" der Parlamente kommen, um unsere universellen Werte, die Menschenrechte, die freie Rede und die Rechtstaatlichkeit mit uns zu feiern. Wir können uns nicht komplett von der Welt draußen abschotten. Wir müssen gewährleisten, dass alle 2.000 Menschen, die täglich in diesem Gebäude arbeiten, dies auch in größtmöglicher Sicherheit tun können. Genau das ist es, woran die Sicherheitskräfte und die Polizei arbeiten."
    EU-Zusammenarbeit im Kampf gegen den Terrorismus müsse weiter bestehen
    Heinemann: Polizeibehörden benötigen Informationen. Die EU-Innenminister treffen sich oft und tauschen sich aus – wie sollte diese Zusammenarbeit Ihrer Meinung nach dem Brexit organsiert werden?
    Creagh: Es gibt noch eine Menge Themen, über die nachgedacht werden muss in den Monaten und Jahren, die vor uns liegen beim Aushandeln unseres Austritts aus der EU. Aber es ist wichtig, dass wir nach vorne schauen, dass die Zusammenarbeit im Kampf gegen den Terrorismus, gegen schwere und organisierte Verbrechen weiter besteht. Ich glaube, dass dies Priorität bei den Verhandlungen der Premierministerin und ihres Teams haben wird, und auch für unsre europäischen Kollegen, um dies voran zu bringen.