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Atypische Beschäftigungsverhältnisse
"Der Minijob ist unattraktiv geworden"

Die Lage bei den sogenannten atypischen Arbeitsverhältnissen in Deutschland habe sich nicht zugespitzt, sagte Karl Brenke, wissenschaftlicher Referent beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung, im DLF. Im Gegenteil gebe es vor allem bei Minijobs eine Stagnation, seit Herbst sogar einen Rückgang. Das habe mit dem Mindestlohn zu tun.

Karl Brenke im Gespräch mit Sandra Pfister | 21.04.2015
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    Minijobs wie Zeitungsaustragen gehören auch zu den atypischen Beschäftigungen. (dpa / picture alliance / Fredrik Von Erichsen)
    Sandra Pfister: Es gibt immer weniger "normale" Arbeitsverhältnisse und immer mehr "unnormale". So heißen sie natürlich nicht, "unnormal", sondern sie heißen atypische Beschäftigungsverhältnisse. Dass es davon immer mehr gibt, das hat vergangene Woche das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut der Hans-Böckler-Stiftung bereits veröffentlicht. Demnach arbeitet etwa ein Drittel der deutschen Beschäftigten in atypischen Arbeitsverhältnissen. Die Fraktion der Linken im Bundestag fand das alarmierend, und sie hat beim Bundesarbeitsministerium nachgefragt. Das hat jetzt zwar deutlich weniger atypische Beschäftigung konstatiert, aber der Trend ist eindeutig: In den Neunzigern gab es noch deutlich mehr reguläre Vollzeitstellen. Hört sich erst mal nicht gut an, dass es davon jetzt weniger gibt. Karl Brenke hilft uns jetzt, das einzuordnen. Er ist wissenschaftlicher Referent beim DIW, dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung. Herr Brenke, was ist das eigentlich, atypische Beschäftigung?
    Karl Brenke: Also ich hab mit dem Begriff auch meine Schwierigkeiten. Man fasst darunter bestimmte Beschäftigungsverhältnisse zusammen: Zum einen sind es Minijobs, daneben sind es dann Leiharbeitsverhältnisse, dann sind es Arbeitsverhältnisse, die befristet sind, das heißt, man hat keinen festen Arbeitsvertrag erst einmal, und dann gibt es auch noch Teilzeitbeschäftigte außerhalb der Minijobs.
    "Bei dem Mindestlohn funktioniert das Modell nicht mehr"
    Pfister: Bleiben wir vielleicht mal gerade bei den Minijobs - die gelten ja so als Falle für Frauen, die damit keine Rentenansprüche erwirtschaften. Hat sich da die Lage dramatisch zugespitzt?
    Brenke: Nein, die hat sich überhaupt nicht zugespitzt. Wir hatten einen Anstieg der Minijobs gleich nach der Reform, und dann haben wir eigentlich seit Jahren eine Stagnation. Und was man jetzt aktuell beobachten kann: Seit Herbst ist die Zahl der Minijobs zurückgegangen. Das hängt meines Erachtens eindeutig mit dem Mindestlohn zusammen, weil bei dem Mindestlohn funktioniert das alte Modell nicht mehr, was die Minijobs für Arbeitgeber attraktiv machte. Früher konnte der Arbeitgeber sagen, ich biete einen geringen Lohn und der Arbeitnehmer wird es schon akzeptieren, weil für den ja brutto für netto gilt, das heißt, der Arbeitnehmer muss ja keine Sozialabgaben und Steuern bezahlen. Jetzt ist es so, der Mindestlohn schreibt 8,50 Euro vor, egal ob brutto oder netto, von daher ist er jetzt unattraktiv geworden, der Minijob, und es werden weniger. Und ich glaube, das wird sich auch in Zukunft so fortsetzen, dass die Minijobs mehr und mehr austrocknen.
    Pfister: Also da haben wir aber eine gegenläufige Entwicklung, die ist aber vielleicht jetzt noch von den Studien nicht erfasst worden.
    Brenke: Die ist wahrscheinlich von den Studien noch nicht erfasst, aber hier zeigt sich eine gegenläufige Entwicklung. Es gibt aber auch all die anderen Bereiche, wo sich gegenläufige Entwicklungen zeigen, von daher sind die Studienergebnisse, zumindest so, wie sie präsentiert worden sind, ein bisschen mit einem gewissen Alarmismus unterlegt. Nehmen wir mal die Leiharbeit. Bei der Leiharbeit hatten auch gleich nach der Reform 2004 einen starken Anstieg. Wir hatten dann den Höhepunkt erreicht bei der Leiharbeit 2011, und jetzt auf einem hohen Niveau bröckelt es hier aber auch - von etwa 900.000 auf jetzt 850.000.
    Pfister: Wie sieht es bei den befristeten Arbeitsverhältnissen aus, ist das vielleicht die Baustelle?
    Brenke: Da sieht genauso aus, da haben wir nämlich auch den Trend, und den haben wir schon seit dem Jahr 2010, dass das deutlich weniger geworden ist. Damals hatten wir, 2010, über fünf Millionen, jetzt sind wir auf 4,6 Millionen runter. Was man allein an Zunahme sehen kann, ist die Teilzeitbeschäftigung generell. Hier haben wir immer noch Zuwächse, allerdings ist das Tempo dieser Zuwächse auch deutlich geringer geworden. Starke Zuwächse hatten wir vor allen Dingen Mitte der letzten Dekade, jetzt ist es nicht mehr ganz so stark. Und was man vor allen Dingen feststellen kann, der Anteil derjenigen Arbeitnehmer, die einen Teilzeitjob machen, weil sie keine Vollzeitstelle finden, ist in den letzten Jahren stark zurückgegangen - von 2008, da hatten wir noch 22 Prozent, auf jetzt etwa 14 Prozent. Das heißt, unfreiwillig Teilzeitbeschäftigte sind weniger geworden - 2,2 Millionen waren es mal, jetzt haben 1,5 Millionen von knapp elf Millionen Teilzeitbeschäftigten.
    "Man sollte nicht die Teilzeitarbeit auch verteufeln"
    Pfister: Okay, das war nämlich immer ein starkes Argument in der Debatte, dass viele Menschen in Deutschland nur deswegen in Teilzeit arbeiten, weil sie keine Vollzeitstelle finden, und das ist rückläufig.
    Brenke: Das ist ganz deutlich eindeutig rückläufig, und es spiegelt natürlich auch im Grunde genommen die Interessen vieler Arbeitnehmer wider, nicht zuletzt der Frauen, aber wir können es auch bei den Männern mehr und mehr feststellen, dass die Teilzeitquote, das heißt, der Anteil der Beschäftigten mit einem Teilzeitjob zunimmt. Man will offensichtlich auch keinen Vollzeitjob, beispielsweise um Beruf und Familie besser in Einklang zu bringen. Also von daher sollte man jetzt nicht die Teilzeitarbeit auch verteufeln und sie gleich als atypische Beschäftigung abtun.
    Pfister: Das heißt, Herr Brenke, wenn die Linke sagt, es ist eine Milchmädchenrechnung zu sagen, es gibt weniger Jobs, nur weil das in der Arbeitslosenstatistik so auftaucht, dann stimmt das in gewisser Weise, weil sich einfach mehr Leute den gleichen Job teilen - das ist ja die Arbeitshypothese -, aber sie tun es oft freiwillig.
    Brenke: Sie tun es erstens freiwillig, und zweitens muss man gucken, welchen Zeitvergleich man macht. Die Linkspartei hat ja einen Zeitvergleich von Anfang der 90er-Jahre bis heute gemacht. Anfang der 90er-Jahre haben wir ja noch das große Problem mit dem Umbruch in der DDR, da sind Arbeitsplätze massenhaft verloren gegangen, von denen manch einer nicht wiederkam. Wenn ich mir aber die Entwicklung der letzten Jahre ansehe, dann haben wir auch bei der Arbeitszeit, gesamtwirtschaftlich gesehen, aufgebaut. Auch von daher ist mehr Beschäftigung entstanden. Und auf der anderen Seite, jede Beschäftigung wurde mehr und mehr aufgeteilt, indem eben der Anteil der Menschen, die einen Teilzeitjob machen, zugenommen hat, und der Anteil der Menschen, die einen Teilzeitjob machen, da kann man feststellen, es ist ein größerer Teil geworden, der es freiwillig macht.
    Pfister: Karl Brenke war das, wissenschaftlicher Referent beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung, zu den neuesten Ergebnissen zur atypischen Beschäftigung. Danke Ihnen herzlich, Herr Brenke!
    Brenke: Ja, bitte!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.