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Aubers "Le Domino noir"
Opernrarität mit Witz in Lüttich

Im Paris des 19. Jahrhunderts war die komische Oper "Le Domino noir" von Daniel-François-Esprit Auber ein Kassenschlager. Dann geriet sie lange in Vergessenheit. Die Königliche Oper der Wallonie in Lüttich hat sie nun ausgegraben und zeigt wie leichtfüßig Aubers Musik ist.

Von Bjørn Woll | 26.02.2018
    Der französische Komponist Daniel-François-Esprit Auber (1782 - 1871)
    Der französische Komponist Daniel-François-Esprit Auber (1782 - 1871) (picture alliance / dpa)
    Um es gleich vorweg zusagen: Es war ein äußerst kurzweiliger Abend am Opernhaus von Lüttich. Und das ist bei einer französischen Opera comique, die zu großen Teilen aus reinen Dialogen besteht, keine Selbstverständlichkeit.
    Gleich zur Ouvertüre schlich sich ein Pantomime im roten Morphsuit auf die Bühne, der optisch mit dem Bühnenvorhang verschmolz und die menschgewordenen Dominosteine davor foppte. Es war der erste aus einer schier unüberschaubaren Fülle an kreativen Einfällen und schrillen Gags, die das Regie-Duo Valérie Lesort und Christian Hecq hier abbrannte. Und so wurde viel gelacht an diesem Abend: im Publikum – aber auch auf der Bühne.
    Schon die Literaturvorlage sprüht vor Witz
    Das Spiel beginnt im Ballsaal des spanischen Königs in Madrid. Die Novizin Angèle möchte sich mit ihrer Vertrauten Brigitte noch einmal amüsieren, bevor sie am nächsten Tag ihr Gelübde ablegt. Doch auf dem Ball trifft sie den jungen Adeligen Horace, der sich bereits vor einem Jahr unsterblich in sie verliebt hat. Es entwickelt sich eine rasante Aschenputtel-Story mit allerhand Verwechslungen, deren Handlungsknoten erst drei Akte später in einem Happy End aufgelöst wird.
    Schon die literarische Vorlage von Aubers Lieblings-Librettisten Eugène Scribe sprüht über vor satirischem Witz. Und den hat das Regie-Duo Valérie Lesort und Christian Hecq dankbar aufgenommen. Da ist zum Beispiel der gekonnte "Vorspuleffekt", während die überdimensionierte Uhr auf der Bühne umgestellt wird, das zum Leben erwachende Spanferkel, das kurzerhand in die Arie miteinstimmt, und nicht zuletzt die fantasievollen und trickreichen Kostüme von Vanessa Sannino. Man traut sich kaum auf die Übertitel zu schauen, um ja nichts vom Bühnengeschehen zu verpassen.
    Das alles ist Unterhaltungstheater vom Feinsten, vor allem, weil das handwerklich so gut gemacht ist: Der Grat zwischen Kunst und Klamauk ist ein schmaler, doch Valérie Lesort und Christian Hecq wandeln beeindruckend sicher auf ihm. Auch weil sie die Pointen des Librettos so zielsicher auf den Punkt bringen.
    Gute Geschichte, leichtfüßige Musik
    Es gibt sicher Regisseure, die dem Werk einen Beitrag zur #metoo-Debatte abgerungen hätten. Immerhin wird hier reichlich gegrapscht, sowohl auf dem Ball im ersten Akt als auch beim folgenden Abendessen des Grafen Juliano mit seinen angeheiterten Kumpanen. In Lüttich besinnt man sich jedoch eher auf die Tugend des Geschichtenerzählens.
    Das passt auch wunderbar zur Linie des Intendanten Stefano Mazzonis di Pralafera, der kein Fan radikaler Regie-Experimente ist. Er setzt eher auf eine gekonnte Mischung aus bekanntem und unbekanntem Repertoire in gemäßigt modernen Inszenierungen. Unter seiner Ägide wurde am Lütticher Opernhaus schon so manche Opern-Rarität auf die Bühne gestellt und revitalisiert. So waren hier in den letzten Jahren bereits Verdis Jugendwerk "Jérusalem", "Il Segreto di Susanna" von Wolf-Ferrari als auch "Stradella" von César Franck zu erleben.
    Und die Begegnung lohnt auch im Fall von "Le domino noir", für den Auber etliche reizvolle Nummern geschrieben hat. Leichtfüßig ist diese Musik, voller Eleganz und ohne allzu viel Tiefgang. Gefällig könnte man auch sagen, im allerbesten Wortsinn. Und immer wieder erweist sich Auber als genuiner Melodiker, wie im Terzett des ersten Aktes.
    Enorme Spielfreude und gekonnt platzierte Gags
    Die sparsam eingesetzten Musiknummern sind bei Dirigent Patrick Davin in den allerbesten Händen. Dezent und mit viel Feingefühl lässt er seine Musiker spielen und trägt die Sänger dabei auf Händen. Eine insgesamt hervorragende Leistung bei einer Oper, in der die richtige Tempoabstimmung durchaus knifflig ist.
    Nur ganz selten einmal stimmt die Abstimmung zwischen Graben und Bühne nicht, doch das fällt kaum ins Gewicht. Auch weil alle Beteiligten eine bemerkenswert geschlossene Ensemble-Leistung zeigen, selbst in den langen Dialogpassagen. Was sonst oft sperrig daherkommt, gelingt hier erstaunlich mitreißend, Dank der enormen Spielfreude der Darsteller.
    Hervorzuheben sind hier vor allem Marie Lenormand als Haushälterin Jacinthe und Laurent Montel als Lord Elfort. Die sind zwar nicht die allerbesten Sänger, dafür aber Komödianten durch und durch, und avancieren über den Abend zu wahren Publikumslieblingen, die mit reichlich Szenenapplaus bedacht werden.
    Für die vokalen Höhepunkte sorgt Cyrille Dubois als Horace mit viel lyrischem Tenorschmelz; vor allem aber die Sopranistin Anne-Catherine Gillet in der Titelrolle. Die muss gleich in zwei Bravour-Nummern bestehen: im Rondo des zweiten sowie der großen Arie im dritten Akt. Hier verlangt Auber doch einige Koloraturgeläufigkeit von seiner Interpretin, die lediglich sparsam vom Orchester gestützt wird.
    Überraschend bis zum Schluss
    Zu den Höhepunkten der Oper gehören außerdem die Akt-Finali, für die Aubert äußerst effektvolle Musik geschrieben hat. Sie zählen zu den interessantesten und architektonisch am besten gebauten Stücken seiner Opern. In ihnen zeigt sich die ganze Meisterschaft des Komponisten, der sein Handwerksszeug eben auch in der französischen Grand Opéra gelernt hat. Der Farbenrausch der Musik und der auf der Bühne gehen in Lüttich dabei Hand in Hand.
    Und wer am Anfang Bedenken hatte, dass sich die Wirkungsmacht der Witze im Laufe der Aufführung abnutzt, wurde eines besseren belehrt: Dem Regie-Team gelang es bis zum Schluss, den Zuschauer immer wieder zu überraschen und mit gekonnt platzierten Gags zum Lachen zu bringen. Am Ende gab's begeisterten Applaus: für die Sänger – und die Regie.