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"Auch beim Verfassungsschutz sitzen Vollprofis"

Einen "fürchterlichen Verdacht" nennt Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) die Mutmaßung, dass in Deutschland eine Komplizenschaft zwischen Verfassungsschutz und Rechtsextremismus bestehen könnte. Dafür gebe es keinerlei Anhaltspunkte.

Hans-Peter Friedrich im Gespräch mit Christoph Heinemann | 18.11.2011
    Christoph Heinemann: "Ein Türke wurde erschossen, und dann noch ein Türke, und noch ein Türke, und noch ein Türke, dann noch drei weitere, und ein Grieche, der vielleicht auch für einen Türken gehalten wurde." So beginnt ein Artikel in der Wochenzeitung Die Zeit. Erschreckt und empört haben viele Menschen in dieser Woche zur Kenntnis nehmen müssen, dass eine rechtsextremistische Terrorgruppe mindestens zehn Mitbürger tötete und ein Dutzend Banken ausrauben konnte, ohne dass die zuständigen Behörden auf die Idee gekommen wären, eins plus eins plus eins plus drei plus eins und so weiter zusammenzuzählen. Der Bundesinnenminister und die Justizressortchefin haben ihre Kolleginnen und Kollegen aus den Ländern und die Chefs der Sicherheitsbehörden aus Bund und Ländern für heute nach Berlin eingeladen. Sabine Leutheusser-Schnarrenberger fordert einen Umbau des Verfassungsschutzes, statt 16 Landesämter könne man über drei oder vier nachdenken. So die Bundesjustizministerin heute in der Süddeutschen Zeitung. Vor dieser Sendung habe ich Hans-Peter Friedrich (CSU) gefragt, aufgrund welcher Erkenntnisse man denn heute schon Verabredungen für die Zukunft treffen kann.

    Hans-Peter Friedrich: Na ja, wir wollen zunächst mal heute darüber reden, was ist denn der bisherige Ermittlungsstand. Das wird sehr wichtig sein, sowohl vom Generalbundesanwalt etwas zu hören, als auch von den Kollegen aus Thüringen. Aber was sich, glaube ich, jetzt schon sagen lässt, ist, dass es wohl Defizite in der Abstimmung gegeben hat zwischen Verfassungsschutz und Polizei in Thüringen, aber auch dann grenzüberschreitend nach Sachsen. Das heißt, wir müssen darüber nachdenken, wie wir die Zusammenarbeit zwischen den Polizeien auf den verschiedenen Ebenen, aber auch zwischen
    ,Verfassungsschutz und Polizei verbessern.

    Heinemann: Wie denn?

    Friedrich: Mein Vorschlag wäre, eine gemeinsame Datei. Alle Polizei- und Verfassungsschutzorganisationen führen ja in ihrem Bereich Dateien. Das Problem ist: diese Dateien sind nicht verbunden, also werden nicht auch abgeglichen, und mein Vorschlag ist, dass wir wie bei der Verbunddatei gegen den islamistischen Terrorismus auch bei Rechtsextremisten eine solche Verbunddatei schalten, so dass Polizei in den Ländern, im Bund, wie auch Verfassungsschutz sowohl einspeisen ihre Erkenntnisse, als auch daraus Informationen beziehen können.

    Heinemann: Frau Leutheusser-Schnarrenberger, die Justizministerin, spricht sich gegen die Verbunddatei aus.

    Friedrich: Nein. Frau Leutheusser-Schnarrenberger weist darauf hin, dass es viele Dateien schon gibt, da hat sie völlig recht. Aber das Entscheidende ist natürlich, dass man ein Gesamtbild schafft, und dafür ist es notwendig, dass man eine solche verbundene Datei hat. Wie gesagt, ich finde, dass das, was man gegen den islamistischen Terrorismus erfolgreich eingesetzt hat, auch jetzt im rechtsextremistischen Bereich einsetzen sollte.

    Heinemann: Und in der Tat fragen sich viele Menschen, warum wurde die islamistische Sauerlandgruppe geschnappt, zum Glück, bevor Menschen zu Schaden kamen, und die Neonazi-Täter nicht, obwohl diese Leute mindestens zehn Leute umgebracht haben.

    Friedrich: Ja sehen Sie, wir haben seit ziemlich genau zehn Jahren in Deutschland, nämlich damals nach den Anschlägen in New York, sehr konsequent Antiterrorgesetze verabschiedet, wir haben eine solche Verbunddatei gegründet und wir haben ein Terrorabwehrzentrum gegründet in Berlin-Treptow, in das alle Länder wie Bund, alle Behörden, alle Sicherheitsbehörden ihre Informationen einspeisen und von dort aus der Aufklärungskampf gegen den islamistischen Terrorismus geführt wird. Und genau das brauchen wir jetzt auch gegen den rechtsextremistischen Ansatz, und deswegen schlage ich vor, dass wir über die Verbunddatei hinaus über ein solches Terrorabwehrzentrum auch gegen politisch motivierte Kriminalität rechts diskutieren heute, und das werde ich auch vorschlagen.

    Heinemann: Was sagt die FDP dazu?

    Friedrich: Na ja, wie gesagt, Frau Leutheusser-Schnarrenberger sagt natürlich – und ich finde das auch ihr gutes Recht -, ihr müsst natürlich erst mal nachweisen, dass eine solche verbundene Datei notwendig ist. Aber ich denke, auch das werden die Polizeichefs und werden die Präsidenten des Verfassungsschutzes und von BKA und Landeskriminalämtern heute, wenn nötig, klar darlegen.

    Heinemann: Hat denn der Verfassungsschutz überhaupt in ausreichendem Maße geliefert? Was nutzt eine Datei, wenn sie nicht bestückt wird mit Informationen?

    Friedrich: Das ist genau der Punkt. Wir müssen natürlich dafür sorgen, dass eine Pflicht besteht, diese Datei auch mit den vorhandenen Informationen zu bestücken. Genau das findet ja statt beim Kampf gegen den islamistischen Terror, und das muss jetzt auch bei Rechtsextremisten stattfinden.

    Heinemann: Herr Friedrich, gibt oder gab es Kumpanei oder gar Komplizenschaft zwischen Mitarbeitern von Verfassungsschutzbehörden und dem Rechtsextremismus in Deutschland?

    Friedrich: Also das ist ein fürchterlicher Verdacht, der da einfach geäußert wird und gestreut wird. Der Generalbundesanwalt hat gestern noch mal klipp und klar gesagt, dass es dafür überhaupt keine Anhaltspunkte gibt, und ich muss wirklich sagen, es ist auch nicht angemessen, dass man einfach mal die Verfassungsschutzbehörden, die gute Arbeit leisten, dass man die einfach mal so verdächtigt.

    Heinemann: Und Sie schließen auch aus, dass im Verlaufe der Ermittlungen eventuell herauskommen könnte, dass es in Deutschland ein solch staatliches betreutes Töten gegeben hat?

    Friedrich: Es gibt keine Tatsachen, die darauf hinweisen. Das ist der entscheidende Punkt, um den es geht. Und ich finde es unangemessen, wenn es keine solchen Tatsachen gibt, dass man irgendwelche Spekulationen in die Welt setzt.

    Heinemann: Es gibt aber Erfahrungen, und zwar die einer offenbar sehr schlechten Zusammenarbeit zwischen Polizei und Verfassungsschutz. Das sagt Rainer Wendt, und wir hören uns jetzt mal an, welche Schlussfolgerung der Vorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft in dieser Woche bei uns im Deutschlandfunk gezogen hat.

    O-Ton Rainer Wendt: "Man muss sowieso im Anschluss an diese Aufklärung, die jetzt ja betrieben wird, glücklicherweise, die Frage stellen nach der Existenzberechtigung einer Behörde, die mit fragwürdigen Methoden fragwürdige Erkenntnisse ermittelt und die dann auch noch nicht mal weitergibt, oder nur in nichts sagende Berichte schreibt. Das heißt, wir müssen auch eine Debatte über die Sicherheitsarchitektur an dieser Stelle führen und die Frage stellen, ob wir nicht besser mit klassischer Polizeiarbeit, also mit verdeckten Ermittlern, die mit vernünftigem gesetzlichem Instrumentarium ausgestattet sind, Vollprofis in der Strafverfolgung sind – denn genau darum geht es ja, Strafverfolgung und Gefahrenabwehr und nicht einfach nur Beobachtung als Selbstzweck."

    Heinemann: ... , sagt Rainer Wendt, der Vorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft. Können wir uns die 300 Millionen Euro sparen für den Verfassungsschutz?

    Friedrich: Also auch beim Verfassungsschutz sitzen Vollprofis. Auch der Verfassungsschutz hat eine rechtliche Grundlage, ein Bundesverfassungsschutzgesetz – ebenso in den Ländern. Ich glaube, dass es ein großer Fehler ist, wenn jetzt die Sicherheitsbehörden anfangen, sich gegenseitig zu beschuldigen, schwarze Peter zuzuspielen. Wir haben in Thüringen eine Situation, die dringend aufgeklärt werden muss. Der Verfassungsschutz hat informiert, er hat die Polizei informiert, die Polizei hat eine Fahndung ausgelöst, aber offensichtlich hat dann ein Zusammenspiel zwischen beiden nicht stattgefunden. Jetzt ist nicht die Frage, wer von beiden hat jetzt versagt, sondern beide müssen sich die Frage stellen, wie verbessern wir das, und das werden wir heute klären.

    Heinemann: Benötigt jedes Bundesland, Herr Minister, einen eigenen Verfassungsschutz?

    Friedrich: Das ist eine Frage, die ich mit meinen Kollegen ebenfalls erörtern werde, inwieweit es dort mehr Möglichkeiten der Zusammenarbeit gibt, inwieweit der eine oder andere vielleicht auch Kompetenzen auf ein benachbartes Land, oder auf den Bund übertragen will. Aber das sind alles Fragen, die wir ganz in Ruhe klären werden, in den nächsten Tagen und Wochen. Da ist keine Hektik jetzt notwendig.

    Heinemann: Entschuldigung! Bleiben Sie aber grundsätzlich bei einem Verfassungsschutz, bei einer Behörde pro Land? Sollte das so bleiben?

    Friedrich: Nein! Das ist überhaupt nicht mein Ansatz. Für mich ist wichtig, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz als Zentralstelle hervorragend funktioniert, und das ist der Fall, und dass dieses Bundesamt natürlich auch eine enge Zusammenarbeit mit den Länderverfassungsschutzbehörden hat, und auch da ist Verbesserungsbedarf, den ich auch heute benennen werde.

    Heinemann: Herr Minister, Dieter Wiefelspütz (SPD), Innen- und Rechtspolitiker, hat hier bei uns im Deutschlandfunk gesagt, er erwarte im Frühjahr einen neuen Anlauf, um die NPD zu verbieten. Auch die CDU hat sich ja in Leipzig dafür ausgesprochen. Können die sich auf Ihre Unterstützung verlassen?

    Friedrich: Es gibt diese Diskussion über das NPD-Verbot ja in regelmäßigen Abständen immer wieder. Es stehen sich Argumente gegenüber, die auf beiden Seiten sehr beachtenswert sind. Die einen, die sagen, ihr müsst einfach ein klares Signal setzen, diese NPD, diese verfassungsfeindliche Organisation zu verbieten. Die anderen, die sagen, aber möglich ist das nur, wenn wir alle Quellen dort abschalten, also alle V-Männer über viele Jahre abschalten, und das ist zu gefährlich. Das ist ein Abwägungsprozess. Wenn es nun möglicherweise im Zuge der jetzt laufenden Ermittlungen neue Fakten, neue Hinweise, etwas Neues gibt, was eine Neubewertung auslöst, dann, denke ich, wird man auch vielleicht zu einer anderen Abwägung kommen als bisher, aber das werden die nächsten Wochen zeigen. Ich würde in keine Richtung etwas ausschließen.

    Heinemann: Zu den berechtigten Forderungen der Politik gehört die Zivilcourage. Wenn Bürger staatliche Mittel für ihren Kampf gegen Rechtsextremisten beantragen, dann müssen sie zuerst ihre Verfassungstreue schriftlich bekennen. Würgt man Zivilcourage so nicht ab?

    Friedrich: Na ja, was wir einfach sicherstellen müssen, wenn wir Geld geben für Organisationen, die sich im politischen Bereich betätigen und sagen, wir wollen gegen Extremisten kämpfen, gegen Rechtsextremisten, oder gegen Linksextremisten, dann müssen wir natürlich schon als Staat sicherstellen, dass wir nicht Geld geben sozusagen in die andere extremistische Ecke, und deswegen sagen wir jedem, der aus ehrenwerten demokratischen Motiven diese Arbeit betreibt – und das sind sicher die aller-allermeisten -, unterschreibt diese Demokratieerklärung. Ich hätte keinerlei Probleme, so etwas zu unterschreiben.

    Heinemann: Sind die Integrationsanstrengungen der vergangenen Jahre durch die Pannen – Sie sprachen von den Defiziten – beschädigt worden?

    Friedrich: Na ja, es ist sehr viel Unsicherheit, es ist sehr viel Zweifel aufgekommen und wir müssen jetzt daran gehen, diesen Schaden wieder gutzumachen.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

    Links bei dradio.de:

    Interview mit Hans Leyendecker ("Süddeutsche Zeitung")

    Opposition kritisiert Verharmlosung von rechter Gewalt (Aktuell vom 17.11.11)