Dienstag, 23. April 2024

Archiv


Auch nach Abschaltung gibt ein AKW Wärme ab

Nach dem schweren Erdbeben in Japan brennt das Atomkraftwerk Onagawa. Laut Vermutung von Sven Dokter, Pressesprecher der Gesellschaft für Reaktorsicherheit in Köln, könnte es zu "geringeren Freisetzungen von radioaktiven Stoffen kommen".

Sven Dokter im Gespräch mit Jule Reimer | 11.03.2011
    Jule Reimer: Japan setzt auf Atomkraft. Das Land betreibt über 50 Kernkraftwerke und ungefähr genauso viele Versuchsreaktoren. Heute Morgen kam erst einmal die beruhigend klingende Meldung, die Meiler in der Erdbeben-Region hätten sich automatisch abgeschaltet. Dann folgte allerdings die Information, es sei der Alarm "abnormaler Zustand" ausgelöst worden.

    Georg Ehring: Das Erdbeben hat offenbar auch Atomkraftwerke erschüttert - und es hat auch dort Schäden gegeben - über den Umfang weiß man allerdings noch nicht viel. Nach Angaben mehrerer Nachrichtenagenturen ist in einer Atomanlage im Nordosten des Landes, im Kraftwerk Onagawa, im Turbinengebäude ein Feuer ausgebrochen.

    Widersprüchliche Meldungen gibt es über das Kraftwerk Tepco Fukushima Daiichi. Hier hieß es zunächst, das Kühlsystem sei ausgefallen, später hieß es, es sei doch intakt. Die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) teilte mit, vier Kraftwerke in der Nähe des Erdbebengebietes seien aus Sicherheitsgründen erfolgreich abgeschaltet worden und man bemühe sich um weitere Informationen.

    Japans Regierungschef Naoto Kan hatte zuvor erklärt, dass bei keiner der Atomanlagen des Landes nach dem Beben ein Austritt von nuklearem Material festgestellt worden sei.

    Die Sicherheit von Atomkraftwerken bei Erdbeben ist ein großes Thema in Japan, der Bau von zwei Reaktoren wurde vor einiger Zeit wegen neuer Bestimmungen zur Erdbebensicherheit verschoben, stattdessen darf ein alter Reaktor länger weiterbetrieben werden.

    Jule Reimer: Ich bin jetzt verbunden mit Sven Dokter, Pressesprecher der Gesellschaft für Reaktorsicherheit in Köln. Herr Dokter, wie schnell lässt sich denn so ein Atomkraftwerk überhaupt abschalten?

    Sven Dokter: Ja, guten Morgen, Frau Reimer. So ein Kernkraftwerk lässt sich relativ schnell abschalten. Wir sprechen da von einer Reaktor-Schnellabschaltung, so heißt das auch. Da werden die Steuerstäbe eingeschossen oder eingefahren und das Ganze dauert etwa zwei bis drei Sekunden. Nach zwei bis drei Sekunden ist die Kettenreaktion zum Erliegen gekommen. Bei den japanischen Kernkraftwerken erfolgt das bei Erdbeben ab gewissen Beschleunigungen automatisch.

    Reimer: Ist denn das Atomkraftwerk als solches dann noch gefährlich, strahlend? Wie muss ich mir das als Laie vorstellen?

    Dokter: Was sie nach wie vor haben, auch nach einer Reaktor-Schnellabschaltung, das heißt, auch wenn die Kettenreaktion unterbrochen ist, haben sie im Kern des Reaktors immer noch die sogenannte Nachzerfallswärme. Das ist nur ein kleiner Bruchteil der thermischen Leistung, die im Betrieb abläuft. Die müssen sie aber nach wie vor abführen. Das heißt, sie müssen den Reaktorkern weiterhin kühlen. Dafür gibt es dann sogenannte Not- und Nachkühlsysteme, und das müssen sie aufrecht erhalten.

    Reimer: Wir haben gehört, der Begriff fiel dann, die japanische Regierung sprach von Alarm "abnormaler Zustand". Können Sie das einordnen?

    Dokter: Im Moment können wir das nicht einordnen. Wir können nur vermuten, dass das eine Formulierung aus den landesspezifischen Regelungen ist. Es gibt ja die sogenannte International Nuclear Event Scale, die INES-Skala, mit sieben Stufen. Da spricht man beispielsweise bei der zweituntersten Stufe von einer Störung. Eine Einstufung in der Form scheint, es aber bislang noch nicht gegeben zu haben.

    Reimer: Welche Gefahr geht von einem brennenden Atomkraftwerk aus? Wir hatten gehört, ein Atomkraftwerk Onagawa soll brennen.

    Dokter: Das hängt grundsätzlich immer natürlich sehr davon ab, wo es brennt und was da genau brennt. In Onagawa scheint es ja so zu sein, dass es in der Turbinenhalle brennt. In dieser Turbinenhalle gibt es auch bestimmte Mengen beispielsweise an Öl zur Kühlung und zur Schmierung. Insofern: Da sind Brandlasten drin. Ein solcher Brand in der Turbinenhalle selber hat zunächst mal keinen direkten Einfluss auf den eigentlichen Kernbereich, also auf den nuklearen Bereich des Reaktors. Bei dem Reaktortyp, den wir da haben - das sind sogenannte Siedewasser-Reaktoren -, da könnte es je nach der Größe und dem Ausmaß des Brandes, also was da genau betroffen ist, zu geringeren Freisetzungen von radioaktiven Stoffen kommen. Die wären dann erst mal in der Turbinenhalle. Ob die dann auch nach draußen gelangen würden, das ist wirklich eine Einzelfrage und dazu wissen wir im Moment auch wirklich zu wenig über das, was da passiert ist.

    Reimer: Wie haben denn Japans Atomkraftwerke bisherige Erdbeben überstanden? Das ist zwar das schwerste Erdbeben in der Geschichte, aber es gab ja auch vorher welche.

    Dokter: Ja, richtig. Bislang haben die das im Wesentlichen ganz gut überstanden. Das prominenteste und jüngste Beispiel, das war im Juli 2007 - ich hoffe, ich spreche das richtig aus - in Kashiwazaki-Kariwa. Das ist an der Westküste Japans, also auf der gegenüberliegenden Seite, da wo jetzt gerade im Moment nicht die Tsunamis aufgetroffen sind. Damals ist es zu Schäden gekommen, unter anderem hat ein Trafo gebrannt, aus dem Abwassersystem sind Freisetzungen erfolgt, aber allerdings unter den gesetzlichen Dosisgrenzwerten.

    Reimer: Das heißt, es ging im großen und ganzen recht glimpflich aus?

    Dokter: Ja. Der nukleare Teil, der war nicht betroffen.

    Reimer: Vielen Dank! - Informationen von Sven Dokter, Pressesprecher der Gesellschaft für Reaktorsicherheit in Köln, zu einer ersten Einschätzung der Situation der Atomkraftwerke im Erdbebengebiet in Japan.

    Mehr Informationen auf dradio.de:

    Schwere Zerstörungen nach Erdbeben in Japan - Stärke von bis zu 8,6 - Tsunamiwarnung für Pazifik

    Wie werden Erdbeben gemessen - und wie entstehen sie? - Unterschiedliche Messskalen liefern abweichende Werte