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Audi diem!

Den Tag musikalisch abbilden - das hat der Komponist Karlheinz Stockhausen versucht und mit "Klang" bis zu seinem Tod 2007 ein 21-stündiges Mammutwerk geschaffen. Das wurde nun in Köln in voller Länge uraufgeführt.

Von Dina Netz | 10.05.2010
    Dina Netz: "Freude" – ein 40-minütiges Stück für zwei Harfen aus dem Zyklus "Klang" von Karlheinz Stockhausen. "Klang", das ist als Titel genauso simpel wie allumfassend. Mit "Klang" wollte Stockhausen die 24 Stunden des Tages vertonen. Stockhausen konnte allerdings nicht alle Stunden fertig stellen, sondern kam bis zu seinem Tod nur auf 21.

    Noch nie ist "Klang" komplett aufgeführt worden, sechs Stunden des Tages waren sogar noch nie zu hören. Am Wochenende hat man bei der Musiktriennale in Köln den Versuch gemacht – zwar nicht an einem Tag en suite, aber am Samstag und Sonntag jeweils zwischen 12 und 24 Uhr wurden alle Stunden von "Klang" zu Gehör gebracht. Gespielt haben das auf neue Musik spezialisierte Ensemble Musikfabrik und Gäste, und das an neun verschiedenen Spielstätten. Frage an unseren Musikkritiker Jörn Florian Fuchs: Wie viele Stunden und wie viele Orte "Klang" haben Sie geschafft?

    Jörn Florian Fuchs: Ich war tatsächlich bei allen Stunden und an allen Orten. Ich habe gestern Abend …

    Netz: Chapeau!

    Fuchs: Danke … in der Philharmonie dann noch um kurz vor Mitternacht elektronische Musik gehört auf voller Lautstärke und dann so eine Art psychedelischen Trip zum Abschluss erlebt, und danach gab es für alle, die das dann überstanden haben, ein frisches Kölsch.

    Netz: Mich hat erst mal überrascht, als ich ins Programm geguckt habe, habe ich gesehen, dass der Zyklus nicht en suite gespielt wurde. Also man spielt nicht um 12 die erste Stunde, um 13 Uhr dann die zweite Stunde und so weiter, sondern in einer Kirche, die ich jetzt willkürlich ausgewählt habe, war um 12 die zweite Stunde zu hören, um 13 Uhr die fünfte Stunde, um 14 Uhr die zwölfte Stunde. Ist das im Sinne des Komponisten?

    Fuchs: Ja, es ist zwar ein Zyklus, der eben die Stunden durchgeht von eins bis eigentlich ja geplant 24, aber es gibt keine lineare Struktur in diesen Stücken. Es sind ganz verschiedene Besetzungen, ganz verschiedene Inhalte in diesen Werken auch. Und das ist jetzt eine Art Wandelkonzert, so muss man sich das vorstellen, andere Geister, die eher im Geiste Stockhausens das Ganze sehen, mögen es auch als Stundengebet an zwei Tagen sehen, dass man jede Stunde sich etwas auswählt, gleichsam per Zufall vielleicht sich da und dort hintreiben lässt und dann immer ein Stück präsentiert bekommt.

    Netz: Sie haben gerade gesagt, es gibt ganz verschiedene Inhalte, welche denn, worum geht es bei dieser Musik?

    Fuchs: Also wie schon in dem "Licht"-Zyklus bei den sieben Wochentagen ist es auch so, dass hier Texte des esoterischen "Urantia"-Buches vertont werden. Das passiert, indem Sänger beispielsweise dann elektronisch verstärkt einzelne Passagen über die Zukunft von Mensch und Kosmos im Wesentlichen da singen oder auch mal rezitieren. Auf der anderen Seite ist dieses esoterische Element nicht so stark vorherrschend wie im "Licht"-Zyklus. Stockhausen hat eine ganze Reihe von kammermusikalischen, sehr schönen Werken geschaffen – ein Streichtrio mit dem Titel "Hoffnung" etwa oder auch das Stück, das wir am Eingang gehört haben, für zwei Harfen. Das ist einfach sehr gute, sehr dichte Musik, die weitgehend auf diese esoterischen Inhalte verzichtet. Die Esoterik kommt eher bei den Werken rein, bei denen die Elektronik zum Einsatz kommt – das ist so die zweite Hälfte der Stunden. Im Zentrum steht da ein Werk, das heißt "Cosmic Pulses", und da hat Stockhausen in einer halben Stunde also eine ganze Reihe von Klangschichten, Klangbändern geschaffen, und diese tauchen nun in allen weiteren Klangstunden teilweise wieder auf. Es ist ein sehr, sehr kompliziertes Kompositionsverfahren. Es kommen in Resonanz Teile dieser "Cosmic Pulses" zum Beispiel mit einem Stück für Flöte und Elektronik mit dem schönen Titel "Paradies", und da hören wir mal ein Beispiel.

    Musikeinspielung

    Das war also jetzt ein Höreindruck von dem letzten Stück des "Klang"-Zyklus "Paradies" für Flöte und Elektronik und von "Urantia", einem Stück, das im Kölner Prefektorium aufgeführt wurde, wo man also sehr stimmungsvoll ja die Artefakte aus der römischen Historie von Köln erlebt hat, und dazu diese Raummusik von Stockhausen.

    Netz: Das Ensemble Musikfabrik hat aufgeführt am Wochenende bei der Musiktriennale Köln, ein Ensemble, das spezialisiert ist auf neue Musik und auch viel Stockhausen gemacht hat. Wie haben sie es gemacht, kann man das so insgesamt überhaupt zusammenfassen?

    Fuchs: Also das ist ein Spezialensemble, die spielen auch jetzt nach und nach die einzelnen Teile des "Klang"-Zyklus ein. Das war auf ganz, ganz hohem technischen Niveau. Die vielen Sänger vor allen Dingen haben mich sehr, sehr überzeugt, das sind zum Teil extreme Partien, die da bewältigt werden müssen. Und man muss sich ja vorstellen, dass es einzelne Sänger gibt, die diese Partie drei-, vier-, fünfmal am Tag singen, im Abstand von jeweils drei Stunden – das führt schon an die Grenzen –, auch die Klangregisseure, von denen es eine ganze Reihe gab, eben für die Elektronik.

    Netz: Jetzt die Frage für mögliche Nachahmer: Es ist ja bisher noch nie "Klang" an einem Stück aufgeführt worden. Gibt das einen guten Gesamteindruck des Werkes oder ist es eine komplette Überforderung?

    Fuchs: Ich habe schon einen sehr positiven Eindruck. Es gibt auch etwas Stillstand in diesem Werk in einzelnen Stücken, aber ich finde, es ist Stockhausen in vielen dieser Werke tatsächlich noch mal etwas ganz Neues gelungen, auch etwas, was mit seiner früheren Musik nicht mehr direkt zu tun hat. Manches ist etwas vergeistigter und manches ist eben etwas befreit von diesen esoterischen Welten. Mir hat das sehr, sehr gut gefallen insgesamt.

    Netz: Jörn Florian Fuchs, erschöpft, aber glücklich nach dem gesamten "Klang"-Zyklus von Karlheinz Stockhausen in Köln.