Dienstag, 19. März 2024

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Auf dem Fahrrad durch die USA
"Der Angst vor dem Stillstand nicht anheim fallen"

Von den Mammutbäumen bis zu den Hochhäusern: 5350 Kilometer durch die USA hat der österreichische Künstler Hans Schabus auf dem Fahrrad zurückgelegt und dabei Fotos gemacht. Eine Reise durch ein Land, dessen verbindendes Element die Distanz sei, so Schabus im DLF-Interview. Und ein Weg mit einer gesellschaftspolitischen Dimension.

Hans Schabus im Gespräch mit Änne Seidel | 18.01.2017
    Verkehr in Washington, aufgenommen am 11.04.2012. Foto: Tim Brakemeier dpa | Verwendung weltweit
    Bewegung und Stillstand: Auf dem Fahrrad könne man laut Hans Schabus beides erleben. (dpa)
    Änne Seidel: Das Fahrrad – ist wahlweise ein Fortbewegungsmittel oder ein Sportgerät. Soweit zumindest die gängigen Definitionen. Für manch einen ist das Fahrrad aber viel mehr als das: Der Philosoph Konrad Paul Liessmann zum Beispiel, der nennt sein Fahrrad eine "Reflexionsmaschine" – tausende Kilometer legt er im Jahr zurück, radelt bergauf, und bergab, das hilft ihm beim Nachdenken, sagt Liessmann. Das Fahrrad, eine Reflexionsmaschine – die Definition gefällt auch dem Künstler Hans Schabus.
    Der Österreicher ist bekannt für eine ganze Reihe abenteuerlicher Performances – zum Beispiel für seinen Bootstrip durch die Wiener Kanalisation. Und für seine jüngste Arbeit, für die nutzte Hans Schabus jetzt seine Reflexionsmaschine: Vergangenen Sommer ist er mit dem Fahrrad quer durch die USA gefahren: 5350 Kilometer in 42 Tagen, von der Westküste bis zur Ostküste. Das Ganze hat er fotografisch dokumentiert. Ich hab mit Hans Schabus über diese Reise gesprochen, und ihn erst mal gefragt: Welche Gedanken ihm denn da so gekommen sind, auf seiner Reflexionsmaschine?
    Hans Schabus: Ja, natürlich macht man sich da viele Gedanken. Die USA sind ja im weitesten Sinne ein durch Europäer gegründetes Land, also im weitesten Sinne auch ein europäisches Experiment, wenn man das jetzt mal so sagen will, und dadurch ist es auch ein Stück weit ein Blick in die Zukunft, in die europäische Zukunft. Weil die USA auch noch einmal sich mit dem Fokus unserer Gesellschaft, der westlichen Gesellschaft, nämlich die Suche nach dem individuellen Glück, noch deutlicher verschrieben haben, ist das auch der Blick in unsere Zukunft, also in unsere europäische Zukunft.
    Es sind dann natürlich viele Gedanken, die durch den Kopf gehen, wie sehr sich so ein Kulturraum auch geformt hat. 5000 Kilometer in jede Richtung ist das ein Kulturraum, ein Sprachraum, ein Marktraum. Wenn ich den Zirkel hier in Wien einsteche und 150 Kilometer rundherum schlage, dann habe ich schon sechs, sieben verschiedene Sprachen. Das heißt, das verbindende Element in den USA ist die Distanz und in Europa ist es vielleicht die Nähe, und deswegen sind diese Befreiungsszenarien eines Europäers andere als es amerikanische Befreiungsszenarien sind. Das sind so Dinge, die aber stark mit dem zu tun haben, wie Landschaft auch Gesellschaft formt und auch so eine Kultur, wie sich der Mensch dort einbringt.
    "Der Straßenrand ist auch ein Ort des Konflikts"
    Seidel: Apropos Landschaft. Auf Ihren Fotos, die Sie gemacht haben - Sie haben ja Ihre ganze Reise mit dem Smartphone, mit der Smartphone-Kamera dokumentiert -, auf diesen Fotos sieht man tatsächlich sehr viel Natur, auch viele Straßen, manchmal Gebäude, aber sehr selten Menschen. Ging es Ihnen auf dieser Reise gar nicht so sehr um die Begegnungen mit den Amerikanern, sondern tatsächlich eher um die Landschaften?
    Schabus: Einerseits interessieren mich als Künstler so was wie die Ränder grundsätzlich, da wo verschiedene Materialien aufeinander treffen, da wo Gesellschaften aufeinander treffen, dort wo Probleme entstehen in vielerlei Hinsicht, gesellschaftlich, sozial oder auch materielle Probleme. Und der Straßenrand ist auch ein Ort des Konflikts und das ist der Ort, wo Bewegung und Stillstand auf einer radikalen Art und Weise aufeinandertreffen. Und mit dem Fahrrad ist man schnell genug, um der Angst des Stillstands nicht anheim zu fallen, und langsam genug, um auch den Stillstand wahrnehmen zu können.
    Seidel: Ihre Arbeit trägt den Titel "Der lange Weg von hohen Bäumen hin zu hohen Häusern". Ich habe es jetzt mal relativ frei übersetzt aus dem Englischen ins Deutsche. Welcher Weg ist da gemeint, Herr Schabus? Ist das Ihr eigener Weg von der West- zur Ostküste, oder denken Sie da in größeren Zusammenhängen, vielleicht sogar in kulturhistorischen Zusammenhängen?
    Schabus: Sowohl als auch, würde ich sagen. Faktisch war das der Weg von den Red Woods bis nach New York City, also von den hohen Bäumen, den Mammutbäumen bis hin zu den Hochhäusern. In der Kultur, also in der Natur haben wir das Phänomen der Maßlosigkeit. Das heißt, das Streben zum Licht und des vorwärts kommen, diese hierarchische Ordnung und das hierarchische Streben. In der Natur schaut das Ganze natürlich viel harmonischer aus, aber es ist auch brutal, und in der Hinsicht sehe ich das natürlich auch als was Kulturgeschichtliches oder vielleicht auch eine gesellschaftspolitische Reise in der Hinsicht, wie sich auch so was wie Gesellschaft formt und gebildet hat.
    "Das individuelle Glück scheint nicht mehr einlösbar zu sein"
    Seidel: Und empfinden Sie diesen Prozess, diesen Weg, den die Amerikaner oder auch die Menschheit als Ganzes da bisher gegangen ist, empfinden Sie den als einen positiven Prozess? Oder anders gefragt: Hat die Menschheit in den vergangenen Jahrhunderten Fortschritte gemacht?
    Schabus: Das ist eine gute Frage. Ich würde sagen, was wir jetzt haben ist auch ein bisschen diese Situation, dass wir an die Wand zu fahren scheinen als westliche Gesellschaft, sage ich jetzt einmal. Das individuelle Glück, nach dem wir und unsere Gesellschaft zu suchen scheinen und das wir und die Gesellschaft ganz stark auch im Erfolg und im Erfolg des Fortkommens im kapitalistischen Erfolg sehen, scheint einfach auch in der Form nicht mehr einlösbar zu sein und nicht mehr für eine breite Gesellschaft.
    Das scheint mir das Problem zu sein, wie wir als westliche Gesellschaft die Arbeit bewerten, und ich frage mich da schon, warum Arbeit, die an Automatisierung, Digitalisierung, Finanzwirtschaft arbeitet, so hoch bewertet ist und warum Arbeit, die mit den Händen passiert, die mit den Menschen passiert in einer direkten Weise, dagegen schlecht bewertet ist. Es kann nicht angehen, dass jemand, der sich nicht bildet, dass der keine Chance hat in der Gesellschaft, und das ist das Szenario der letzten 100 Jahre, und ich denke, dass wir gegen diese Wand gerade fahren in irgendeiner Weise und dass dort solche Dinge passieren, wie sie eben jetzt passieren.
    Seidel:...meint der österreichische Künstler Hans Schabus. Er ist mit dem Fahrrad einmal quer durch die USA gefahren, und die Fotos, die auf dieser Reise entstanden sind, die sind ab kommender Woche in der Kunsthalle Darmstadt zu sehen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.