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"Auf dem Flohmarkt fing es an"

Mit einer einfachen Produktidee, Förderern und viel Glauben an die Sache gelang einer Selbsthilfegruppe von Erwerbslosen in Münster der Aufbau einer neuen Existenz. Das Geschäft der Direkt Recycling GmgH läuft so gut, dass Teile der Produktion mittlerweile ins kostengünstige Ausland verlagert wurden.

Von Adalbert Siniawski | 07.05.2010
    "Der Stand ist in Ordnung, jetzt können wir loslegen."

    Die Maschine läuft an, in der Werkstatt breitet sich der schwere Geruch von Farbe aus. Anton Muser legt einen Stapel Briefumschläge in eine Öffnung der schulterhohen Druckmaschine. In regelmäßigem Takt saugt sie Umschlag für Umschlag in sich hinein und spuckt sie mit einem druckfrischen Firmenlogo wieder heraus. Der Fachmann für Druck und Zuschnitt ist mit dem Ergebnis zufrieden.

    "So, wunderbar."

    Es sind keine gewöhnlichen Briefhüllen, die Muser und seine neun Kollegen bei der Firma "Direkt Recycelte Papierprodukte" verarbeiten: Blau gezeichnete Flüsse, dunkelbraune Höhenzüge und rot markierte Städte schmücken das Papier. Das Unternehmen aus Münster produziert Kuverts aus ausrangierten Landkarten von Katasterämtern oder der Bundeswehr. Auch Werbeposter und Kalenderblätter eignen sich.

    Direkt-Recycling, heißt das Verfahren. Altpapier wird unmittelbar wiederverwertet, ohne es vorher industriell zu bearbeiten. Deshalb sind die Briefhüllen im Landkarten-Look nicht nur bunter, sondern auch umweltfreundlicher als herkömmliche Recycling-Hüllen, wie Geschäftsführer Olaf Hagedorn erklärt:

    "Wir sparen 100 Prozent an Wasser, 100 Prozent an Bindemitteln, 100 Prozent an Bleichmitteln, 100 Prozent an Frischfasern – auch beim Recycling-Produkt werden Frischfasern zugegeben – und wir sparen 95 Prozent Energie."

    Auf die Idee zum Direkt-Recycling kam Hagedorn vor 15 Jahren. Damals war er mehrere Jahre arbeitslos, aber nicht untätig: Der gelernte Maschinenbauingenieur tüftelte an einem Roboter, trommelte andere Langzeitarbeitslose in Münster zusammen, um gemeinsam eine Existenz aufzubauen und suchte nebenher einen Job.

    "Ich hab ziemlich viele Bewerbungen abgeschickt, und hab bei den Bewerbungen in den Anschrieben öfter mal einen Fehler gemacht und hab immer das Blatt in den Mülleimer geschmissen. Da war ich ziemlich sauer, dass das tolle Papier im Mülleimer landet. Dann habe ich das rausgeholt aus dem Mülleimer und hab versucht aus dem Blatt Papier – die eine Seite war ja beschrieben, die andere weiß – einen Briefumschlag zu falten. Das ist mit irgendwann gelungen. Und dann dachte ich, das ist ja eigentlich eine gute Idee."

    Mit seinen Mustern ging Hagedorn in die Arbeitslosengruppe. Trotz anfänglicher Skepsis hielten seine sieben Mitstreiter es für umsetzbar, mit Öko-Briefumschlägen aus günstigem Altpapier Geld zu verdienen. Die ersten Exemplare fertigten sie in mühevoller Handarbeit.

    "Der eine hat das Papiermesse ausgeschnitten mit einem Teppichmesser, der andere hat dann die Falz gezogen mit einem Lineal und Tafelmesser, dann haben wir so Spitzen genommen, die waren mit Leim gefüllt, und den Leim aufgetragen, der vierte hat dann praktisch die Umschläge zugedrückt und der fünfte hat dann noch mal den Verschlusskleber aufgetragen, der dann trocknen musste. So haben wir die ersten 10.000 Umschläge mit der Hand gemacht und dann auf dem Flohmarkt verkauft."

    Die Mischung aus Unikat und Umwelt kam gut an: Interessierte griffen zu, ein Arzt kaufte 1000 Stück, auch das Umweltamt der Stadt Münster. Mit der steigenden Nachfrage benötigte die Gruppe um Hagedorn Geld für Materialien, Maschinen und eigene Räume. Von den Banken war ohne Sicherheiten nichts zu holen. Die Arbeitslosen gründeten einen gemeinnützigen Verein, so konnten sie Spenden entgegennehmen. Das hieß aber auch: Klinkenputzen bei Geschäften, Vereinen, der Apotheke um die Ecke.

    "Von denen haben wir mal 500 Mark gekriegt, da sind wir echt an die Decke gesprungen, das war voll viel Geld für uns. Wir wurden dann auch schon zwar belächelt, durch diesen Idealismus, aber auch in gewisser Weise ernst genommen. Und das hat uns auch beflügelt, weil andere damit auch gezeigt haben: Was ihr macht, finden wir gut. Macht weiter."

    Der Durchbruch gelang mit Fördermitteln von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt. Mit dem Geld hat Hagedorn das Direkt-Recycling-Verfahren beim Patentamt sichern lassen, Maschinen angeschafft und 1996 eine GmbH gegründet. Das Land Nordrhein-Westfalen half mit dem Programm "Soziale Wirtschaftsbetriebe" und bezuschusste fünf Arbeitsplätze.

    "Eine tolle Idee zu haben ist eine Sache, aber die Idee umsetzen, ist eine andere Sache. Ohne diese Wirtschaftsförderung hätten wir das sicherlich nicht geschafft."

    "Wunderbar, alles klar, wir können jetzt richtig loslegen und den Auftrag abarbeiten."

    Es dauerte sieben Jahre, ehe der Betrieb endlich kleine Profite abwarf. Mittlerweile steht die Direkt Recycling GmbH gut da: 2009 stieg der Umsatz im Vergleich zum Vorjahr um fünf Prozent auf rund 600.000 Euro, ebenso der Gewinn auf 190.000 Euro. Weil die Zahl der Aufträge seit Jahren steigt und eigene Maschinen für die Kuvertherstellung zu teuer sind, hat der 50-jährige Geschäftsführer Hagedorn die Produktion der Briefumschläge nach Osteuropa ausgelagert. Seine zehn Mitarbeiter bei "Direkt Recycelte Papierprodukte" in Münster fertigen aber weiter Notizzettel, Schreibblöcke und Briefpapier, kümmern sich um Versand und Verwaltung. Auch Anton Muser, der in der Werkstatt die Landkarten-Umschläge mit Firmenlogos bedruckt. Der 59-Jährige betätigt einen Knopf an der Druckmaschine, nimmt die fertigen Kuverts heraus und blickt zufrieden.

    "So, wunderbar! Sieht gut aus, ne? Herrlich."