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Auf dem Teppich bleiben

Die Grünen befinden sich im Höhenflug. Die Umfragewerte sind gut - aber noch lange keine Garantie für den Erfolg bei den anstehenden Landtagswahlen. Deshalb bleibt man vorsichtig.

Von Uschi Götz | 13.01.2011
    "Kretschmann: Man muss auf dem Teppich bleiben. Das ist wichtig."

    Der Teppich ist in der Luft. Dank Stuttgart 21. Die Grünen auf dem Höhenflug, ihre Umfrageergebnisse besser denn je. Ein Grund zur Freude? Zum Abheben? Nein! Partei-Chef Cem Özdemir warnt.

    "Ich habe Vorfahren aus dem Orient. Insofern kenne ich mich mit fliegenden Teppichen gut aus, und ich kann Euch sagen, man schafft's auf dem Teppich zu bleiben."

    Ein weiser Rat. Denn seit Geißlers Schlichterspruch gibt es wieder mehr Befürworter des unterirdischen Bahnhofs als Gegner. Und die CDU holt in den Umfragen wieder auf.

    "Das ist natürlich die richtige Position, weil, wenn man abhebt, dann fehlt es wirklich an der Bodenständigkeit. Und wenn die Grünen einen Stich machen wollen – vielleicht können- bei der Wahl, dann nur wenn sie sehr realistisch sich gebärden. Also man wählt keine, die völlig abgehoben sind."

    Bettina Wieselmann gehört zu den profundesten Kennerinnen der landespolitischen Szene in Baden-Württemberg. Sie schreibt unter anderem für die Südwest-Presse. Tatsächlich wissen die Grünen um den enormen Druck: Hohe Umfragewerte sind noch längst keine Wählerstimmen. An der Parteibasis ist man vorsichtig: denn Wählerstimmungen sind noch lange keine Wählerstimmen. Ist es Angst vor der eigenen Courage? Der Tübinger Politikwissenschaftler Professor Josef Schmid.

    "Sie haben das Problem: strategisch ist die Lage offen. Deswegen müssen die schon aufpassen, dass die im Vorfeld der Wahl nicht anecken, weil jetzt kommt so allmählich die Zeit, wer jetzt einen Fehler macht, kriegt fünf Minuten vor Schluss noch ein Tor rein, was fußballtechnisch immer ganz dramatisch ist. Von daher glaube ich, die spielen jetzt einfach auf Nummer sicher, sie stehen sehr gut da, wenn sie nichts falsch machen, werden sie mit einem Superergebnis reinkommen, die Frage bedeutet ja immer, was bedeutet ein Superergebnis?"

    Tja, was bedeutet das? Regieren? Grün- rot? Im Moment zu knapp. Schwarz- grün? Möglich – Schließen Stand heute beide Parteien aber aus. Das Trennende scheint unüberbrückbar. Der Graben heißt Stuttgart 21:Die Grünen fordern bis heute einen Baustopp und wollen im Falle eines Wahlsiegs das Volk entscheiden lassen. Die CDU zieht das Projekt ohne wenn und aber durch. Also, was bedeutet ein grünes Traumergebnis?

    Doch was wäre wenn? Wenn erstmals seit 57 Jahren kein CDU-Politiker an der Spitze Baden-Württembergs steht? Wenn gar die Grünen den Regierungschef stellen sollten. Ihr Spitzenkandidat ist der 1948 geborene Gymnasiallehrer Winfried Kretschmann. Ein Grüner der ersten Stunde, seit acht Jahren Fraktionschef im Landtag. Rüdiger Soldt, Korrespondent der FAZ.

    "Man muss Winfried Kretschmann zugute halten, dass er die Grünen hier in Baden- Württemberg zu einer sehr respektablen parlamentarischen Kraft gemacht hat. Das Thema finanzielle Nachhaltigkeit ist ein Thema, das er sehr wichtig und sehr ernst genommen hat, er ist ein sehr skrupulöser Mensch, er macht sich sehr viele Gedanken und versucht sozusagen mit einem Höchstmaß an Verantwortung zu entscheiden."

    Kretschmann gilt als Vertreter des wertkonservativen Flügels der Partei – in Baden-Württemberg einer einflussreichen Gruppe innerhalb der Grünen. Der dreifache Vater ist bekennender Christ und Mitglied des Zentralkomitees der deutschen Katholiken. Für die eher als konservative und bodenständig geltenden Wähler nicht unwichtig. Bettina Wieselmann:

    "Das ist sicher ein erfahrener, ruhiger, sehr an den Realitäten orientierter Politiker, auch verbunden mit dem Land, dem nimmt man ab, dass Baden-Württemberg ihm umtreibt. Das sind sicher auf der Haben-Seite feste Punkte, die für die Grünen auch positiv ausschlagen, das ist keine Frage."

    Die Parteibasis tickt jedoch ganz anders, gibt Rüdiger Soldt von der FAZ zu bedenken:

    "Die Grünen in Baden-Württemberg sind keine Kretschmann-Partei. Die Basis hat politisch doch noch stark abweichende Vorstellungen von dem, was Kretschmann vertritt. Da ist das Thema finanzielle Nachhaltigkeit nicht ganz so wichtig, wie in seinem politischen Tun im Landtag. Man hat das auch gesehen bei der Diskussion um das Grundeinkommen."

    Die Basis und Kretschmann liegen bisweilen weit auseinander. Das macht es nicht einfacher, sich potenzielle grüne Regierungsmitglieder vorzustellen.

    "Na, ich glaube, die Grünen müssten schon über Baden-Württemberg hinaus in andere Landesverbände und auch in Berlin in Bundestag schauen, wie sie ihre Posten in einem möglichen grün-roten Kabinett bestücken könnten. Natürlich gibt es auch hier im Land respektable Politiker-Oberbürgermeister, zu nennen sind sicher sicherlich Dieter Salomon und Boris Palmer. Die Frage, die sich damit verbindet ist sicher, will man dann solche einflussreichen, wichtigen Städte aufgeben, indem man da Oberbürgermeister abzieht, um sie in eine Landesregierung zu schicken, die ja nach vielleicht einer gewissen Zeit auch scheitern könnte."

    Unbeantwortet ist die Frage, ob die Oberbürgermeister von Freiburg und Tübingen überhaupt bereit wären Regierungsverantwortung zu übernehmen. Vielleicht kehren stattdessen Berliner Politiker nach Stuttgart zurück: Die Bundestagsabgeordneten Fritz Kuhn und Biggi Bender waren einst Fraktionschefs in Baden-Württemberg. Auch Cem Özdemir stammt aus dem Land, er wurde von einem Nachrichtenmagazin bereits als möglicher erster deutscher Ministerpräsident mit türkischen Wurzeln ins Spiel gebracht.

    "Özdemir ist in seinem eigenen Landesverband nicht so beliebt, wie man vielleicht vermuten könnte. Er ist ja auch kein administrativer, erfahrener Politiker. Er ist eher ein Parteipolitiker."

    "Ich glaube nicht, dass jeder gerne gesehen würde, auch nicht von den hiesigen. Also der Platz von Cem Özdemir ist aus hiesiger grünen Sicht und darüber hinaus besser in Berlin. Das gleiche gilt für Winne Hermann. Also, wer Eisenbahninvestitionen lieber in Niedersachsen oder andernorts als in Baden-Württemberg verwirklicht sieht, der erreicht nicht unbedingt die Herzen der Menschen."

    Auch der Politikwissenschaftler Schmid warnt im Ernstfall davor, auf Berliner Prominenz zurückzugreifen

    "Wir haben in Berlin mittlerweile eine ganze Reihe von Universalgenies und die sind wiederum auch schwer integrierbar, ähnlich wie die Oberbürgermeisterfraktion. Also entweder sie haben Leute, die für ein bestimmtes Sachprofil stehen und wir suchen Minister und keine Ersatz – Zweit-Dritt-Viert-Vertretungen für Ministerpräsidenten. Es kann nicht jeder Ministerpräsident sein und sich auf die Rolle vorbereiten. Also von daher würde ich eher dazu tendieren, da die zweite Reihe zu bevorzugen."

    Fliegender Teppich hin oder her: die Grünen stehen vor ihrem wohl schwierigsten Wahlkampf. Nach 57 Jahren CDU-Vorherrschaft war der Machtwechsel in Baden-Württemberg wohl noch nie so greifbar.