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Auf dem Weg zum Gottesstaat

Im vergangenen Jahr machte Papst Benedikt den Exkommunikation der Piusbruderschaft rückgängig und löste damit eine heftige Debatte aus. Alois Schifferle hat nun ein Buch über die Bruderschaft vorgelegt. Ein Buch, das deutlich macht, wie tief der Graben zwischen der katholischen Kirche und den Piusbrüdern ist. Oder besser gesagt: Sein müsste.

Von Hajo Goertz | 24.08.2009
    Die Aufregung um den Bischof der Piusbruderschaft Richard Williamson und seine Holocaust-Leugnung hat sich gelegt. Der Konflikt zwischen den traditionalistischen Anhängern des Erzbischofs Lefebvre und dem Vatikan aber schwelt weiter. Verpufft ist die Geste von Papst Benedikt, die Exkommunikation der Pius-Bischöfe aufzuheben und so die sich abspaltende Priestergemeinschaft wieder an die Kirche heranzuführen. Kein Jota rückt die traditionalistische Gruppe von ihren Positionen und ihrem kirchenrechtswidrigen Verhalten ab.

    Marcel Lefebvre, Franzose und früherer Erzbischof von Dakar, und die Bewegung, die sich auf ihn beruft, betrachten das Zweite Vatikanische Konzil, seinen Weitblick und seinen Mut zur Erneuerung innerkirchlicher Strukturen mit verstärktem Vorbehalt. Sie lehnen es ab. Lefebvre und seine Anhänger suchen die innerkirchliche Entwicklung seit dem Ende des Konzils dadurch zu beeinflussen, dass sie das Festhalten an der Tradition in ihrem Sinne zum Zentrum ihrer Aktivitäten machen.
    Stellt Alois Schifferle fest. Der Pastoraltheologe an der Universität Eichstätt-Ingolstadt legt jetzt aktuell unter dem Titel "Die Piusbruderschaft. Informationen – Positionen – Perspektiven" eine Analyse des Streits zwischen dem Vatikan und der Lefebvre-Gemeinschaft vor.

    In seinen Verlautbarungen unterstellt Lefebvre der Kirche, der Freimaurerei nahezustehen, weil sie den pluralistischen Charakter der heutigen Gesellschaft beachte und auf deren Rückbildung zu einer geschlossenen Christenheit verzichte. In seinem Grundsatzdokument führt er die Ursachen der heutigen innerkirchlichen Krise auf die Französische Revolution zurück, deren Gedankengut von den 'Feinden der Kirche', den Freimaurern einerseits und den liberalen Katholiken andererseits, aufgenommen worden sei. Vom Gedankengut der Französischen Revolution (liberté, égalité, fraternité) sieht Lefebvre in der Erklärung [des Konzils] über die Religionsfreiheit besonders den Gedanken der Freiheit verwirklicht. Im Dekret über den Ökumenismus vermutet er den Gedanken der Brüderlichkeit und in der Lehre von der Kollegialität der Bischöfe den Gedanken der Gleichheit.
    Folglich bewertet Lefebvre das Konzil und die Päpste seit Johannes XXIII., auch Benedikt, als Abweichler vom überlieferten Glauben der katholischen Kirche, ja als Häretiker. Bis heute tragen Mitglieder der Priesterbruderschaft Lefebvres diese Generalabrechnung in Grundton und Variationen vor, wie Schifferles Chronologie des Konflikts in zahlreichen Belegen verdeutlicht: Protestanten gelten als Irrgläubige, und am Konzil orientierte, liberale Katholiken unterscheiden sich nach diesem einfachen Schema in nichts von Protestanten. Es geht also nicht, wie viele meinen, nur um den früheren, vorkonziliaren Messritus. Nun könnte man über die Ansichten einer Splittergruppe hinweggehen; denn was sind schon 600.000 Lefebvre-Anhänger weltweit gegen eine Milliarde Katholiken, und was stellen knapp 500 Priester der Bruderschaft im Vergleich zu mehr als 400.000 katholischen Geistlichen dar? Doch außer den skandalösen Ereignissen dieses Konflikts fordert der geistesgeschichtliche Hintergrund Aufmerksamkeit. Schifferle entlarvt in einem eigenen Kapitel die Traditionalisten als politische Fundamentalisten:

    Ihr gemeinsames Ideal ist und bleibt eine glorifizierte Kirche des 19. Jahrhunderts, die sich mutig, mit Geld und Intelligenz, jedem Trend modernen Denkens widersetzt. Ihr Staatsideal ist das ancien régime.
    Damals brandmarkten mehrere Päpste öffentlich Demokratie, Meinungsfreiheit, Menschenrechte als Teufelszeug, und genau so lehnt heute die Piusbruderschaft diese gesellschaftlichen Errungenschaften als glaubenshinderlich, ja glaubensfeindlich ab. Nur der Staat gilt als "guter Staat", der sich zum Ausführungsorgan der Kirche macht.

    [Lefebvres] Gedanke, dass Freiheit nur für die wahre, die katholische Religion zugestanden werden kann, beruht auf der theologischen Rechtfertigung einer Staatskirche sowie auf der Rechtfertigung von Konkordaten, in denen sich die Kirche der weltlichen Autorität bedient, um ihre Lehren für die bürgerliche Gesellschaft verbindlich zu machen.
    Solche Gottesstaat-Gedanken lassen sich bei den Führern der Piusbruderschaft auch in aktuellen Äußerungen belegen. Alois Schifferle warnt:

    Die Gefahr, die im Traditionalismus auftaucht, liegt in dem Bemühen, durch das Vorschieben theologischer Fragen politische Interessen durchzusetzen. Die religiöse Autorität rechtfertigt so politische Autorität, die durch diesen Prozess unantastbar wird unantastbar wird und dazu führt, theologische Fragen gar nicht erst zu stellen. Theologische Argumente werden dazu zweckentfremdet, monarchische Strukturen erneut zu festigen, und der eigentlich gewünschte kritische Ansatz, der vom Volke her resultieren sollte, wird relativiert bzw. ausgeblendet.
    Mag sein, dass nicht allen diese Zusammenhänge bewusst sind, die bei Lefebvres Priestern eine lateinische Messe nach dem vorkonziliaren Ritus suchen. Einer, dem sie bekannt sein dürften, ist Benedikt XVI. Als Kardinal Joseph Ratzinger hat in den 1980er-Jahren als Leiter der vatikanischen Glaubensbehörde die Verhandlungen mit Marcel Lefebvre geführt, um eine Kirchenspaltung durch die Weihe von Bischöfen der Piusbruderschaft zu verhindern – und sich damals düpieren lassen. Was also bewegt den Papst heute, wenn er den damals irregulär geweihten Bischöfen entgegenkommt und damit den Anschein erweckt, das Schisma ungeschehen machen zu können? Diese Frage stellt Schifferle, der sein Manuskript nach der Aufhebung der Exkommunikation abgeschlossen hat, leider nicht. Weil er Theologieprofessor an einer katholischen Universität ist und vatikanische Sanktionen befürchten müsste?

    Hajo Goertz war das über Alois Schifferle: "Die Pius-Bruderschaft. Informationen – Positionen – Perspektiven". Erschienen ist das Buch bei Butzon und Bercker, es hat 399 Seiten und kostet 29 Euro 90.