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Auf dem Weg zum papierlosen Gerichtssaal

IT.- Die Bundesjustizministerin will die Papierberge aus den Verhandlungssälen verbannen und spricht sich für die Einführung der elektronischen Gerichtsakte aus. Doch sind papierlose Prozesse derzeit überhaupt realisierbar?

Von Maximilian Schönherr | 06.12.2011
    Das IT-Forum in München hatte vor allem einen Erfolg vorzuweisen und feierte ihn: ELSA heißt dieser Erfolg, das steht für Elektronische Schutzrechtsakte. Seit 2004 zusammen mit IBM-Deutschland entwickelt und im Juni dieses Jahres freigeschaltet ist dieses Software-Großvorhaben des Deutschen Patent- und Markenamts ein Vorzeigeobjekt geworden, international. Und die vollständige Digitalisierung des Einreiche-, Prüf- und Veröffentlichungsprozesses hat bereits Konsequenzen vor Gericht. Das Deutsche Patentgericht im Süden Münchens hat nämlich zwei Verhandlungssäle, wo es um Streitwerte bis 30 Millionen Euro geht, komplett auf Elektronik umgestellt. Dieser Saal hier riecht noch ganz neu.

    "Das besondere an diesem Raum ist, dass alle Richter einen Großbildschirm an ihrem Arbeitsplatz haben, und die Beteiligten, sprich die Patentanwälte, haben auch entsprechende Großbildschirme. Damit man die Informationen verteilen kann, haben wir eine zentrale Steuerung. Durch die zentrale Steuerung können wir den Beteiligten – und auf einem Großbildschirm der Öffentlichkeit – entsprechende Informationen anzeigen."

    Norbert Mayer, Vorsitzender Richter am Bundespatentgericht. Sein Richterkollege Martin Musiol:

    "Ganz wesentlich beim Design des Saals war uns, dass die Technizität des Saals nicht zum Ausdruck kommt, dass sie auch durch die Raumausstattung im Wesentlichen verdeckt wird. Es soll auch keine Multimedia-Show entstehen; es soll eine Unterstützung der Mündlichkeit der Verhandlung sein, und vor allem, dass bei den Parteien auch der Eindruck bleibt, hier entscheidet der Richter und nicht die Technik."

    Die Daten, die der Verhandlung zugrunde liegen, kommen aus dem Rechenzentrum des Gerichts selbst. Bei der Verhandlung rufen die Richter die Verfahrensakte auf den Bildschirmen vor sich und vor den Anwälten auf. Wenn ein Anwalt dem Gericht ein Detail einer technischen Zeichnung zeigen will, ging er bisher vor zum Richter, alle Köpfe drehten sich dahin, im Publikum sah niemand mehr etwas. Heute kann der Anwalt sitzen bleiben, hat seinen Laptop angeschlossen und beamt die Skizze an die Wand. Das Gerät, welches bestimmt, wer auf welchem Bildschirm was zeigen darf, ist ein kleiner Tablet-Computer oben auf dem Richterpult. Der Richter bleibt also Herr des Verfahrens, auch wenn die Akten nun E-Akten heißen.

    "E-Akten sollen in der Verwaltung und in der Justiz zu zügigen Abläufen führen und zu einer besseren Stellung der Verfahrensbeteiligten: Alle haben zu jedem Zeitpunkt einen viel besseren Überblick über die Akten",

    sagte die Bundesministerin der Justiz, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger. Sie hat in ihrem Ministerium eine Arbeitsgruppe gebildet, Strafprozesse zu elektronifizieren. Was bei Patenten gerade mit Erfolg eingerichtet wurde, ist nicht direkt auf Strafverfahren übertragbar, auch wenn es grundlegende Gemeinsamkeiten gibt: etwa den Datenschutz, die sichere Löschdauer von digitalen Dokumeten, sicheres Kopieren von Daten auf zukünftige Speichertechnologien, und Daten müssen sicher transportiert werden, verschlüsselt.

    Die Strafprozessordnung schreibt Papier regelrecht vor. Das ist die Hemmschwelle. Die führenden Akten eines Strafverfahrens müssen nach dem jetzigen Gesetzesstand auf Papier vorliegen. Jan Dirk Roggenkamp von der Projektgruppe "Elektronische Akten in Strafsachen" im Bundesjustizministerium, sagt deshalb:

    "Die Errichtung führender elektronischer Akten in Strafsachen ist nach dem jetzigen Gesetzesstand nicht möglich, wie es zum Beispiel in der Zivilprozessordnung oder im Ordnungswidrigkeitengesetz der Fall ist. Es ist damals bewusst außen vorgelassen worden, weil man gesagt hat, das Strafverfahren ist ein so sensibler Bereich."

    Der Jurist mit Spezialisierung auf Informatik hält, wie seine Ministerin, Änderungen in der Strafprozessordnung für nötig, um sich von den Aktenstapeln zu verabschieden.

    Auf dem IT-Forum in München herrschte trotzdem weit verbreiteter Optimismus. Die elektronische Akte wird sich in den nächsten Jahren tief in Verwaltungs- und Zivilverfahren einnisten und dort vermutlich wirklich Papier sparen und Transportwege verkürzen.