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Auf dem Weg zur Wasserkrise

Umwelt.- Nach Angaben der Welternährungsorganisation FAO basieren 40 Prozent der Welternährung auf der künstlichen Bewässerung von Land. Und von den bewässerten Flächen werden wiederum knapp zwei Fünftel mit Grundwasser feucht gehalten - ein Problem, das mittlerweile globale Dimensionen erreicht.

Von Lucian Haas | 22.08.2011
    In einigen der heute landwirtschaftlich produktivsten Regionen der Welt wird so viel Wasser aus der Tiefe gepumpt, dass der Spiegel der Aquifere, der Grundwasserleiter im Boden, stetig absinkt. Im Weizengürtel im mittleren Westen der USA beispielsweise zeigen Messdaten, dass das Niveau des sogenannten Ogallala-Aquifers in den vergangenen 50 Jahren um bis zu 40 Meter gefallen ist. Riesige Grundwasserverluste gibt es auch in Kalifornien, Nordindien, Pakistan, China, Iran und Südspanien. Hydrologen wie James Famiglietti von der University of California sehen diesen Trend mit Sorge.

    "Wir sind auf dem Weg zu einer echten Wasserkrise. Wir müssen anfangen, die Grundwasserressourcen der Welt nachhaltig zu bewirtschaften."

    James Famiglietti gehört zu einer internationalen Gruppe von Forschern, die daran arbeiten, eine genaue globale Bilanz der Grundwassernutzung zu erstellen. Bisher sind die dafür am Boden erhobenen Daten nur unzureichend.

    "Manchmal gibt es zu wenige Messbrunnen. Oder die Daten werden von verschiedenen Behörden erhoben und an getrennten Stellen gespeichert. Oder es wird in unterschiedlichen räumlichen und zeitlichen Abständen gemessen. Darum ist es sehr schwer, ein ganzheitliches Bild zu bekommen, wie sich die Grundwasserspeicher mit der Zeit verändern."

    Viele dieser Probleme löst die Fernerkundung aus dem All. Seit 2002 kreist die Satellitenmission Grace um die Erde. Sie vermisst die regionalen Schwankungen der Erdanziehungskraft. Das erlaubt Rückschlüsse auf die Grundwasserbilanz. Denn Wasser hat eine Masse und erhöht somit lokal die Schwerkraft. Dort wo es in größeren Mengen aus dem Untergrund verloren geht, nimmt die Schwerkraft messbar ab.

    Die Ergebnisse der ersten Langzeit-Analysen der Satellitendaten sind ernüchternd. James Famiglietti fand heraus, dass zum Beispiel in Nord-Indien und dem Central Valley in Kalifornien die tatsächlichen Grundwasserverluste deutlich höher liegen als das, was offizielle Statistiken der Länder bisher ausweisen.

    Der Hydrologe Marc Bierkens von der Universität Utrecht hat berechnet, dass derzeit weltweit pro Jahr rund 283 Kubikkilometer mehr an Wasser aus dem Untergrund gefördert wird, als sich durch versickerndes Oberflächenwasser nachbilden kann. Das im Übermaß geförderte Grundwasser fließt schließlich ins Meer. Der Mensch trägt somit direkt zum Anstieg des Meeresspiegels bei – rein rechnerisch um rund 0,7 Millimeter pro Jahr. Marc Bierkens sieht dringenden Handlungsbedarf:

    "Wir müssen Wege finden, um weniger Wasser zu verbrauchen. Die Bewässerungssysteme müssen effizienter werden. Noch gehen rund 50 bis 70 Prozent des Wassers während des Transports und der Anwendung verloren."

    Wasser sparen ließe sich nicht nur mit besserer Technik wie der Tröpfchenbewässerung. Dabei wird das Wasser nicht mehr versprüht, sondern über Schläuche bedarfsgerecht direkt an die Wurzeln der Pflanzen geleitet. Großes Sparpotenzial böte auch die Pflanzenzucht. Zum Beispiel mit neuen Reissorten, die ohne eine zeitweise Überflutung der Felder hohe Erträge liefern.

    Doch selbst wenn hier in Zukunft Erfolge erzielt werden könnten, bleibt laut Marc Bierkens ein zentrales Problem: das Bevölkerungswachstum. Mehr Menschen brauchen mehr Nahrung. Deshalb werden die bewässerte Fläche und somit der Wasserbedarf eher noch zunehmen.

    "Ich rechne damit, dass die Grundwasserabsenkung weitergeht – mindestens bis 2050. Dann wird ein Großteil des Grundwassers vielerorts so tief liegen, dass einfache Bauern es nicht mehr fördern können. Erst nach 2050 wird der Grundwasserverbrauch womöglich wieder abnehmen."

    Wie die Welt ernährt werden soll, wenn das erreichbare Grundwasser in den Kornkammern der Länder verbraucht ist, vermag sich noch keiner der Wasserexperten auszumalen. Klar ist für sie nur eins: Derzeit wird noch viel zu wenig getan, um die große Wasserkrise abzuwenden.

    Zur Sendereihe "Wege aus der Wassernot"