Freitag, 19. April 2024

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Auf den Spuren von Walter Smetak
Klangwerkstatt am Südatlantik

Salvador da Bahia ist bekannt für die lebendige afrobrasilianische Musikszene. Der musikalisch-gedankliche Kosmos, den Walter Smetak mit seinen fantastischen Instrumenten geschaffen hat, ist dagegen unbekannt. Das Frankfurter Ensemble Modern begab sich nun mit brasilianischen Komponisten auf Spurensuche.

Von Max Nyffeler | 02.08.2016
    Die von Walter Smetak gebauten Instrumente hängen an einer Wand
    Selbstgebaut: die Instrumente von Walter Smetak (Deutschlandradio / Max Nyffeler)
    Musik: Tres sois
    So klingen die "Drei Sonnen": drei unabhängig voneinander sich drehende, bunt bemalte Scheiben, die beim Kreisen kleine metallene Lamellen anreißen und damit zum Klingen bringen. Der einfältige "Cretino" hingegen besteht nur aus einem Plastikschlauch, mit einem Mundstück an einem Ende und einem Haushalttrichter am anderen.
    Musik: Cretino
    Viel komplizierter ist die Vina, genannt nach den traditionellen indischen Saiteninstrumenten. Sie wird gespielt wie ein Cello, hat aber nur drei Saiten und oben und unten große Resonanzkörper aus Kürbishälften. Auch einige Schläuche, Drähte und ein Glöckchen sind daran befestigt.
    Musik: Vina
    "Drei Sonnen", "Cretino" und "Vina": Drei Exemplare aus dem märchenhaft bunten Instrumentalzoo des brasilianischen Komponisten und Instrumentenbauers Walter Smetak. Es sind künstlerisch individuell gestaltete Einzelstücke. Originelle Streichinstrumente befinden sich darunter, Holzskulpturen wie die zwei Köpfe, zwischen denen Saiten zum Zupfen aufgespannt sind, oder eine spiralförmig gewundene, zwei Meter hohe Plastik aus starkem Metalldraht, daran befestigt Symbole für die sieben Chakren aus der indischen Tantra-Lehre. Oder ein Bild mit einem Fisch, über das Saiten gespannt sind, afrikanisch anmutende, fetischähnliche Figuren und viele andere Fantasiegestalten.
    Ein europäischer Emigrant
    Walter Smetak, ein Schweizer mit tschechischen Vorfahren, hatte in Salzburg und Wien Violoncello studiert. 1937 verließ er das alte Europa in Richtung Brasilien. Er landete schließlich im Nordosten in Salvador da Bahia. Hier, im kulturellen Melting Pot am Südatlantik, unterrichtete er an der Universität und spielte Cello im Sinfonieorchester, doch seine Leidenschaft galt mehr und mehr der Erfindung neuer, fantastischer Instrumente: "Plásticas sonoras", Klangplastiken mit ausgeprägt visuellem Charakter und voller Symbolik.
    Musik: Pindorama
    Als Walter Smetak 1984 starb, hinterließ er weit über hundert solcher Objekte. Jahrelang lagerten sie in irgendwelchen Abstellräumen der Universität, bis sie vor einigen Jahren einen Platz in einem neuen Museum im historischen Zentrum der Stadt fanden, wo man sie heute besichtigen kann.
    Wie man Ausstellungsstücke wieder zum Leben erweckt
    Doch Smetak wollte keine Ausstellungsstücke schaffen, sondern Musik machen. Zusammen mit Studierenden und Freunden improvisierte er im kleinen Kreis. Auch spätere Berühmtheiten wie die Liedermacher Gilberto Gil und Caetano Veloso machten eine Zeitlang mit. Nach den Erinnerungen derer, die damals dabei waren, handelte es sich um eine Art esoterische Séancen. Smetak war nämlich Mitglied der brasilianischen Eubiosis-Vereinigung, einer theosophischen Gemeinschaft, die den Menschen zu einer höheren Existenz führen will. Smetak sei ein bärbeißiger Sonderling gewesen, der vollkommen in dieser Ideenwelt lebte, sagt Tuzé Abreu, einer seiner alten Freunde. Er wehrte sich dagegen und hasste es sogar, als Künstler bezeichnet zu werden. Die Improvisationsrunden sollten nichts als die Ideen der Eubiose verwirklichen und das Bewusstsein erweitern.
    Jenseits aller Esoterik wecken Smetaks Instrumente natürlich das musikalische Interesse. Im Juli machten sich nun einige Mitglieder des Frankfurter Ensemble Modern auf nach Salvador, um sie kennenzulernen. Ermöglicht wurde die Reise unter anderem durch das Berliner Künstlerprogramm des DAAD und das Goethe Institut. Eingeladen waren auch einige brasilianische Komponisten. Sie sollen für die Instrumente nun Stücke schreiben, die dann 2017 aufgeführt werden. "Re-Inventing Smetak" heißt das Projekt, bei dem die ungreifbar ferne Gestalt Smetak wieder nahegerückt werden soll. Dazu Julia Gerlach, die Leiterin Musik im Berliner Künstlerprogramm:
    "Da sind auch Komponisten. Es ist nicht Smetak pur. Es ist aber auch wichtig, dazu noch Smetak pur zu haben, und das soll dann über Ausstellungsmomente oder auch über Diskurse, Vorträge erfolgen."
    Vier Tage lang herrschte konzentrierte Arbeitsatmosphäre in Salvador. Man hörte sich Erfahrungsberichte von Weggefährten Smetaks an, Kenner seines Werks erläuterten die gedanklichen Hintergründe, und vor allem untersuchten die Musiker und Komponisten gemeinsam die Klangmöglichkeiten der Instrumente.
    Annäherung an das Unbekannte
    Den Interpreten, so war zu beobachten, kamen sie zunächst wie ein Buch mit sieben Siegeln vor; die Klänge und ihre Hervorbringung mussten erst Schritt um Schritt erforscht werden. Wie geht ein professioneller Musiker an diese Aufgabe heran? Muss er sich auch mit den dahinter stehenden Ideen befassen? Michael Kasper, Cellist im Ensemble Modern, ist in diesem Punkt zurückhaltend:
    "Ich habe den Anspruch schon, dass die klingen sollen, in irgendeiner Art und Weise klingen sollen. Wenn ich das Gefühl habe, die klingen nicht, durch die Saiten, vielleicht durch die Bauart oder sowas, dann muss ich mich mit dem Instrument befassen. Ich habe mich gerne versucht zu befassen mit der ganzen Ideenwelt von Smetak, aber das ist auch schon ein sehr, ich würde mal sagen, komplexes Feld."
    Musik: Jam Session
    Zum Abschluss des brasilianisch-deutschen Arbeitstreffens probierten Komponisten und Interpreten die Klangkörper erstmals gemeinsam aus: Eine improvisierte Jam Session, ein vorsichtiges Herantasten an das Unbekannte. Nun müssen die Erfahrungen verarbeitet werden. Auf die definitiven Ergebnisse dieser Expedition in fremde Klangwelten darf man gespannt sein.