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Auf den Wellen von "Warnefornia"

Zum Surfen an den Atlantik? Nicht nötig: Auch an der deutschen Ostseeküste kann man wellenreiten. Die Fähren, die von Dänemark aus Warnemünde ansteuern, lösen eine Bugwelle aus und bescheren den Surfern somit einen kleinen, aber guten Wellenritt - nach Fahrplan.

Von Kerstin Ruskowski | 04.08.2013
    California? Pfff - brauch ich nicht. Ich geh heute in Warnefornia surfen, am Strand von Warnemünde. Noch sind allerdings keine Wellen in Sicht, das Wasser ist eher platt. Lange kann es aber nicht mehr dauern: Am Horizont zeichnen sich allmählich die Umrisse der Scandlines-Fähre aus Dänemark ab.

    "Es gibt eigentlich nur zwei Fähren, die du hier nehmen kannst und beide Fähren haben die gleiche Route, also die fahren eigentlich immer im Pendelverkehr hin und her und das ist diese Fähre, die du da jetzt siehst. Und die hat heute richtig viel Schaum vorm Bug - das sieht eigentlich echt gut aus, wie sie jetzt reinfährt, ne."

    Zusammen mit Torsten Camps will ich die Fähre nehmen - genauer gesagt, die Fährwellen. Torsten ist 42, von Beruf IT-Projektentwickler und surft erst seit vier Jahren - seitdem allerdings fast jeden Tag. Mit leuchtenden Augen beobachtet er, wie das Schiff aus dem dänischen Gedser auf den Warnemünder Hafen zusteuert. An dem Schaum vorm Bug glaubt er ablesen zu können, wie gut die Wellen werden. Denn der stumpfe Bug der Scandlines-Fähren drückt das Wasser so vor sich her, dass eine Bugwelle entsteht. Bis zum Strand der Warnemünder Bucht sind daraus mehrere Wellen geworden, die als zwei bis maximal drei Sets in die Bucht rollen. Andere Fähren, beispielsweise aus Schweden, erzeugen keine Wellen, sagt Torsten. Denn ihre Route macht einen Knick - so lautet zumindest ein Erklärungsansatz, warum die Wellen ausschließlich durch die Fähren aus Gedser entstehen. Torsten verdeutlicht mir das mit einer kleinen Zeichnung im Sand.

    "Und davon ist die eine Theorie, dass, du hast halt wirklich - du hast dann hier Gedser und hier Rostock und die fahren grade rüber, die fahren grade hier rein, ne. Und dass die einfach sagen, dass es die Strecke auch macht, dass die permanent auf einer Linie hier runterfahren in den Hafen von Rostock rein, dass diese Strecke das auch einfach ausmacht, dass es gradlinig ist, dass die dadurch, diese Wellen mitziehen, ne. Das ist so mit eine Theorie, ne."
    Inzwischen ist die Fähre schon an dem grün-weiß gestreiften Leuchtturm an der Spitze der Mole vorbei gefahren. Ich mache schnell meinen Neoprenanzug zu, denn Torsten wird langsam unruhig - und ich auch. Schließlich ist der ganze Spaß mit den Wellen nach ungefähr 20 Minuten schon wieder vorbei. Wenn wir diese Zeit nicht nutzen, müssen wir gut eineinhalb Stunden warten - bis die nächste Fähre kommt.

    "Das ist Stress, also du surfst die Welle, freust dich, möchtest aber in diesem einen Set noch mindestens eine, vielleicht sogar zwei noch abkriegen und dann paddelst du ganz schnell wieder zurück, sofort wieder da ins Line-up da hinten, um die nächste mitzukriegen. Und das ist dann wirklich nachher, das powert dich auch ganz schnell aus. Und dann haste Zeit zum durchatmen, dann kommt das zweite so nach fünf, sechs Minuten."

    Zeit zum Durchatmen haben wir jetzt nicht mehr.

    Ich klette mir die Leash um den linken Fußknöchel, packe mir das Brett unter den Arm und hefte mich an Torstens Fersen.

    Zum Glück müssen wir gar nicht weit paddeln, denn relativ dicht vor dem Strand liegt eine Sandbank. Der Punkt knapp oberhalb der Sandbank ist ideal, um die Welle zu nehmen, hat Torsten mir vorher verraten. Das ist der Vorteil, wenn man mit "Locals" surfen geht.

    Ich finde es schwierig, die Fährwelle zu erkennen, denn sie ist nur etwa 30 Zentimeter hoch. Größere Wellen, beispielsweise am Atlantik, sind dagegen kaum zu übersehen. Hinzu kommt, dass es heute ein bisschen windig ist. Optimale Bedingungen sehen hier anders aus.

    "Optimal ist, wenn gar kein Wind ist und wenn du ganz, ganz glattes Wasser hast, ne."

    Torsten hat schon zwei Wellen genommen - ich dagegen sitze immer noch unschlüssig auf meinem Brett rum. Dann endlich fange auch ich eine Welle und schaffe es sogar, aufzustehen. Das ist gar nicht so einfach, denn diese Fährwellen haben deutlich weniger Kraft als die natürlichen Atlantikwellen, die ich sonst so gewohnt bin. Bis ich mich einigermaßen daran gewöhnt habe, herrscht schon wieder Flaute. Die ersten beiden Sets sind vorbei, erklärt Torsten.

    "Es gibt so in der Regel immer drei Sets und die laufen immer unterschiedlich. Was ich jetzt dieses Jahr festgestellt habe, ist, das erste und zweite Set sind sehr dicht aneinander, dass man das schlecht unterschieden kann, ob das nun ein ganzes war und dass es nur zwei nachher gibt oder ob das wirklich zwei Sets waren, ne."

    Wir haben Glück, das dritte Set kommt noch - allerdings werden die Wellen von Set zu Set immer kleiner. Als Surferparadies würde ich Warnemünde nach meiner kleinen Session mit Torsten nicht grade bezeichnen. Von wegen Warnefornia - kein Vergleich zu den Wellen an der kalifornischen Küste in den USA. Das ist Torsten natürlich auch klar.

    "Wenn du Leute hier hast, die aus Australien kommen oder aus Amerika oder so was und du erzählst denen, du surfst hier ne Fährwelle, die dann so wie jetzt hier - das sind 30 Zentimeter oder so was, was du jetzt grad hier reinlaufen siehst. Die sagen: Häh, was? Da surfst du? Da geh ich gar nicht rein."

    Naja, Warnefornia ist auch eher ein bisschen selbstironisch gemeint. Doch fest steht: An der Ostsee kann man surfen. Die Wellen sind zwar meistens klein, aber sie kommen immer nach Fahrplan.

    "Aber, das ist so: In München haben die dann halt ihren Eisbach. Wir haben dann hier die Fährwelle, die mit einer Garantie dann etwa alle zwei Stunden kommt, ne."
    Surfer vor Warnemünde
    Surfer auf den Bugwellen vor Warnemünde (Kerstin Ruskowski)