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Auf der Himmelstreppe

Am 08. November 1971 erschien eine LP, die eigentlich keinen Titel hatte. Der Gitarrist der Band wollte sehen, ob sich die Schallplatte auch so verkauft. Sie verkauft sich bis heute: Led Zeppelin, die Vierte - die mit dem Lied über die Treppe zum Himmel.

Von Knut Benzner | 05.11.2011
    Jahrgang 1955, wenn es interessiert.

    Atmo: Borussia Mönchengladbach - Inter Mailand 1971 (Youtube)

    Diese Zwischengeneration, zackig, zäh, zaghaft und unzahm, zu alt, um noch ein Kind gewesen zu heißen, zu jung für die, auf die man blickte, alles sollte anders werden (was es auch war), frei sein, frei sein, aber Chaos muss dabei sein, schlimmste Schule, ahnungslos alle, pubertierend – ohne Pickel.

    Atmo: Klaus Kinski: Jesus Christus Erlöser Tour 1971 (Youtube)

    Wir hatten einen Partykeller – der Mittelpunkt unseres Lebens. Fast. Eine Single kostete fünf Mark, wir hatten einige, etwa 300, einer unserer festen Freunde bekam stets Geld von seinen Großeltern, und die Singles, systematisch sortiert nach Alphabet, liefen rauf und runter.

    Was? Alles.

    Atmo: Deep Purple: Strange Kind of Woman (Youtube)

    Beziehungsweise nicht alles – nämlich keine Schlager. Es gab fürchterliche Schlager, schreckliche, schlimme, abscheuliche, scheußliche Schlager, im Radio und im Fernsehen, der ehemalige Automobilverkäufer und Schlagermoderator aus Saarbrücken, Dieter Thomas Heck, führte sich im ZDF auf wie ein Blöder, und wenn er heute als Kult verkauft wird, gilt nur eines: Glauben Sie kein Wort. Parallelgesellschaften sozusagen.

    Atmo: Danyel Gerard: Butterfly 1971 auf deutsch (Youtube)

    Hier die, dort die. Mit denen war die Revolution undenkbar. Bieder bis zur Bewusstlosigkeit. Willy Brandt wurde nach wie vor als Vaterlandsverräter verunglimpft, lange Haare waren von Filzläusen befallen, und irgendwelche Flausen würden uns schon ausgetrieben. Spätestens beim sogenannten Bund, der Verteidigungsgesellschaft, etwas Strenge hat noch nie geschadet.

    Atmo: Deutschland und die RAF (Youtube)

    Hinein in die Zeit der RAF. Sie hatte viele Anhänger, und wenn schon keine Anhänger, dann immerhin Apostel, allerdings in den seltensten Fällen Aktivisten. Doch der Staat galt als verdächtig. Gab es linke Rockmusik? Gute Frage.

    Atmo: Beggars Opera: Time Maschine (Youtube)

    Und dann? Meine Mutter schwört noch heute, sie habe gerne die Beatles und die Rolling Stones gehört. Wenn dem so war, muss sie das heimlich gemacht haben. Und dann?

    Musik: Rock and Roll

    Wummmm! Vier Kerle in engen Hosen mit Hemden offen bis zum Bauchnabel. Zumindest zwei von ihnen krachende Blueser, wobei niemand wusste, was Blues war.

    Musik: When The Levee Breaks

    Die wilden Haare wirklich bis zum Hintern, wow beziehungsweise WOW! Verstörung beschreibt den Zustand nur vermeintlich. Verblüffung, Verwirrung und Verzweiflung.

    Musik: Black Dog

    Panische Angst quasi vor dieser dampfenden Männlichkeit dieser vier arroganten - sagen wir es ruhig - Arschlöcher. Anmaßend und altklug. Sieben bis zehn Jahre älter als wir, die alles bürsteten, was sie vor die Flinte bekommen konnten – kolossal beziehungsweise was war denn das?

    Musik: Four Sticks

    In den Diskotheken sprangen die Stroboskope in die Parade der Ballade. Bis heute nicht tanzbar ...

    Musik: Stairway to heaven

    Bei der Musikpresse stießen sie auf Ablehnung, die Anlehnung ihrer Anbeter geschah millionenfach. In unserem Partykeller ging halbwegs die Post ab. Wollten wir etwa auch mal so sein wie die? Jein. Da gab es in unserer Sammlung der erwähnten Singles eine Scheibe, mit der niemand kaum annähernd was anfangen konnte. Die Band hieß The Byrds, kaum bekannt in der Bundesrepublik, die Single trug den Titel Bugler, von der LP Farther Along, ebenfalls 1971 – wie versöhnlich, wie weit, wie einsam ...

    Musik: Bugler

    ... wie anders, wie nah, wie träumerisch und bis heute unverstanden. Zwei Bandmitglieder von Led Zeppelin sind schon lange bereits mit den höchsten Orden ausgezeichnet, die Großbritannien zu vergeben hat. Und seit Ende 2007 erklingen die nach C-Moll transponierten Takte 8 bis 16 von Stairway To Heaven täglich um 12:04 Uhr vom Glockenspiel im Turm des Fürther Rathauses. Things have changed – das ist dann Bob Dylan.