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Auf der Suche nach dem großen Glück

Die junge tschechische Autorin Petra Hulová gilt als eines der hoffnungsvollsten Schreibtalente Tschechiens. Mit ihrem Debütroman "Kurzer Abriss meines Lebens in der mongolischen Steppe" hat Petra Hulová, damals 23 Jahre alt, Kritiker und Leser überzeugt und vom Fleck weg einen Bestseller geschrieben. Nun ist ihr dritter Roman "Manches wird geschehen" in Deutschland erschienen. In ihm verfolgt sie die Spur zweier junger Menschen in New York.

Von Annette Brüggemann | 26.02.2009
    Vom Nomaden-Clan zur Großfamilie in der Bronx - die junge tschechische Autorin Petra Hulová ist eine Reisende in der Schrift. Nikita Michalkows preisgekrönter Film "Urga" war es, der die tschechische Autorin darauf brachte, Mongolistik zu studieren. Und so entspringt ihr gefeiertes Debüt persönlichen Erfahrungen, die sie während eines längeren Aufenthalts in der Mongolei machte. In "Kurzer Abriss meines Lebens in der mongolischen Steppe" ist es das Nomadenmädchen Dzaja, das den Leser aus dem Stand in ein fremdes Land lockt.

    Von Dzaja ausgehend erzählt Petra Hulová das Leben dreier Frauenschicksale, von Mutter, Tochter und Enkeltochter - im Spannungsfeld zwischen Tradition und Moderne.

    Dzaja ist keine reine Mongolin und nicht besonders anerkannt im Nomaden-Clan. Darum geht sie, als sie volljährig ist, mit großen Hoffnungen in die Stadt. Dort wiederum ist sie eine Fremde, die niemand will. Und so ergeht es auch der jungen Tschechin Tereza in Petra Hulovás Roman "Manches wird geschehen". Sie trifft mit Kinobildern und Träumen von Ruhm und Erfolg als angehende Fotografin in New York ein und phantasiert sich hinein in ein gemeinsames Leben mit ihrem geliebten Jon, den sie in Prag längst verloren hat.

    "In einer Bambushütte unter eine Kokospalme, im fünfzigsten Stockwerk eines Wolkenkratzers, in einer billigen Absteige mit rostigem Bad, so hatte sie sich in New York ihre erste Wohnung vorgestellt. Nichts schien allzu schwer. Wohnungsannoncen von jedem Kontinent, im Web ließen sich genug finden. Mit der Kreditkarte und einem Stadtplan in der Tasche, so würden sie auftreten. Mit leichten Rucksäcken und Hand in Hand die Zweite Avenue entlanggehen, dabei einem der Bettler ein paar Dollar zuwerfen, der in der Vierzehnten etwas vom alten Lennon trällert, und in einem abgelebten Hotelzimmerchen in Chelsea würden sie einander bis zum Morgengrauen lieben. Irgendetwas in der Art hat sie mal gelesen oder sie hat es im Kino gesehen. Dass die Jungen und Talentierten in dieser Stadt so beginnen sollten."

    Alles kommt anders wie im Film. Völlig auf sich gestellt strandet Tereza bei ihrem tschechischen Onkel Rudolf in New York, der sie in seiner kleinen Wohnung zwischen verstaubten, antiquarischen Möbeln einquartiert. In ihren Augen eng und wortkarg, kann Rudolf Tereza kein Zuhause bieten. Sie flüchtet und trifft auf den Straßen des Szeneviertels Wiliamsburg auf eine alternative Künstlerkommune, der sie sich anschließt. Und auch vor sich selbst flüchtet sie und lässt ihre einst gefragten Fotografien bei ihrem Onkel Rudolf in der mitgebrachten Mappe zurück - als gehörten sie wie eine abgestreifte Hülle zu einer alten Identität.

    Es wird allerdings noch einige Irrwege brauchen bis sie auf einer Parkbank Ramid trifft - der ebenso ein Fremder in dieser Stadt ist wie sie.

    "Ein gelungener Tag, nicht?"
    So wie in diesen Filmen. Jemand spricht sie an und manches wird geschehen.
    "Wie heißt du?"
    Sie sah neben sich.
    "Ich heiße Ramid und wohne gleich hier."
    "Tereza. Angenehm."
    In ihrer Sprache würde sie das nicht sagen. Lächerlich.
    "Spielst du Klavier? Du hast so Hände."
    Tereza schüttelte den Kopf. Das mit den Händen sagten alle. Auch: Du hast Augen, so blau wie Zwetschkenfrüchte. Nach der Großmutter geraten. Himmelblau."


    Tereza verliebt sich in Ramid, ohne es zu wollen. Und ebenso wie sie als Fotografin distanziert und aufmerksam auf die Welt blickt, so hört sie ihm jetzt zu.

    Mit Ramid beginnt ein Reigen aus Geschichten, der sich mit Terezas Erfahrungen überschneidet und einen Kosmos eröffnet, der über die Grenzen der Gegenwart und denen der Metropole New York hinausweist.

    So die Geschichte von Ramids persischem Onkel Charil, in dessen Familie in der Bronx Ramid als 16-Jähriger aufgenommen wird. Charil war einst ein Gaukler, der mit dem Zirkus "Les Mémoires" und ein paar Lamas aus seiner Heimat nach New York kam. Der Zirkus hat nicht überlebt. Und die Lamas, die vom Zirkuspersonal nicht mehr ernährt werden können, bahnen sich - in einer grotesken Szene des Buches - ihren Weg über die Fifth Avenue an der Boutique Dior vorbei ins Grüne, in die Freiheit.

    So wie Tereza ist Ramid auf der Flucht und zieht von einem Ort zum nächsten: Von Chicago, über einer Wohnwagensiedlung in Ohio, bis nach Florida und zurück nach New York.

    "Er hätte niemals gedacht, dass Amerika auch so aussehen kann. Menschenleere Städte und Dörfer, in denen, wie ihm ein Fahrer versicherte, Menschen lebten, aber sie waren nirgendwo zu sehen, weil es in den Städten keine Gehsteige gab, und jeder verließ das Auto nur auf dem Parkplatz vor dem Supermarktzentrum oder in der eigenen Garage. Städte und Dörfer, die keinen Anfang und kein Ende hatten, sie zogen sich dahin und dazwischen lagen Fabriken und Elektrizitätswerke und Autokonzerne, vor denen (hinter einem Zaun) tausende Fahrzeuge standen, und wenn die Sonne schien, glänzten ihre Motorhauben wie die Rücken einer unendlich großen Herde von bunten Tieren eines fremden Planeten, die gerade aus dem Wasser gekrochen waren. Wie auf einem fremden Planeten fühlte sich auch Ramid."

    Am Ende von Ramids Erzählung angelangt, laufen die Fäden von Ramid und Tereza wieder zusammen, ohne eine eindeutige Richtung anzugeben. Ist es nun die Liebe, die die beiden in New York Gestrandeten weiterträgt?

    Petra Hulovás Art zu erzählen ist fast altmodisch. Sie lässt sich Zeit, bewegt sich mit wechselnden Perspektiven von einer Figur zur anderen, schwelgt in ihren poetischen Bildern. Doch je länger man der Melodie dieser Literatur folgt, umso tiefer versinkt man in dem feinen Netz, das Petra Hulová um ihre Figuren und deren Erinnerungen spinnt.

    Und so wie ihre Figuren zwischen ihrem Wunsch nach familiärer Geborgenheit und individueller Unabhängigkeit pendeln, so bleibt auch die Literatur Petra Hulovás in der Schwebe.

    Sie ist - trotz aller geografischer Verortung - dem Wesen der Sehnsucht gewidmet: unbestimmt, flirrend und zeitlos.

    Petra Hulová: "Manches wird geschehen" (Roman)
    Aus dem Tschechischen von Michael Stavaric
    Originaltitel: Cirkus Les Mémoires (2005)
    Deutsche Erstausgabe, TB Sammlung Luchterhand 2009, 352 Seiten,
    ISBN: 978-3-630-62143-2
    Preis: Euro 9,00