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Auf der Suche nach einem neuen Geschäftsmodell

Als leidenschaftlicher Anhänger von gedruckten Zeitungen weiß der Chefredakteur der britischen Tageszeitung "The Guardian", dass die Tage seiner geliebten Papierzeitung gezählt sind. Deshalb geht Alan Rusbridger neue Wege.

Von Eleni Klotsikas | 23.10.2010
    "Viele Zeitungen dachten, sie hätten mit einer guten Onlineausgabe den Sprung ins digitale Zeitalter geschafft. Sie dachten, so etwas wie Facebook hat nichts mit ihnen zu tun. Aber nein, wir alle müssen noch einmal neu lernen, wie man Journalismus im Web 2.0 gestaltet."

    Längst geht es Rusbridger dabei nicht mehr nur darum jede Story abdecken zu müssen, sondern sie innovativ, anders als andere zu erzählen. Zur Rettung der Bergarbeiter schickte er einen Reporter nach Chile, der seine Eindrücke in einem Liveblog im Minutentakt auf der Webseite des "Guardian" schilderte. Mit Erfolg. Zwei Millionen Leser verfolgten das Geschriebene an zwei Tagen.

    "Der amerikanische Internetguru Jeff Jarvis sagt, tu, was du am besten kannst und verlinke zum Rest. Lass die anderen den Rest machen. Und daran halten wir uns. Früher hätten wir Storys geschrieben mit denen wir uns heute nicht mehr beschäftigen würden, weil jemand anderes sie sowieso schreibt. Einen Link zu setzen und hinzuzufügen, dass man dem Geschriebenen zustimmt, dauert eine Minute. Indem man offen und kollaborativ ist, spart man eine Menge Zeit. Und wenn es um die Frage geht, was wir als Guardian im Moment am besten können, dann ist es die Erfindung des Livebloggens als neue journalistische Form."

    Doch Rusbridger geht es nicht nur darum Journalismus neu zu erfinden, sondern diesen auch zu öffnen. Es gibt immer jemanden da draußen der mehr weiß als der Journalist, weiß Rusbridger. Um ihre Akzeptanz in der Wissensgesellschaft behaupten zu können, fordert er von Journalisten ihre Unwissenheit einzugestehen und für das Wissen von außen empfänglich zu sein:

    "Wir schreiben zum Beispiel auch über Steuern, sind darin aber keine Experten. Inzwischen wenden wir uns an unsere Leser und sagen: Hier ist ein Dokument, das wir nicht verstehen, können sie uns dabei helfen? Das ist ein Beispiel, wo wir wirklich auf die Weisheit der Massen setzen."

    Manchmal setzt Rusbridger auch auf die Arbeitskraft der Massen. Als dem "Guardian" 400.000 Dokumente zugespielt wurden, auf denen die exorbitanten Privatausgaben britischer Parlamentarier dokumentiert waren, wusste er, dass es schier unmöglich sein würde, diese nach relevanten Informationen zu durchforsten. So veröffentlichte er sie auf der Webseite des "Guardian" und bat seine Leser um Hilfe. 23.000 Leute beteiligten sich an dieser Aktion, so dass am Ende nur einige wenige hundert relevante Seite übrig blieben.

    "Wenn man auf das 19. Jahrhundert zurückschaut, gab es einen Mangel an Wissen. Da konnte man als Journalist leicht behaupten, dass man über alles am besten Bescheid weiß. Aber weiß ein Gerichtsjournalist mehr als ein Richter oder ein Medizinjournalist mehr über Herzchirurgie als ein Chirurg? Ein Buch, das im Jahre 2000 veröffentlicht wurde, heißt "Sie wissen mehr als wir". Das war für uns ein neues Mantra für den Journalismus."

    Wie viele andere Zeitungsmacher dieser Tage hat auch Rusbrigder nicht das Patentrezept für das Überleben seiner Zeitung im digitalen Zeitalter. Der "Guardian" schreibt tief rote Zahlen. Getragen wird das Traditionsblatt derzeit von einer Stiftung, die das Überleben der Zeitung sichert. Wie lange noch, das weiß auch Alan Rusbridger nicht. Auf die Frage, wann der Guardian wieder profitabel werden wird, antwortet er lieber mit einer Gegenfrage.

    "Was ist besser, jetzt schnell ein wenig Geld zu verdienen und dafür aber die Leser zu verlieren oder sich einzugestehen, dass man noch nicht das Geschäftsmodell gefunden hat, dafür aber das schlagende Herz einer neuen Entwicklung geworden ist?"

    Wenn eine seiner Töchter zu ihm sagen würde: "Dad, ich würde gerne Journalistin werden", würde er ihr davon nicht abraten, sondern sie ermutigen, sagt er. Noch nie war es für ihn spannender Journalist zu sein als dieser Tage. Doch er würde seine Töchter auch darauf vorbereiten, dass in diesem Job momentan nicht viel Geld verdienen können.