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Auf der Suche nach Heimat

Die 42jährige Schriftstellerin, Mutter zweier Kinder gilt in Großbritannien als eine der besten britischen Schriftstellerinnen ihrer Generation. (Granta Liste von 1993) Ihr erster Roman ‚Marrakesch’ wurde erfolgreich verfilmt. Ihre Romane werden in 15 Sprachen übersetzt. Die Urenkelin Sigmund Freunds hat sich in ihrem Bücher wiederholt mit einem Stück der eigenen Familiengeschichte, der erzwungenen Emigration, auseinandergesetzt, insbesondere in ihrem dritten Roman 'Sommer in Gaglow'.

Von Johannes Kaiser | 25.07.2005
    Und es ist gewiss auch kein Zufall, dass in ihren Romanen wiederholt Maler eine wichtige Rolle spielen. Es war für die 1963 in London geborene Esther Freud, Urenkelin des Wiener Psychiaters, Tochter des Malers Lucian Freud, nicht leicht, in einer berühmten Familie aufzuwachsen. Nachdem sie als Kind mit ihrer Mutter und ihrer Schwester zwei Jahre durch Marokko gezogen war, Erfahrungen, die sich in ihrem Roman 'Marrakesch’ niederschlugen, beschloss sie, zurückgekehrt, eine Schauspielerlaufbahn einzuschlagen:

    "Ich glaube, man kann in einer sehr starken Familie unsichtbar werden und ich wollte nicht unsichtbar sein. Schauspielerin zu sein, war die sichtbarste Form, die ich wählen konnte, aber das war sicherlich falsch für mich, denn ich bin ein zu sehr in mich gekehrter Mensch und war denn auch froh darüber, etwas anderes finden zu können. Dann empfand ich es nicht mehr als Last, sondern es war wunderbar, Teil dieser Familie zu sein. Das sagt sich natürlich leicht, wenn man zufrieden ist. Ich war überrascht, wie wenig Erfolg ich brauchte, um glücklich zu werden, nur ein kleines bisschen. Ich brauchte nicht viel, musste nicht weltweit berühmt sein. Es reichte mir, dass meine Lokalzeitung eine gute Kritik veröffentlichte."

    Die fünf Romane, die Ester Freud bislang veröffentlicht hat, fanden nicht nur in Lokalzeitungen freundliche Aufmerksamkeit. Ihre Bücher werden weltweit übersetzt, gut besprochen und gut verkauft. Ihr Debüt 'Marrakesch' wurde sogar verfilmt. Der Schauspielerei ist sie insofern treu geblieben, als sie weiterhin Stücke für die Bühne oder für das Fernsehen schreibt. Typisch für all ihre Arbeiten ist, dass sie stark autobiographisch geprägt sind getreu der Überzeugung der Schriftstellerin:

    "Ich wollte immer etwas benutzen, das mir persönlich etwas bedeutet. Ich habe nie eine Geschichte geschrieben, die keinerlei Beziehung zu mir hat. Ich weiß nicht, ob überhaupt irgendein Schriftsteller so etwas macht. Ich kann mir nicht vorstellen, warum man die Geschichte von jemanden anderem schreiben möchte, der mit einem selbst nichts zu tun hat. Es muss von innen kommen, man selbst muss daran interessiert sein und ich bin an Familien interessiert, an Häusern, woher wir kommen und wie wir geformt werden. Ich schreibe viel über Kindheit. Alle meine Bücher haben davon Elemente."

    So darf man wohl annehmen, dass auch ihr jüngstes Werk 'Das Haus am Meer’ auf eigenen Erfahrungen beruht.

    Lily hat sich aus dem turbulenten London ans Meer zurückgezogen, ein kleines Haus an der Küste Suffolks in dem kleinen Fischerort Steerborough gemietet, um sich ungestört ihrer Arbeit über den deutschen Architekten Klaus Lehmann widmen können. Der hatte vor den Nazis nach England flüchten müssen, damit eine aussichtsreiche Karriere in Deutschland aufgegeben und nie wieder richtig Fuß gefasst. Lily ist bewusst im selben Dorf untergeschlüpft, in dem damals Lehmanns Frau Elsa wohnte. In ihrer Tasche hat sie einen ganzen Stapel Liebesbriefe des Architekten an Elsa. Sie beginnen in den ersten Jahren der Ehe und enden bei Lehmanns mühsamen Versuchen, im britischen Exil Arbeit zu finden. Es sind Zeugnisse einer verzweifelten, inbrünstigen, in ihrer Ausschließlichkeit fast schon bedrohlichen Liebe.

    Um so deutlicher kommt Lily die Lieblosigkeit ihrer eigenen Beziehung zu Bewusstsein. Sie hat London nicht nur verlassen, weil sie endlich in Ruhe arbeiten wollte, sondern auch, weil sie sich von ihrem Freund Nick nicht so beachtet und geliebt fühlt, wie sie es gerne hätte. Er ist sich ihrer offenkundig allzu sicher, gibt sich wenig Mühe, auf ihre Bedürfnisse einzugehen, vergisst anzurufen, hat ständig Ausreden, warum er sie nicht besuchen kommt. Der Kontrast zwischen ihrem eigenen Liebesleben und den Liebesschwüren des Architekten ist erheblich.

    So wie Lily versucht, sich in dem kleinen Dorf einzuleben, hat sich 40 Jahre vor ihr auch der deutsche Maler Max Meyer, ebenfalls ein Nazi-Emigrant, bemüht, mit dem kleinen Fischernest anzufreunden. Esther Freud erzählt uns seine Geschichte parallel zu Lilys. Der scheue, schüchterne, taubstumme Max hat gerade seine Frau verloren. Um über den Schmerz hinwegzukommen, ihn aus seiner Einsamkeit zu reißen, hat ihn Gertrude, engste Freundin seiner Frau eingeladen, ihr Haus zu malen. Max begegnet in dem kleinen Fischerdorf Elsa und verliebt sich in sie. Eine leidenschaftliche Affäre beginnt, die jedoch ein tragisches Ende findet und ein Geheimnis hinterlässt, dem Lily auf die Spur kommt.

    Auch sie verliebt sich, nicht zuletzt weil sie sich von ihrem Londoner Freund vernachlässigt fühlt. Sie straft ihn, indem sie ihn mit dem Nachbarn betrügt. Sie entdeckt zudem, dass sie nicht in die Stadt zurückkehren möchte, sucht sich eine Arbeit im Dorf, beschließt, ihr Leben zu ändern.

    Esther Freud hat zwei Varianten eines Vertrauensbruchs, einer amour fou, entworfen, die beide völlig natürlich wirken und damit umso überraschender sind. Es geht um Verlust und Hoffung, Sehnsucht und Erfüllung – eben all jene Gefühle, die die Liebe freisetzt. Nichts wirkt gekünstelt. Eine Liebesgeschichte, wie sie jedem zustoßen könnte.

    Doch noch ein anderes Thema zieht sich durch den ganzen Roman. In beiden Fällen brechen die Frauen aus dem Gefühl einer Einengung aus, befreien sich, suchen nach einer neuen Heimat, einem neuen Bezugspunkt. Heimatlos, gewissermaßen entwurzelt sind auch die beiden Emigranten, der Maler wie der Architekt. Auch dies ist ein Thema, dass sich durch alle Romane Esther Freuds hindurchzieht.

    "Alle meine Bücher suchen nach einer Heimat, einem Heim, sowohl physisch wie psychologisch. Da wir als Kinder viel herumgezogen sind und wirklich kein Heim besaßen, nie, beherrschte meine Phantasie stets die Vorstellung, ein eigenes Heim zu besitzen. Das ist mir geblieben. Auch wenn ich jetzt ein Heim besitze, will ich ständig ausziehen. Nur wenn ich intensiv an einem Buch sitze, denke ich nicht darum, umzuziehen. Auch in meinem jetzigen Buch geht es um einen Mann, einen deutschen Flüchtling, der von dem Heim, das er verlassen hat, beherrscht wird. Das gibt mir die Möglichkeit, das Thema noch einmal zu erkunden."

    Verblüffend ist, wie natürlich und selbstverständlich Esther Freud ihre eigenen Obsessionen in Geschichten umsetzt, die einen gefangen nehmen, anrühren, berühren. Ihr gelingt es, aus ihren eigenen Erfahrungen eine Welt zu schaffen, die Allgemeingültigkeit zu besitzen scheint, uns anspricht, uns bekannt vorkommt. Ein kleines Kunststück.