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Auf der Suche nach Pointen

Wo Schriftsteller schreiben - zu diesem Thema sind schon einige Bildbände erschienen, in denen bald auch der Pariser Romancier David Foenkinos seinen Platz finden dürfte. Denn das 31-jährige Nachwuchstalent des renommierten Pariser Verlagshauses Gallimard schreibt seine Romane mit Blick auf eine der größten Bücheransammlungen der Welt: die vier riesigen Glastürme der französischen Nationalbibliothek am Ufer der Seine.

Von Christoph Vormweg | 10.02.2006
    Das Unintime dieser gigantischen, nur einen Katzensprung entfernten Anlage passt auch zu den bisher erschienenen Romanen von David Foenkinos. Denn er ist – anders als das Gros der französischen Nachwuchsautoren - ein Verächter der Autofiktion, der Nabelschau. Dafür bezirzt uns Foenkinos mit seinem hochgeschraubt süffisanten Humor: so auch in seinem dritten Roman "Das erotische Potential meiner Frau", mit dem ihm 2004 der Durchbruch gelang. Held ist der junge Hector, ein manischer Sammler.

    " Sein ganzes Leben lang war er nur ein Herz gewesen, das im Takt der Entdeckungen schlug. Er hatte Briefmarken gesammelt, Zeugnisse, Bilder mit Schiffen am Kai, Metro-Fahrkarten, erste Seiten von Büchern, Rührstäbe und Aperitifspießchen aus Plastik, Korken, Augenblicke mit dir, kroatische Sprichwörter, Spielzeug aus Überraschungseiern, Papierservietten, dicke Bohnen, Fotofilme, Souvenirs, Manschettenknöpfe, Thermometer, Hasenpfoten, Geburtsurkunden, Muscheln aus dem Indischen Ozean, Geräusche um fünf Uhr morgens, Käseetiketten, kurzum: Er hatte alles gesammelt, und das immer mit derselben Erregung. Seine Existenz atmete den Wahnsinn, mit all den Phasen purer Euphorie und extremer Depression, die das mit sich bringen konnte. Er erinnerte sich nicht an einen einzigen Augenblick seines Lebens, wo er nichts gesammelt, nicht nach irgendetwas auf der Suche gewesen wäre. Gleichwohl dachte Hector bei jeder neuen Sammlung, diese wäre nun die letzte. Doch systematisch entdeckte er in seiner Befriedigung die Quellen neuer Unbefriedigtheit. In gewisser Weise war er ein Don Juan des Objekts. "

    Auch liebenswerte Spinner wie Hector sehnen sich jedoch nach Heilung. Denn durch die Sammelleidenschaft ist auch der Geschlechtstrieb fast vollständig gebunden. Also besucht Hector nach einem fehlgeschlagenen Selbstmordversuch, der ihn "zum Leben verdammt", die Treffen einer Selbsthilfegruppe "anonymer Sammler". Alles scheint gut zu gehen, sogar in der Liebe. In der Nationalbibliothek trifft er die Frau seines Lebens, eine Soziologin, die – wie er – den Atlas der Vereinigten Staaten konsultiert. Beide haben gegenüber ihren Freunden und Verwandten eine sechsmonatige Reise vorgetäuscht und bereiten nun ihre Rückkehr vor. Eine Idee, auf der das Paar nach der Hochzeit seine Existenz aufbaut: mit der Gründung einer Agentur für Scheinreisende, die mit Informationen und Anekdoten ausgerüstet werden.

    "Für mich ist der Humor kein Ziel an sich. Auch wenn es stimmt, dass ich die Leute unbedingt zum Lachen bringen will, so ist das doch nicht alles. Sonst wäre ich Bühnenkomiker geworden oder würde Witze für Comedy-Shows im Fernsehen schreiben. Es geht mir auch um das Gesellschaftliche, das ich so witzig, aber auch so realistisch wie möglich darstellen will – auch wenn es da viel Surreales gibt. Also: wenn die Hauptfigur ein Reisebüro für Mythomanen gründet, dann ist das auch eine Art zu zeigen, dass heute alle Welt auf Äußerlichkeiten fokussiert ist. "

    Im Grunde kann man auch David Foenkinos' beharrliche Suche nach Pointen als Sammelleidenschaft bezeichnen. Alles und jeden zieht er höchst hintersinnig durch den Kakao. Indem er seine Figuren über ihre Manien definiert, sind die Lachmuskeln ständig in Bereitschaft. Da gibt es den Fahrradfetischisten Gérard, der immer wieder von einem angeblichen Sieg in Marokko erzählt. Oder die verheiratete Tischtennisspielerin Laurence, die jedem Mann an die Hoden fassen muss, doch jede Annäherung der Männer mit Ohrfeigen bestraft. Allerdings droht hinter jeder Manie auch die existentielle Katastrophe. So dreht sich das Leben von Hectors Mutter um die tägliche, liebevoll aufwändige Zubereitung ihren Suppen - bis zu jenem Tag, als sie zum ersten Mal eine Tütensuppe probiert und sie für gelungen, ja für besser als ihre eigenen hält. Und auch Held Hector, der sich doch schon von seiner Sammelleidenschaft geheilt wähnt, bleibt der tragische Rückfall nicht erspart. Als ihn die Betrachtung der Waden seiner Frau beim Fensterputzen in Verzückung setzt, beginnt er, diese erotischen Momente höchsten Glücks heimlich mit einer Videokamera aufzuzeichnen. Der Rückfall in die Sammelleidenschaft bedroht nicht nur seine junge Ehe, sondern führt zu immer neuen höchst amüsanten Missverständnissen.

    "Man stellt sich oft vor, dass Schriftsteller nachts mit einem kleinen Glas Whiskey schreiben. Das übliche Klischee also. Ich arbeite aber eher morgens. Ich begleite meinen Sohn zur Schule und dann fange ich an. Ich mag das sehr, morgens zu arbeiten, also völlig nüchtern, und dann abzudriften. Dabei schreibe ich eher spontan. Ich habe keinen Plan, keine genaue Vorstellung. Ich folge der Geschichte einfach in eine Richtung, die mir gefällt. Das kann manchmal ziemlich aufreibend sein. So gibt es in meinem ersten Buch eine Szene, wo es plötzlich an der Tür klopft. Während ich das schrieb, wusste ich nicht, wer da klopfte. Als die Hauptfigur dann die Tür öffnete, kam ein Affe rein. Da sagte ich mir: Mist, jetzt habe ich einen Affen in meiner Geschichte. Und so musste ich mit dem zurecht kommen. Er hieß auch noch Lennon-McCartney. Das war ein Affe, der Leute verabscheute, die Rolling Stones hörten. Womit ich sagen will, dass ich mich wirklich nur von meiner Imagination leiten lasse."

    Die Prosa von David Foenkinos hat etwas Traumtänzerisches, einen leichten, ganz eigenen Rhythmus – sicher auch, weil der 31jährige eigentlich Musiker werden wollte und Jazzgitarre studiert hat. Mit seinem Roman "Das erotische Potential meiner Frau" ist ihm eine überdrehte, doch anrührende Liebesgeschichte gelungen: voll schräger Situationskomik und skurriler Einfälle. Doch so irreal viele Episoden auch erscheinen: dank seiner subtilen Menschkenntnis wirft David Foenkinos seine Leser immer auch augenzwinkernd auf sich selbst zurück. Denn der Hang zur Obsession lauert schließlich in jedem. Wie heißt es doch im vorangestellten Motto von Louis Aragon so schön: "Vergebens prangert die Vernunft mir die Diktatur der Sinnlichkeit an."