Donnerstag, 25. April 2024

Archiv


Auf der Suche

Er wurde für seine Romane "Jesus' Sohn" und "Engel" gefeiert, jetzt ist der neue Roman des amerikanischen Autors Denis Johnson, "Der Name der Welt", ins Deutsche übersetzt worden. Das Grundmuster entstammt einem seiner älteren Werke: Der Protagonist, Michael Reed, verliert Frau und Kind und durchlebt anschließend seinen ganz persönlichen Alptraum. Ein unmotiviertes, ambitionsloses Dasein.

Von Ulrich Rüdenauer | 11.02.2008
    "In unser aller Namen fühlte ich mich einsam, und auf einmal wusste ich, da war kein Gott."

    Manche trifft es aus heiterem Himmel und in der Form einer Erleuchtung: "Es gibt keinen Gott" – diese Erkenntnis ereilt Michael Reed ausgerechnet in einer mehr einem Container gleichenden Kirche irgendwo auf dem flachen Land im amerikanischen Mittelwesten; die versammelte Gemeinde singt vielstimmig vom Vater, von der Seele, vom Trost, und gerade letzteres könnte Michael Reed gut vertragen. Stattdessen fragt er sich beim Lauschen auf den heiligen Gesang …

    "… wie sich das Ganze wohl draußen auf den einsamen grünen Feldern unter dem wolkenlosen blauen Himmel anhören würde, wie herzergreifend schwach selbst ein solcher Chor in die unendliche Gleichgültigkeit des Weltalls hinaufklänge."

    Eine bittere Erkenntnis: Wenn es keinen Gott gibt, gibt es auch kein Schicksal. Gibt es keine Instanz, die man belangen könnte für das erfahrene Unrecht. Gibt es nur Willkür. Zufall. Unfälle. Bei einem Autounfall jedenfalls sind seine Frau und seine Tochter getötet worden; Reed lebt seither in einem diesigen Zustand der Trauer und müder Zukunftslosigkeit dahin. Er hat kurz nach dem Verlust von Frau und Tochter seinen Job als Redenschreiber eines Senators quittiert, wollte eigentlich ein Buch über den "korrumpierenden Einfluss der Macht" schreiben, für das sich aber niemand interessierte, und landete schließlich auf einer Dozentenstelle am Institut für Geschichte einer kleinen Universität. Dort beginnt Denis Johnsons Roman "Der Name der Welt" – ganz ungewöhnlich für diesen Autor der Außenseiter, Junkies und Verbrecher – in einem Milieu, in dem gediegene Langeweile herrscht, das geprägt ist von lässiger Biederkeit und von Einladungen zu Abendessen, bei denen sich das Campuspersonal die Zeit zwischen den öden Seminarveranstaltungen vertreibt.

    Der 50-jährige Michael Reed passt sich diesen Sitten an, aber er wahrt zugleich größte Distanz zu den Riten des universitären Lebens. Er, der sich selbst als "puttenhaft" und "unscheinbar" beschreibt, wirkt in dieser Idylle wie ein Durchreisender im eigenen Leben: ambitionslos und unbeteiligt verrichtet er seine akademischen Pflichten, und in seiner freien Zeit zieht er sich - auch in Gesellschaft – in sich selbst zurück.

    "Ich sah den Schlittschuhläufern auf dem Campusteich zu. Erheblich häufiger, als ich hätte öffentlich eingestehen mögen, führte ich imaginäre Gespräche mit einem Mann namens Bill, in denen ich seit dem Tod meiner Frau und meiner Tochter das ewig gleiche Terrain abschritt. Während ich wie gelähmt oder distanziert herumlief, rasten meine Gedanken, wie Hunde, die hinter einer Hasenattrappe herhetzen, permanent im Kreis."

    Bill ist Museumswärter im Kunstmuseum, in dem Reed immer wieder das selbe Bild eines namenlosen Sklaven betrachtet: Es zeigt ein winziges Quadrat in der Mitte und freihändig darum herumgezogene konzentrische Kreise; jede Abweichung in der Umrisslinie wird in der nächsten wiederholt. Man muss kein Tiefenpsychologe sein, um darin das Gedankengebäude Michael Reeds wiederzuerkennen: Alles kreist regelhaft und doch sich immer stärker verzerrend um ein Zentrum, das nur mehr Leere verzeichnet – seine Frau und seine Tochter, die verlorene Vergangenheit.

    Was könnte diese Aushöhlung des eigenen Lebens füllen? Die Universität ist es gewiss nicht, und auch sonst verfolgt Reed keine ehrgeizigen Pläne. Eines Tages aber hat er doch eine Art Erscheinung, die ihn aus der Vergangenheitsverstrickung zu lösen verspricht – eine junge Frau, eine Helferfigur, wenn man so will. Sie trägt den wahrlich exzentrischen Namen Flower Cannon und begegnet dem müden Professor in immer neuer Gestalt: als geistreiche Cellistin, exhibitionistische Performancekünstlerin, die sich öffentlich die Schamhaare rasiert, oder als erotischer Lockvogel bei einem Strip-Wettbewerb. Die junge rothaarige Frau ist es auch, die Michael Reed fast schon gegen Ende des Buches zu der besagten Kirche führt, in der sich ihm Gott endgültig entzieht.

    Kurz darauf landet er in ihrem Atelier, wo alles auf den Vollzug der erotischen Andeutungen, die im Lauf des Buches gestreut werden, hinauszulaufen scheint – und wo es dann doch ganz anders kommt. Reed verlässt seine Retterin, ohne mit ihr zu schlafen, nach ein paar aufgeladenen symbolischen Handlungen, die allerdings ein bisschen wie ein Taschenspielertrick des Autors wirken: Als hätte Johnson seinen Helden auf einen Weg gebracht, der aber – um zum Ziel zu führen – doch noch rasch verkürzt werden musste. Das Ende des Romans bringt dann die Läuterung: Michael Reed beendet die Universitätslaufbahn und geht dahin, wo es wahrlich keinen Gott gibt und keine Erlösung: als Kriegsreporter mit den amerikanischen Truppen an die vorderste Front.

    Denis Johnson, der für seine Romane "Jesus’ Sohn" oder "Engel" zu Recht gefeiert wurde, der wie kaum ein anderer die Grenzen des Wirklichen hin zu einer Sphäre des Transzendenten zu überschreiten versteht, hat mit seinem schmalen Roman eine Konstellation durchgespielt, die schon seinem Buch "Train Dreams" zugrunde lag: Auch in dieser historischen Erzählung verliert ein Mann Frau und Kind bei einer Feuersbrunst, durchlebt seinen ganz eigenen Alptraum.

    "Der Name der Welt" wirkt zugleich zurückgenommen und überladen; eine nüchterne Farce, eine verhaltene und gleichwohl immer wieder tief in die Trauer eines Menschen hinabblickende Seelenerzählung, deren Unheimlichkeit durch die realistische Versuchsanordnung fast verborgen bleibt. "Der Name der Welt" hat durchaus Schwächen, ist teils in seiner Symbolik aufdringlich, in seiner Problemstellung zu plakativ, und besticht dann wieder durch wunderbar klare und erhabene Passagen, die nur wie irgendwas teilhaben lassen an dem, was einmal Geworfenheit genannt wurde.

    "Da spürte ich, dass wir uns tatsächlich auf das Unvorhersehbare, Unvorhersagbare zubewegten. Ich glaube nicht, dass ich mir die Mühe machen werde zu erklären, was ich damit meine."


    Denis Johnson: Der Name der Welt
    Roman. Aus dem Englischen von Thomas Überhoff
    Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2007
    145 Seiten, 14,90 Euro