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"Auf die Täuschungsabsicht kommt es gar nicht an"

Nicht das mutmaßliche Plagiieren ist für Norman Weiss in der heiklen Beurteilung der Schavan'schen Doktorarbeit maßgeblich. Dass aber eine Wissenschaftsministerin nicht in der Lage sei, "korrekt wissenschaftlich zu zitieren" sorgt den Bundesvorsitzenden des Promovierten-Netzwerks "Thesis".

Das Gespräch führte Silvia Engels | 15.10.2012
    Sandra Schulz: So sperrig der Satz ist, so brisant ist der Inhalt: Die Prüfung ergebe, hier beginnt das Zitat, "für eine erhebliche Zahl von Befundstellen das charakteristische Bild einer plagiierenden Vorgehensweise", Zitat Ende, um das hier im Deutschlandfunk klar und deutlich zu machen, das Zitat über das Gutachten der Doktorarbeit von Bundeswissenschaftsministerin Annette Schavan im Zusammenhang mit Plagiatsvorwürfen. Ungewöhnlich genug: Das Gutachten konnten "Süddeutsche Zeitung" und "Spiegel" heute Morgen schon zitieren, obwohl das Prüfungsverfahren noch läuft. Der Fakultätsrat will übermorgen entscheiden. Sollte sich die Heinrich-Heine-Universität diesem Urteil anschließen – der Doktortitel wäre weg, und eine Ministerin, der der Doktortitel aberkannt wird, eine Wissenschaftsministerin zumal, kann sich wohl in Koalition und Opposition niemand vorstellen. Aus Berlin, aus unserem Hauptstadtstudio fasst Jürgen König zusammen.

    Informationen waren das von Jürgen König, und mitgehört hat Norman Weiss, der Bundesvorsitzende von "Thesis", das ist ein deutschlandweites Netzwerk für Promovierende und Promovierte, und ihn begrüße ich jetzt am Telefon. Guten Tag!

    Norman Weiss: Guten Tag!

    Schulz: Wir haben mit Ihnen hier im Deutschlandfunk auch gesprochen, als die Vorwürfe gegen Annette Schavan aufkamen. Was ist aktuell Ihre Einschätzung des Falles Schavan?

    Weiss: Ja, wenn die Einschätzung so einfach wäre, dann müssten wir da gar nicht lange diskutieren. Der Fall zu Guttenberg war da natürlich wesentlich einfacher, Sie haben es auch im Bericht gerade gehört, Verschleierung, Bauernopfer, das sind alles solche Namen, die man diesen Plagiatstechniken anhängt, wo es auch um die Frage geht: Hätte man das vor 30 Jahren wissen müssen? War es denn absichtlich oder nicht? Kann man aus der Tatsache, dass es da ist, ableiten, dass es tatsächlich absichtlich gemacht wurde? Ich bleibe dabei, was ich damals gesagt habe: Ich finde den Fall beurteilungstechnisch heikel. Ich möchte auch nicht in der Haut der entsprechenden Gutachter und des Fakultätsrates sein, denn was unstrittig zu sein scheint, ist: Diese unsauberen Zitate, diese Bauernopfer, gibt es. Kann man aber daraus ableiten, dass es sich um Vorsatz handelt? Ja oder nein? Das ist eine sehr kritische Frage, die mit Sicherheit sehr heikel zu beurteilen ist und wo jetzt die beiden Kontrahenten ja auch sehr deutlich öffentlich machen, dass sie das unterschiedlich sehen.

    Schulz: Sie sind da jetzt sehr zurückhaltend, aber vielleicht können wir doch noch konkreter werden: Sehen Sie Annette Schavan, sehen Sie die Bundesbildungsministerin beschädigt?

    Weiss: Auf jeden Fall, und auch, wenn die wissenschaftliche Beurteilung, nach der Sie mich gerade gefragt haben, relativ heikel ist, finde ich es erstaunlich, dass niemand fragt, ob denn tatsächlich die Täuschungsabsicht das ist, was entscheidend ist. Wir haben eine Wissenschaftsministerin, die nicht in der Lage ist, korrekt wissenschaftlich zu zitieren. Qualifiziert sie das für das Amt? Tendenziell nein, würde ich sagen. Das ist natürlich eine politische Frage, keine wissenschaftliche. Und da liegen die unterschiedlichen Beurteilungen. Wissenschaftlich gesehen kann man mit Sicherheit sehr lange diskutieren. Politisch würde ich sogar weiter gehen und sagen: Auf die Täuschungsabsicht kommt es gar nicht an, es kommt auf die Frage an, ob eine Wissenschaftsministerin korrekt wissenschaftlich zitieren können muss oder nicht.

    Schulz: Wobei die Einschätzungen da ja auch noch mal auseinandergehen. Läuft Ihre Meinung da nicht auf eine Vorverurteilung raus?

    Weiss: Das ist natürlich immer schwierig, weder Sie noch ich sind Erziehungswissenschaftler, nehme ich jetzt mal an, es gibt unterschiedliche Fachdisziplinen, vor 30 Jahren war ich so gerade eben geboren, da war ich, glaube ich, fünf Jahre alt – was weiß ich, wie die Wissenschaftsdisziplin damals war. Insofern ist das eine Sache, wo man sagen muss: Die ist sowieso schwierig zu beurteilen. Vorverurteilung – schwierig zu sagen. Man kann sich natürlich in diesem Wiki mal die diversen Zitate anschauen. Das habe ich auch gemacht. Und da stellt man sehr deutlich fest: Frau Schavan hatte Sekundärquellen gelesen, formuliert sie um, übernimmt deren Zitathinweise und stellt es als eigenes Werk dar. Das ist aus heutiger Sicht nicht nur kritisch, das ist aus heutiger Sicht definitiv ein Plagiat. Wir wissen aber auch: Vor 30 Jahren hat man das unter Umständen wesentlich laxer gesehen. Insofern kann man sagen: Aus heutiger Sicht, ja, Plagiat – das ist keine Vorverurteilung meiner Meinung nach, das ist schlicht und einfach eine Feststellung. Die Frage, welche Konsequenzen daraus zu ziehen sind, die müssen tatsächlich beantwortet werden und die darf man nicht voreilig beantworten.

    Schulz: Und da würde ich mit Ihnen jetzt gerne auch noch mal aufs Verfahren schauen. Das Gutachten ist bekannt geworden, bevor der Fakultätsrat entschieden hat, offenbar über eine undichte Stelle. Wie bewerten Sie das?

    Weiss: Das ist natürlich auf jeden Fall unschön, aber aus meiner Sicht nicht tragisch. Es ändert ja an der Beurteilung des ganzen Verfahrens nichts, es ändert auch nichts daran, dass der Fakultätsrat diesen Mittwoch entscheiden wird oder vielleicht ein weiteres Gutachten anfordert, Frau Schavan Gelegenheit zur Stellungnahme gibt. Es beschädigt das Verfahren meiner Meinung nach nicht, es beschädigt auch das Ergebnis nicht. Dass das Ganze öffentlichkeitstechnisch, politisch und vielleicht auch persönlich für Frau Schavan sehr unschön ist und aus meiner Sicht auch kein schönes Licht auf die Universität wirft, das steht außer Frage.

    Schulz: Es gibt noch einen Punkt, über den jetzt diskutiert wird an dem Gutachten: Der Gutachter selbst ist fachfremd. Ist das denn üblich?

    Weiss: Nun, der Gutachter ist, soweit ich das richtig verstanden habe, der Prodekan, also der Dekansstellvertreter, der Leiter dieser Fakultät, und ich denke, er hat das Gutachten mit Sicherheit geschrieben, um eine gewisse Autorität dem Gutachten mitzugeben. Ich glaube nicht, dass es ein grundsätzliches Problem ist: So weit sind diese Wissenschaftsdisziplinen nicht auseinander, um nicht beurteilen zu können, dass es plagiierte oder verdächtige Stellen gibt. Ich bin ein bisschen erstaunt darüber aus der Ferne gesehen, dass man nicht ein zweites Gutachten tatsächlich von einem Erziehungswissenschaftler eingeholt hat. Vielleicht wird das ja noch gemacht. Das ist aber in der Tat eine etwas, aus meiner Sicht, unglückliche Entscheidung in so einem heiklen Fall. Das muss man Frau Schavan und den Kritikern mit Sicherheit zugestehen.

    Schulz: Was heißt dieser ganze Fall jetzt für den Ruf der wissenschaftlichen Leistung einer Promotion?

    Weiss: Die Frage ist ja das erste Mal sehr laut gestellt worden, als wir den Fall zu Guttenberg hatten. Wir haben danach noch sehr viele andere Fälle gehabt, also das ist ja eine ganze Liste von Namen, die über ihre Doktorarbeiten, gerade Politiker, die über ihre Doktorarbeiten in den letzten anderthalb, zwei Jahren gestürzt sind. Ich habe damals beim Fall zu Guttenberg die Hoffnung geäußert, dass man das als Einzelfall ansieht und das relativ schnell wieder vergisst, und das gar nicht böse gemeint. Ich sehe das natürlich in der Häufung der Fälle, und bis hin an die Spitze – die Bundesministerin für Bildung und Forschung steht plötzlich in der Kritik – sehe ich es natürlich schon mittlerweile sehr kritisch. Viele Leute, gerade Leute, die nicht akademische Erfahrung haben, werden sich zu Recht fragen: Was geht denn da eigentlich vor? Kann man so ein Doktorgrad, kann man den überhaupt noch ernst nehmen? Wird da tatsächlich geprüft? Ich bin zuversichtlich, dass die Wissenschaft – Qualitätssicherung im Bereich der Promotion ist ein ganz großes Thema geworden in den letzten zwei Jahren –, ich bin da zuversichtlich, dass die Wissenschaft Lösungen finden wird und dass man das Vertrauen wieder herstellen kann. Ich glaube aber schon, dass der Nimbus etwas angekratzt ist, was ich sehr schade finde, weil die vermutlich 99,9 Prozent aller ehrlichen Promovierenden sehr viel Arbeit reinstecken, sehr viel Fleiß, sehr viel Mühe, streckenweise auch sehr viel Entbehrungen finanzieller und persönlicher Art da reinstecken. Das ist natürlich sehr schade, dass diese Leistung so geschmälert wird. Aber ja, es ist in der derzeitigen Lage nicht zu ändern.

    Schulz: Norman Weiss, der Vorsitzende des akademischen Netzwerks "Thesis", heute Mittag hier bei uns im Deutschlandfunk. Haben Sie herzlichen Dank!

    Weiss: Bitte sehr!

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