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Auf einer Wellenlänge kommunizieren

Es gibt keine Missverständnisse, jeder weiß sofort, was der andere meint: Das ist Kommunikation auf einer Wellenlänge. Forscher der Universität Bielefeld erforschen die Parameter, die dafür verantwortlich sind.

Von Bettina Köster | 08.11.2012
    Egal, ob in der Supermarktschlange, am Arbeitsplatz oder mit Freunden im Café. Wir stellen uns im Laufe eines Gesprächs automatisch auf unser Gegenüber ein und das läuft überwiegend unbewusst, so die Beobachtungen der Bielefelder Forscher. In 90 Prozent aller Gespräche pendeln sich die Stimmen auf eine Lage ein, das Sprechtempo gleicht sich an und auch die Gestik wird voneinander übernommen. Aber was passiert in der Blackbox Mensch, damit dieses aufeinander Einstimmen funktioniert. Um das genauer zu erforschen, laden die Bielefelder Psycholinguisten und Informatiker Versuchspersonen in ihr Labor und beobachten ihre Kommunikation. Der Informatiker Professor Ipke Wachsmuth:

    "Wir machen zum Beispiel Videoaufzeichnungen von Gesprächspartnern, die sich unterhalten und dann wird da minutiös sozusagen Schritt für Schritt analysiert, zu welchem Zeitpunkt eine Geste gemacht wird und wie das mit dem Wort zusammengehört. Auch, wie die Gesten sinnfällig mit dem Geäußerten zusammenhängen. Zum Beispiel, wenn man Räumliches beschreibt, setzt man die Hände auf eine bestimmte Weise ein."

    Gesten spielen also eine ganz zentrale Rolle in der zwischenmenschlichen Kommunikation. Aber auch der Sprachrhythmus entscheidet über das aufeinander einpendeln. Und das wird ebenfalls in Bielefeld in aufwendigen Sprachanalysen unter die Lupe genommen.

    "Wir haben so verschiedene Anhaltspunkte, das eine ist die Gesprächsrhythmik, der andere stellt sich auf den Rhythmus des Gegenübers ein und hat dann eine Erwartung davon, wo jetzt die wesentlichen Portionen der übermittelten Botschaft liegen. Und wenn das jetzt mal nicht so gut klappt, weil vielleicht jemand stottert, dann spürt man auch, dass man immer wieder neu ansetzen muss. Und so untersuchen wir in einem unserer Teilprojekte Rhythmus im Dialog."

    Das gilt übrigens auch, wenn man sich tendenziell gegenseitig unterbricht, beobachteten die Forscher. Der Psycholinguist Professor Jan de Ruiter:

    "Es kommt häufig vor, dass Leute überlappend sprechen. Da gibt es eigentlich zwei Kategorien. Die eine ist, dass man versucht, abzuschätzen, wann man anfangen kann zu reden, aber das dann nicht richtig macht. Und ab und zu will man einfach ins Wort reden. Aals Journalist, als Politiker im Fernsehinterview hat man bestimmte Zeit und man will ja sein Ding loswerden. Beides passiert. Aber trotzdem: Wenn man natürliche Daten anschaut, dann sieht man in weit über 90 Prozent der Fälle in einer normalen Kommunikation, dass der Prozess ziemlich genau läuft. Und wir wissen auch, wie schwierig es ist, denn wenn man versucht, das in Computermodelle zu fangen, sind wir noch sehr, sehr beschränkt, das können wir ja noch gar nicht."

    Dieses sich aneinander orientieren ist ganz unabhängig von den Inhalten und trifft nicht nur auf einen harmonischen Dialog zu.

    "Man kann feststellen, dass auch Menschen, die sich streiten, dass dann viele Wellenlängen auch sehr gut sind, dass man sich gut aufeinander abstimmt. Man spricht dieselbe Sprache, man bezieht sich auf das, was das Gegenüber gerade gesagt hat, man macht noch Turn-Talking, obwohl man vielleicht etwas schneller ins Wort fällt, das weiß ich nicht. Man sieht in der Streitkommunikation auch sehr viele Abgleichprozesse."

    Im Umkehrschluss heißt es aber nicht, dass freundliche Gespräche, in denen die Partner sich aufeinander beziehen per se auch gegenseitig akzeptieren oder inhaltlich unterstützen.

    "Versuchen sie mal, mit einem freundlichen Gespräch mit ihrem Arzt, ihrem Arzt zu erklären, was sie denken, was für Krankheiten sie haben. Dann werden sie merken, dass der Arzt ein bisschen geprickelt ist, weil er denkt, das ist ja mein Bereich. Und das kann man auch zeigen in natürlicher Konversation, dass Leute dieses Territoriale haben, auch in freundlichen Gesprächen. Das heißt, Streitgespräche sind sehr abgestimmt aufeinander und freundliche Gespräche sind auf eine andere Art wieder nicht auf derselben Wellenlänge."

    Man kann sich sozusagen rein formal äußerlich in der Kommunikation aufeinander einlassen, aber muss deshalb nicht inhaltlich auf einer Wellenlinie liegen. In der Kommunikationswissenschaft gehen die Meinungen allerdings auseinander, welche Rolle die Inhalte in einem Gespräch tatsächlich spielen.

    "Ich bin von einer Strömung die behauptet, dass die Inhalte, also worüber wir reden, das unterscheidet sich. Aber viele Leute vermuten und ich bin einer davon, dass auf der strukturellen Ebene, das heißt, wie man Sprache interpretiert, wie man Turn-Talking macht, wie man Common Ground, also dieses gemeinsame Wissen, benutzt, dass das eigentlich sehr ähnlich ist, ob man jetzt Statusunterschiede hat oder Kontexteffekte, Arbeit-Privat. Wir vermuten, dass das relativ universal ist."

    Deshalb gehen die Bielefelder Forscher auch davon aus, dass sie mit ihren Beobachtungen große Schritte in der Weiterentwicklung der künstlichen Intelligenz machen können. Ipke Wachsmuth:

    "Wir können zum Beispiel das Timing bei den Antworten unseres künstlichen Gesprächspartners Max kontrolliert verändern. Damit können wir dann präzise messen, wann es bei unseren Versuchsteilnehmern am besten mit der Wellenlänge klappt. Also kommt die Antwort zu früh zu spät oder gerade richtig. Da würde man dann einen Knopf drücken lassen, wenn man sagen würde, jetzt muss es aber gewesen sein oder so war es gut."

    In aufwendiger Detailanalyse arbeiten Psycholinguisten und Informatiker an der Universität Bielefeld Hand in Hand. So können dann neue Programmierungen entstehen, um sprechende Roboter oder virtuelle Figuren im Computer weiterzuentwickeln.

    "Einmal wollen wir uns vielleicht ein Modell davon schaffen, wie in Zukunft ein künstlicher Gesprächspartner aussehen könnte. Es gibt ja so Vorstellungen für Menschen, die allein leben im Alter oder auch Hilfe brauchen, es so etwas gibt wie Haushaltsroboter, die nicht nur bei den Hausarbeiten helfen, sondern die zum Beispiel auch unterhaltsam sind. Und damit erforschen wir, kommt so etwas überhaupt an oder wie muss man das machen. Auf der anderen Seite ist, wenn wir eine solche Maschine bauen, die sprechen kann und kommunizieren kann, im Grunde auch ganz viel drin, wie wir glauben, dass das beim Menschen abläuft. Und je glaubwürdiger ein solcher Gesprächspartner beurteilt wird im Standhalten mit seinen menschlichen Besuchern, desto besser haben wir das vielleicht hinbekommen."

    Aber bis die Bielefelder Versuchsküche soweit ist, stehen auch in den kommenden Jahren noch viele Experimente in dem Sonderforschungsbereich an, damit ein Roboter oder eine Computeranimationsfigur auch wirklich zu einem halbwegs pfiffigen Gesprächspartner wird.