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Auf Forschungsreise

Der neue Schirmer-Graf-Verlag startet mit sechs interessanten Büchern ins Rennen. Sechs Bücher aus aller Herren Ländern, Europa, Asien und Lateinamerika sind dabei, und nur eine deutsche Autorin. Auch sie hält das hohe Niveau des ambitionierten Programms. Denn die "Welt"-Journalistin Catrin Barnsteiner, 29 Jahre alt, hat bereits gezeigt, daß sie schreiben kann. Vor allem Reportagen. Für die sie sogar Preise erhielt. Und so ist es nicht von ungefähr, daß viele ihrer Erzählungen, die nun zum Debüt namens Verglüht versammelt sind, stark an Reportagen denken lassen. Denn das Milieu und das Kolorit, das Catrin Barnsteiner in ihren Alltagserzählungen immer wieder zum Dreh- und Angelpunkt macht, kann sie großartig einfangen. Der journalistisch geschulte Blick auf das wichtige Detail zahlt sich aus, und die geübte Sprache tut ein Übriges, damit elf wunderbare Erzählungen entstehen. Elf Erzählungen, denen eines gemeinsam ist, die Nähe von Tragik und Komik, von Lachen und Weinen.

Von Oliver Seppelfricke | 15.09.2004
    Da ist zum Beispiel eine junge Frau, Archivarin von Beruf, die verzweifelt versucht, Vorbereitungen für ihre Geburtstagsparty zum 30. zu treffen. Sie sammelt Rezepte über Lauchcrèmetörtchen und Tomaten-Basilikum-Kuchen, holt sich die Eisvorlieben der Deutschen aus dem Apothekerblättchen, probiert die richtige CD-Lautstärke bei laufendem Fernseher (der die Geräuschkulisse der Party simulieren soll), sie mißt die Zeit, die es braucht, um ein Lauchtörtchen zu verspeisen und notiert alles fein säuberlich in ein Heft. Und dann kommt noch ein Probelauf. Acht Leute sollen kommen, Arbeitskollegen, doch die Avant-Première zum Geburtstagsfest wird, trotz oder wegen aller peniblen Vorbereitungen, zu einem Fiasko: Die Gäste machen sich selbständig, nehmen Küche und Bad für diverse Zwecke in Beschlag, die Gastgeberin verliert den Überblick, und als die Polizei kommt, ist sie auch nicht da. Weil sie Nachschub holen ist. Ein gelungenes Fest...

    Schon die Titel von Catrin Barnsteiners Erzählungen sind lustig. "Und führe uns in Versuchung, bitte" ist die Geschichte, in der zwei Freundinnen im vorgeschrittenen Alter jeden Freitag einen Pfarrer zu sich nach Haus kommen lassen, um zu beichten. So scheint es. In Wirklichkeit jedoch machen sie einen Wettbewerb daraus, den Pfarrer bei der Beichte anzulügen. "Schließlich soll der arme Kerl doch was haben, wenn er schon von soweit her kommt", so heißt es, außerdem freuen sich die beiden Damen, wenn sie dem Geistlichen "ein gutes Gefühl geben können, und das kann ja keine Sünde sein". Meinen sie. Vorher begutachten sie noch ihre Sünden wie eine Ware und entscheiden, "was sofort weg muß, was noch zu retten ist und was sich noch bis nächste Woche hält". Und dann kann´s losgehen. Den Vogel schießt eine der beiden ab, indem sie dem Pfarrer gesteht, daß sie ihn liebt. Man biegt sich vor Lachen, hat aber auch Wehmut, denn es scheint, daß das, was die Sünderin da sagt, die Wahrheit ist...

    Der Tonus einer Geschichte, ihre Grundstimmung, kann also wechseln. Ohne daß der Ton gewechselt hätte. So auch in der Erzählung über eine Kaufhausangestellte, die sich nur deshalb jeden Tag von der Hausfotografin ablichten läßt, damit sie das Kleid berühren kann, das sie zum Foto anziehen darf. Das Foto wirft sie freilich anschließend jedes Mal weg. Oder wenn ein Rentner nur deshalb bei Wind und Wetter in seinen Schrebergarten geht, um seiner Frau und ihrem Liebhaber freie Bahn zu lassen, wobei alle anschließend nur über das Wetter reden - dann wechselt unsere Reaktion von Lachen zu Rührung. Oder auch zu Erstaunen und Entsetzen. Wie in der Geschichte, in der sich eine Fitneßtrainerin an ihrem Geliebten rächt, der sie verlassen hat, indem sie andere Männer zu Hause beim Hantelstemmen so lange drücken läßt, bis die Arme versagen. Und das Gewicht auf den Kehlkopf niedersaust. Exitus. Punkt.

    Catrin Barnsteiners Personen sind Sonderlinge. Liebenswerte Sonderlinge. Auch wenn sie Monströses tun. Sie tun es aus den menschlichsten Beweggründen heraus: Liebe, Hass, Neid, Eifersucht, Einsamkeit. Catrin Barnsteiner betrachtet ihre Figuren mit viel Distanz. In einer neutralen, nicht wertenden Haltung, wie eine Forschungsreisende, aber auch mit Nachsicht, Toleranz, ja sogar unausgedrückter Sympathie schildert sie uns die Marotten dieser ganz normalen Käuze. Flüssig und unangestrengt ist ihre Sprache, anders als bei vielen ihrer Alterskolleginnen, die glauben, nur eine kunstvolle Sprache schaffe Kunst. Catrin Barnsteiner kann die großen Dinge wie Einsamkeit, vergebliche Liebe, den Wahnwitz der Existenz, in kleine, unschuldige Worte fassen, sie ist auch eine Meisterin der treffenden Vergleiche: So schreibt sie, daß Bemerkungen eines Bruders (zumal, wenn er Psychiater ist), schlimme Spuren hinterlassen können, so wie Rotwein auf einem Teppich, Flecken, die umso stärker werden können, je mehr man an ihnen herum reibt. Das sitzt! Und auch als Bonmot-Autorin läßt sie aufhorchen: "Die meisten Leute, die ich kenne, sind Kinofilme. Nur ich bin nicht abendfüllend." Oder: "Ich schätze Erklärungen. Auch mit ihnen erscheint mir das Leben noch viel zu kompliziert." Diese Klasse läßt an Oscar Wilde denken...

    Am ehesten ist die Literatur Catrin Barnsteiners noch mit der französischen Erfolgsautorin Anna Gavalda vergleichbar: Gescheite, gewitzte Geschichten erzählen beide über die kleinen und großen Wechselfälle des Lebens, in einer scheinbar simplen Sprache, aber voller Tiefe, Rührung und Komik. Gute Literatur in unscheinbarer Form. Ist es eine Tragödie, ist es eine Komödie? Man weiß es nicht. Und es macht nicht den kleinsten Reiz dieses Buches aus, daß es uns diese Frage auf angenehm spielerische Weise stellt und eine Antwort schuldig bleibt... "Spritzige" Literatur mit Niveau!

    Catrin Barnsteiner
    Verglüht
    Verlag Schirmer-Graf, 160 S., EUR 17,80