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Auf Leistung getrimmt

Relaxen, Ausruhen, Entspannen - das sind Fremdwörter für die Schüler in Singapur. Der Pisa-Erfolg des asiatischen Stadtstaates beruht vor allem auf Frontalunterricht, Drill und Disziplin.

Von Udo Schmidt | 10.08.2013
    Die Jurong Secondary School an einem Donnerstagmorgen. 1250 Schülerinnen und Schüler der Stufen von 7 bis 10, im Alter von 13 bis 16 Jahren sitzen nach Geschlechtern getrennt in ihren Klassenzimmern. Es wird frontal unterrichtet, der Lehrer steht an der Tafel und erklärt. Das ist aber nicht mehr immer so, sagt Schulleiter Tham Kine Thong, Kreativität spiele eine immer größere Rolle, Projekte würden angeboten.

    "Kreativität ist wichtig, aber nicht leicht zu lehren. Wir erlauben immer größere Spielräume etwa für Kritik, für eigene Anregungen, um die Schüler auf ihre Zukunft, auf ihr Leben vorzubereiten."

    Sechs Jahre Primary School, Grundschule, vier Jahre Secondary, danach in die Uni oder ans Polytechnikum, vergleichbar einer Fachhochschule – so, ganz grob, sieht das Schulsystem Singapurs aus. Es wird viel gelernt, gepaukt. Tham Kine Thong kennt den Vorwurf, dass zu viel Wissen in die Kinder und Jugendlichen hineingestopft werde, deshalb spricht er so gerne über den Projektunterricht an seiner Schule:

    "Unsere Schule ist neben dem Jurong See und während der Physik oder Biologie-Stunden wird natürlich Unterricht dorthin verlagert, etwa um die Wasserqualität zu prüfen und um die Schüler zu begeistern und zu ermutigen, etwas auszuprobieren."

    Gleichzeitig, so der Schuldirektor in Jurong, gibt es einen nationalen Lehrplan, der für alle Schulen verbindlich ist. Das mache die Schulen vergleichbar und hebe den allgemeinen Standard - Eliten werden ausdrücklich gefördert.

    Unterrichtssprache ist Englisch, wobei das Gros der Schüler mit einer weiteren Muttersprache in den Unterricht kommt.

    "Englisch ist die Grundlage, aber alle kommen aus ihrem chinesischen, indischen oder malayischen Umfeld mit einer weiteren Sprache. Und dann werden Fremdsprachen wie Französisch, auch Deutsch oder Japanisch gefördert. Und die Schüler sollen auch etwas über die fremden Kulturen lernen, etwas, das ihr Leben bereichert."

    Nico Theo Wang ist 17 und hat bereits die Secondary School hinter sich. Es sei so viel zu lernen, erzählt sie, es bleibe kaum noch Zeit für andere, schließlich auch wichtige Dinge im Leben:

    "In Singapur geht es immer um Erfolg, das ist auch in der ganzen Kindheit so. Du wirst groß, bist gut in der Schule, dann lernst Du einen Beruf, aber wir lernen leider hier gar nicht, mit Leidenschaft ein eigenes Ziel zu verfolgen, gut zu singen oder so etwas zum Beispiel. Hier geht es immer um Erfolg und um Geld verdienen. Du musst Geld auf den Tisch legen und deine Familie unterstützen können."

    Schuldirektor Tham Kine Thong kann nicht zustimmen. Die Schule, sagt er, biete doch so viele Möglichkeiten:

    "Wenn es um Sport geht oder um andere Interessen, die die Schüler verfolgen wollen, dann unterstützen wir das, auch um die Talente zu fördern."

    Nach den eigentlichen Unterrichtsstunden werden Kurse angeboten, Neigungsgruppen, alle eben aber leistungsorientiert, klagt die 14-jährige Phionna:

    "In der Secondary School gibt es so viele Projekte, das ist kaum zu schaffen. Und dann heißt es bei vielen Themen, macht dass doch in den Ferien fertig. Das wird auch erwartet."

    Am Ende, so Phionna, sei die schöne Ferienzeit auch noch belegt mit Schularbeit. In Singapur gehe es eben immer um den Nutzen, nichts dürfe nur Spaß machen, ergänzt Nico:

    "In Singapur wächst man als ein sehr vernünftiges, pragmatisches Kind auf, alles was man tut, muss einen Nutzen erbringen, und da fallen Dinge wie Tanzen oder Singen einfach hinten runter. Aber die Mehrheit der Jugend merkt das nicht unbedingt, sie ist zu vernünftig."

    Myling Cheung hat zwei Kinder, sieben und neun, in der Primary School, in der Grundschule. Ja, sagt sie, die beiden haben dort schon ein hartes Programm zu absolvieren:

    "Sie müssen um sechs aufstehen, um den Bus zu bekommen, dann gibt es Flaggenappell in der Schule, nachmittags sind sie erst gegen halb drei zurück."

    Jeden Nachmittag stehen noch zwei Stunden Hausaufgaben auf dem Zettel, jede Woche werden Tests geschrieben – wenig Druck ist das nicht. Deshalb, sagt Mylinh, müsse man den Kindern unbedingt einen Ausgleich schaffen.

    "Sie sollen ja eine Kindheit haben, deshalb legen wir den Schwerpunkt auch auf Spielen am Nachmittag vom Ende der Hausaufgaben bis zum Abendessen, am Wochenende schauen wir uns dann zusammen Ausstellungen an oder Filme."

    Zudem biete die Primary School ihrem Sohn immerhin, im Orchester mitzuspielen, er sei da wirklich talentiert. Auch das ein Ausgleich zum Schulstress. Druck, sagt Mylinh Cheung, komme nicht nur von der Schule, sondern vor allem von den Eltern, die extrem wettbewerbsorientiert seien. Die Kinder seien häufig überfordert:

    "Die Kinder verbringen doch schon so viel Zeit mit Lernen, warum müssen sie dann noch Nachhilfe- und Förderstunden haben, sobald sie nach Hause gekommen sind. Sogar in den Ferien."

    Relaxen, Ausruhen, Entspannen, das sei eigentlich ein Fremdwort für sie, ergänzt die 17-jährige Nico und bestätigt damit den Eindruck Mylinh Cheungs, dass zu viel Druck ausgeübt wird.

    "Während der Schulzeit gibt es kaum Entspannungsmöglichkeiten, vielleicht mal abends mit der Familie zusammen Fernsehen gucken."

    Tham Kine Thong, der Schuldirektor, sieht das naturgemäß etwas anders. Ja, die Schule verlange viel, aber die Kinder müssten eben auch aufs Leben vorbereitet sein:

    "Am Ende geht es darum, dass das Bildungssystem Singapurs die jungen Menschen auf die Zukunft vorbereitet und ihnen Werte für ihr Leben, ihre Familien, für die Gesellschaft mitgibt."

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