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Auf Reisen

Kleinere geisteswissenschaftliche Fächer werden derzeit in Hessen gebündelt, und zwar in Gießen, Marburg und Frankfurt am Main. Damit verbunden ist auch der Umzug der Orientbibliothek von Frankfurt nach Marburg. Jetzt erinnern Studierende mit einer Mahnwache, dass ihnen eigentlich versprochen wurde, bis 2010 zu Ende studieren zu können - mit den Büchern ihrer Seminarbibliothek.

Von Anke Petermann | 19.02.2008
    Im Foyer des Orientalischen Seminars brennen schon am frühen Morgen Friedhofslichter, "Studieren ohne Bücher gleich Zukunft ohne Job" verkünden Transparente an der Wand und "Exzellenz mit Wikipedia?". Speditionsmitarbeiter rollen Bücherkisten auf Handwagen an einem Dutzend Studierenden vorbei, die sich trotz Semesterferien zur Mahnwache versammelt haben. Eher eine gedrückte Begräbnisabordnung als laute Protestaktion: Malika El Boa Fati schaut deprimiert zu, wie die Bücher für ihre Magisterarbeit an ihr vorbeirollen und auf den Laster nach Marburg verladen werden. Als die Handapparate für die Arbeiten zusammengestellt werden durften, hatte sie ihr Thema noch nicht:

    "Ich kalkuliere sehr viel Zeitverlust ein, da ich arbeiten muss dreimal die Woch und nicht zweimal die Woche nach Marburg fahren kann, das nimmt schon einen ganzen Tag in Anspruch.

    - Ich bin im 5. Semester und habe acht Semester Zeit für ein Fach, wo die durchschnittliche Studienzeit 12 Semester sind, und dann gehe ich noch arbeiten zweimal die Woche mindestens - die Qualität wird ganz schwer darunter leiden. "

    ergänzt Anna Willich mit Blick auf den Zwang, bis 2010 zu Ende zu studieren. Handapparate von 50 bis 100 Büchern konnten die Dozenten für Seminare im Sommersemester zusammenstellen. Der allgemeine Handapparat umfasst 200 Titel, darunter Nachschlagwerke und Koranausgaben - Standardwerke , die bis zum Auslaufen der Orientalistik in Frankfurt am Main bleiben sollen. Ab sofort kann auch die Fernleihe genutzt werden, so Berndt Dugall, Direktor der Frankfurter Universitätsbibliothek.

    " ... und im Gegensatz zur normalen Fernleihe ist für diese Bestände hier vereinbart, dass da kostenfrei ist."

    Dennoch nennen Studierende, Hilfskräfte und Dozenten der Orientalistik das Verfahren Wortbruch:

    " Wir fühlen uns immer noch hintergangen und als Geisteswissenschaftler am Fachbereich 09 Sprach- und Kulturwissenschaften kann man sich, glaube ich, auch nicht mehr wohl fühlen. Die Slawistik ist geschlossen worden, die Turkologie läuft aus, Orientalistik läuft aus, Südostasienwissenschaften wird klein gehalten, die Kunstpädagogik wird ausgelagert ... -

    Wir fühlen uns natürlich enttäuscht von der Uni vor allen dingen, weil die Zusagen nicht eingehalten wurden, dass bis 2010 hier Orientalistik studiert werden kann - ohne Bücher ist das faktisch nicht möglich, auch diese Fernleihe ist natürlich so' n fauler Kompromiss. -

    Und dann noch so mit uns zu spielen, uns Hoffnung zu machen, uns wieder alles zu entreißen. Wir werden von oben herab behandelt- das ist ganz einfach gemein, unmoralisch und hinterhältig."

    Der Direktor der Unibibliothek sieht es eher als Geben und Nehmen, unlängst erhielt Frankfurt Teile der geowissenschaftlichen Bestände aus Gießen, all das gehöre einfach zum Vollzug der "geisteswissenschaftlichen Zentrenbidlung", also der Konzentration kleiner Fächer an einem Standort.

    "Buchbestände, die wir hier haben - wenn man's juristisch betrachtet gehören sie dem land Hessen und sie verbleiben im land Hessen, nur an einem anderen Standort. Es ist über Jahrzehnte aufgebaut worden, die Leute hängen dran und ich kann das emotional schon verstehen, aber ich kann auch die sachliche Entscheidung verstehen, an einigen Standorten bestimmte Dinge zu konzentrieren, weil natürlich ein Fachgebiet, was an einer Uni in Hessen sieben oder acht Professuren hat, inhaltlich auch besser abgedeckt werden kann, als wenn an jeder Uni eine Professur vor sich hin dümpelt - das muss man auch mal ehrlicherweise sagen."

    Im Foyer des Orientalischen Seminars brennen die Friedhofskerzen langsam runter - die Studierenden hier haben den Eindruck, im wenig durchdachten und überstürzten Vollzug der Zentrenbildung ausgerechnet im Jahr der Geisteswissenschaften unter die Räder gekommen zu sein. Wäre die Orientbibliothek noch drei Semester in Frankfurt am Main geblieben, hätten sie stressfrei und auf hohem Niveau zu Ende studieren können.