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Auf schwieriger Mission

Frankreich und Algerien verbindet eine schwierige Vergangenheit. Für alle französischen Staatspräsidenten waren Besuche in dem nordafrikanischen Land daher heikel. Das gilt auch für François Hollande. Er kann sowohl in Frankreich als auch im Maghreb verlieren.

Von Ursula Welter | 19.12.2012
    François Hollande hat acht Monate in Algerien gelebt. Als Juniordiplomat in der französischen Botschaft. 1978. Er habe gute Erinnerungen an diese Zeit, heißt es. Mit Algerien hat sich der heutige Staatspräsident für seine erste Reise in den Maghreb eine der schwierigsten Etappen ausgesucht.

    Die Geschichte muss dazu dienen, die Zukunft zu bewältigen, nicht auszuweichen, es geht darum sich dieser Zukunft zuzuwenden, sagt François Hollande, dessen Reise skeptisch beäugt wird von vielen seiner Landsleute.

    Da sind die Pieds-noirs und ihre Nachfahren, die aus Algerien fliehen mussten, als unter de Gaulle die Unabhängigkeit von Frankreich besiegelt wurde, und die sich bis heute verraten fühlen; da sind die Harki und ihre Nachfahren, Einheimische, die aufseiten Frankreichs gegen die Aufständischen in Algerien gekämpft hatten und die, mit der Unabhängigkeitserklärung, fallen gelassen wurden; da ist die große Zahl der Einwanderer aus Nordafrika, und da ist die immer lautere Forderung in Algerien, Frankreich müsse sich für die Kolonialzeit ausdrücklich entschuldigen.

    Vor einem Kniefall wird der Präsident im eigenen Land jedoch gewarnt.

    "Was er nicht tun darf," sagt der frühere Berater des abgewählten Staatspräsidenten Sarkozy, Henri Guaino, "was er nicht tun darf, ist, eine Reueerklärung zu liefern für die Kolonialzeit oder die Zeit, da Algerien Teil Frankreichs war. Das wäre ein schwerer Fehler."

    Algerien – bis heute ist dieser Teil der französischen Geschichte ein heißes Eisen und kann Wahlen beeinflussen. Mancher sagt, wenn Hollande in Algerien zu weit gehe, könne das seine ohnedies schwachen Popularitätswerte weiter drücken. Entsprechend vorsichtig äußern sich Hollandes Berater:

    "Man muss aussprechen," sagt Georges Morin,"" dass Frankreich in Algerien die Werte der Republik verraten hat, Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit – aber es geht nicht um Reue, um 'repentance', um Entschuldigungen, es geht darum, das Verhältnis zueinander gleichsam zu bereinigen, von der Vergangenheit zu entlasten, um nach vorne schauen zu können.""

    Vor gut einem Monat hatte der sozialistische Staatspräsident mit einem Tabu gebrochen und die Repressionen des 17. Oktober anerkannt. 1961 hatten französische Sicherheitskräfte ein Blutbad unter algerischen Demonstranten in Paris angerichtet. Dieser Schritt reiche nicht, heißt es in Teilen der algerischen Öffentlichkeit. In Frankreich wiederum wurde Hollandes Erklärung, zumal in konservativen Kreisen, ausgesprochen skeptisch aufgenommen.

    Der heutige Staatspräsident selbst hatte als Parteichef der Sozialisten in einem Buch geschrieben, in Algerien seien moralische Fehler gemacht worden, auch die Linke habe in diesem Krieg ihre Seele verraten.

    Für alle französischen Staatspräsidenten waren die Besuche in Algerien heikel, während Jacques Chirac 2003 einen Freundschaftsvertrag unterzeichnete, der mit wenig Leben gefüllt wurde, blieben unter Nicolas Sarkozy beide Staaten auf Distanz, und pflegten allenfalls ein Minimum an guten Beziehungen.

    Hollande will nun versuchen, aus den festgefahrenen, durch die Geschichte belasteten Bahnen auszubrechen. Auch, weil Algerien für Frankreich von geostrategischer Bedeutung ist, wie die Entwicklung in Mali zeigt. Aber auch ökonomische Fragen stehen im Raum, so wird der Autobauer Renault bei Gelegenheit des Staatsbesuchs ein Abkommen über den Bau eines Montagewerks in Algerien unterzeichnen.

    Außenminister Laurent Fabius zeigt sich optimistisch, dass die zweitägige Reise, trotz aller innen- und außenpolitischen Stolpersteine, ein Erfolg werden wird:

    "Alle Voraussetzungen sind geschaffen, damit diese Reise gelingt, wir werden konkrete Vereinbarungen unterzeichnen, also: Frankreich und Algerien können in die Zukunft schauen."

    In Algerien selbst, so berichten die Reporter des französischen Rundfunks, sei die Stimmung dennoch von Skepsis geprägt. Mitglieder einzelner Parteien hätten angekündigt, die Rede des Präsidenten vor dem Parlament zu boykottieren, und dieser junge Verkäufer in Algier schildert, dass die weiße Stadt nur für den Staatsbesuch herausgeputzt werde, sobald der Gast aus Paris abgereist sei, werde Algier wieder aussehen, wie zuvor.


    Weiterführender Link:
    Frankreichs verdrängte Geschichte