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Auf sich alleine gestellt

Limbach-Oberfrohna in Sachsen war im vergangenen Jahr mit rechten Straftaten trauriger Spitzenreiter unter den Städten bis 30.000 Einwohner in Sachsen. Jugendliche des Vereins "Schwarzer Peter" versuchen eine Alternative zu rechten Gruppierungen zu schaffen – und werden bedroht.

Von Claudia Altmann | 03.11.2011
    Limbach-Oberfrohna, eine Kleinstadt in der sächsischen Provinz. Die graue Fassade eines dreistöckigen Hauses in der Dorotheenstraße schmückt ein Transparent mit der Aufschrift "Jugendliche bauen für Jugendliche". Hinter dieser Aktion stehen 15 junge Leute. Studenten, Azubis und Schüler. Einige haben ihre Haare bunt gefärbt, sie tragen schwarze Klamotten - sie sind Punks.

    "Schwarzer Peter" nennen sie ihren alternativen Verein. Eigentlich sollte ihr Jugendclub schon lange fertig sein. Vor einem Jahr aber wurde er abgefackelt. Der Brandstifter - ein heute 20-jähriger Neonazi - hatte zuvor mit anderen Gleichgesinnten Jagd auf Linke gemacht, dabei rechte Parolen gebrüllt und eines der Opfer im Gesicht verletzt. Er wurde im September zu zweieinhalb Jahren Jugendhaft verurteilt.

    Der Anschlag war der bisherige Höhepunkt von Angriffen auf die alternative Szene. Laut Polizei gibt es in der Kleinstadt einen harten Kern von 30 einschlägig bekannten Rechtsextremisten. Viele Jugendliche schließen sich ihnen an. Zu Dutzenden treffen sie sich nachts im Stadtpark oder an einer Tankstelle. Orte, die von den Punks bewusst gemieden werden. Deshalb auch das eigene Vereins-Domizil, sagt Moritz Thielicke:

    "Damals als wir uns gegründet haben, wollten wir einfach Toleranz schaffen, einfach einen Rückzugsraum für eigentlich alle Jugendlichen, die eben nicht rassistisch sind, schaffen. Einfach, weil es eine sehr ausgeprägte rechte Szene hier auch gibt. Durch die massiven Angriffe hat sich das dann auch so ein bisschen mit gewandelt in die Aufklärungsarbeit, dass man eben versucht hat, die Bevölkerung auch zu sensibilisieren auf diesem gesamten Gebiet, dass man eben nicht alleine ausgesetzt ist diesem Problem der rechten Gewalt."

    Und das sind sie auf Schritt und Tritt. Wer in der 25.000-Einwohner-Stadt anders aussieht, bekommt zu spüren, dass er unerwünscht ist. Auch Daniel Drescher erlebt dies seit Jahren. Pöbeleien, körperliche Angriffe, ein Aufkleber auf dem Auto mit der Aufforderung zum Selbstmord.

    "Naja, man muss sich halt bereithalten, dass es zu körperlichen Auseinandersetzungen kommen kann und damit muss man dann rechnen."

    Selbst auf dem Weg zu diesem Interview wird der 19-Jährige am helllichten Tag von einem Mann Mitte 20 als Zecke beschimpft und angegriffen. Nur mir Pfefferspray kann Drescher die Attacke abwehren. Derartige Gegenwehr hat ihm und seinen Mitstreitern von Vertretern der Stadt den Vorwurf des Linksextremismus eingebracht. Unsinn, betont er.

    "Der Verein selbst sieht sich als unpolitischer Verein, der sich gegen menschenverachtende Ideologien einsetzt und sich für mehr Demokratie und Toleranz einsetzt. Ich kann daran nichts Linksextremistisches erkennen."

    Schließlich richten sich die Angriffe auch gegen die Familien der Punks. Scheiben werden eingeschlagen. Vermummte Neonazis rotten sich vor dem Wohnhaus eines Vereinsmitgliedes zusammen. Auch Dreschers Mutter hat Angst:

    "Ich hatte vorher nie Berührung mit der Polizei. Ja, man schläft schlecht nachts, wenn das Kind nicht zu Hause ist. Jetzt ist er ganz ausgezogen, altersbedingt, man schläft deswegen nicht ruhiger. Es ist halt schlimm."

    Als die verzweifelten Eltern an die Öffentlichkeit gehen, wird ihnen kein Verständnis entgegengebracht. Stattdessen hören sie Vorwürfe: Ihre Kinder seien doch selbst schuld, wenn sie so provozieren. Die Eltern der jungen Leute von "Schwarzer Peter" schließen sich daraufhin in einem Bürgerbündnis zusammen.

    Sie sind Arzt, Architekt, Lehrer, Anwältin, Vertreter der Kirche und wollen eine demokratische Debatte anstoßen. Dafür sind sie für den sächsischen Demokratiepreis nominiert worden, der in der kommenden Woche in Dresden verliehen wird. Indes ihr Versuch, die Lokalpolitiker auf ihre Situation aufmerksam zu machen, scheiterte bisher. Dabei ist sich CDU-Oberbürgermeister Hans-Christian Rieckauer durchaus bewusst, dass seine Stadt ein Problem hat. Aber:

    "Ich denke, dass Limbach-Oberfrohna zu Unrecht in den Schlagzeilen ist. Unser Menschenbild ist mit dem Menschenbild der Rechten in keiner Weise vereinbar. Man muss aber auch sagen, dass das Gros der Bevölkerung nichts mit den Rechten zu tun haben will und dass es das ablehnt. Hier beschmutzen Einzelne das Nest und von denen muss man sich distanzieren und ganz deutlich machen: Das Gemeinwesen ist ein demokratisches Gemeinwesen und wehrt sich gegen solche Leute, die hier ein extremistisches Potenzial aufbauen wollen."

    Dieses Potenzial ist jedoch seit Jahren fest etabliert. Limbach war im vergangenen Jahr mit 48 rechten Straftaten trauriger Spitzenreiter unter den Städten bis 30.000 Einwohner in Sachsen. Ein Aussteiger aus der rechten Szene, der seinen Namen nicht nennen will, kann verstehen, dass die alternativen Jugendlichen nicht klein beigeben wollen:

    "Ich kann's verdammt sehr, sehr nachvollziehen. Erstens, die Rechten haben den Jugendclub niedergebrannt und es wurde halt öfters gegen Linke vorgegangen, gewaltsam. Man hat Parolen in ganz Limbach gesprüht, die man jetzt immer noch sieht: 'Nationaler Widerstand' oder 'NS Jetzt' oder 'Frei, sozial und national', halt die normalen Sprüche oder Hakenkreuze oder SS-Zeichen. Nachdem auch zum Stadtparkfest eben der Großansturm von Rechten, von 40 maskierten Nationalsozialisten, die halt den neuen Jugendclub stürmen wollten."

    Weder der Einsatz von Streetworkern noch Aktionen für Toleranz konnten bisher die Situation entschärfen, Nun soll sich ein externer Mediator des Problems annehmen. Unterdessen stehen die jungen Leute weiter vor der Wahl: rechtes oder linkes Lager. Oder sie verlassen die Stadt, nicht selten auf Drängen ihrer besorgten Eltern.

    "Irgendwann ist keiner mehr auf der Straße. Da kann ich dann och hier wegziehen. Meine Omi zum Beispiel, die hat gesagt, wenn das so mit der ganzen Gewalt, werd ich sagen, ich wird aus Limbach ausziehen und meine Eltern haben das auch gesagt."

    Wäre wegzugehen auch eine Lösung für Daniel Drescher?

    "Da denkt man natürlich sehr oft drüber nach, aber da kommt dann immer wieder der Gedanke: Warum ist denn Limbach so, weil immer alle weggezogen sind. Also irgendjemand muss da mal anfangen, dazubleiben."

    Und so ist für ihn die Entscheidung gefallen und er wird weiter rechter Gesinnung die Stirn bieten.