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Auf Stimmenfang im Revier

Kneipen, Marktplätze, Stammtische: Seit neun Monaten tingelt Michelle Müntefering durch ihren Wahlkreis im Revier, um für sich die Werbetrommel zu rühren. Die Ehefrau des ehemaligen SPD-Parteivorsitzenden bewirbt sich um ein Direktmandat für den Bundestag.

Von Barbara Schmidt-Mattern | 13.09.2012
    "Liebe Genossinnen und Genossen, im Namen des SPD-Unterbezirks darf ich Sie heute hier im Volkshaus Röhlinghausen begrüßen."

    Mitten in Herne ist die Welt der Sozialdemokraten noch in Ordnung: Rot geschmückte Blumenkübel zieren die Rednerbühne, im Schankraum nebenan darf geraucht werden und auf den Tischen der Delegierten steht Flaschenbier. Ohne Getränk sitzt, ganz hinten auf den Besucherstühlen, ein älterer Herr. Statt rotem Schal trägt er an diesem Abend Krawatte, kariert. Franz Müntefering ist nicht etwa als seelischer Beistand gekommen, wie ihn ein Reporter fragt:

    "Nö, als Gast. Das interessiert mich natürlich, was rauskommt dabei, das ist klar."

    Die Bühne gehört heute Abend seiner Frau. Michelle Müntefering bewirbt sich um ein Direktmandat für den Bundestag, in gut einem Jahr will sie von Herne direkt in die Hauptstadt wechseln. Schon jetzt pendeln die Münteferings zwischen ihren beiden Wohnungen in Berlin und im Revier. Der 72-Jährige wirkt stolz auf seine Frau. Und ehrlich bemüht, sich selbst nicht in den Vordergrund zu spielen.

    "Klar, man spricht darüber, das wär ja auch komisch. Aber das muss sie selbst wissen, das weiß sie auch, das ist auch klar zwischen uns. Also man braucht so nen Sparringspartner, sagt ich mal."

    Doch der Gatte kann es drehen und wenden, wie er will: Bei der Kandidatur seiner 40 Jahre jüngeren Frau ist das Politische privat und umgekehrt. Michelle Müntefering geht deshalb auf Nummer sicher. Über ihre Ambitionen und ihre Ehe will sie nicht vor allen Leuten reden und bittet zum Interview lieber in ein Hotel am anderen Ende der Stadt. Ihr neuer Nachname, sagt die geborene Schumann, sei natürlich schon ein Vorteil. Aber:

    "Ich such das nicht, den großen Auftritt. Das ist nicht meine Art. Ich weiß aber auch, dass zur Politik Öffentlichkeit dazugehört. Und ich suche ein politisches Amt. Und Politik muss sich auch den Menschen vermitteln. Das ist der Grund, warum ich gerne über Politik reden möchte, und nicht über Privates."

    Die Vergleiche mit Doris Schröder-Köpf, die für den niedersächsischen Landtag kandidiert, oder gar mit Bettina Wulff, die der Presse von ihrer Paartherapie berichtet, sind Michelle Müntefering lästig, auch wenn sie das so direkt nicht sagt. Jede private Information verknüpft sie geschickt mit einer politischen Aussage. Ja, zuhause werde schon mal über die Agenda 2010 diskutiert, aber Meinungsverschiedenheiten tragen die Münteferings sportlich aus.

    "Na ja, ich mal nen kleinen Spaß."

    Plötzlich schleicht sich da der "Münte-Jargon" in ihre Stimme. Verkürzte Sätze, verschluckte Silben. Pragmatisch klare Kante:

    "Ich bin Fan von Schalke 04, und er behauptet, er ist für Borussia Dortmund und Schalke 04. Ich sag, das geht nicht, man kann nur für einen Verein sein. Er behauptet, das geht auch für beide. Bin ich anderer Meinung, aber solange Schalke gewinnt, soll mir das egal sein."

    Neun Monate ist die Bundestagskandidatin durch den Wahlkreis getingelt, zusammen mit ihrer Mitbewerberin, der Kommunalpolitikerin Anke Hildenbrand. Doch die tritt abends auf dem Parteitag allzu nervös ans Rednerpult und verpatzt ihre Bewerbungsrede.

    Der Applaus bleibt mager. Nächster Redner wäre eigentlich Uwe Knüpfer, der mit seiner Überraschungskandidatur im Sommer Gerüchte hoch kochen ließ, er wolle die Pläne von Michelle Müntefering durchkreuzen. Das böse Wort von einer Intrige machte gar die Runde. Viele Sozialdemokraten sind jetzt sauer auf Knüpfer, und dann passiert der Parteitagsregie auch noch ein Lapsus:

    "Alphabetisch steht jetzt auf der Agenda Michelle Müntefering. Ooooh, ooooh, also ich bin ja auch ein Kind sozialdemokratischer Bildungspolitik, aber das merkt man heute nicht. Tatsächlich K vor M. Uwe, du hast das Wort."

    Um ein Haar hätten sie Knüpfers Rede auf der Tagesordnung übersehen, was vielleicht auch daran liegt, dass der ungeliebte Dritte nicht mal mit an den Präsidiumstisch vorne darf, sondern eingezwängt in den Delegiertenreihen sitzt. Doch an Selbstbewusstsein mangelt es Knüpfer, der im Hauptberuf Chefredakteur des SPD-Magazins "Vorwärts" ist, keinesfalls:

    "Ich war schon im Bundeskanzleramt, ich war auch acht Jahre Korrespondent im Weißen Haus. Bin da ein und ausgegangen. Ich weiß, die kochen alle nur mit Wasser."

    So wie Knüpfer. 18 von 157 Stimmen wird er am Ende des Abends erhalten. Das war’s. Michelle Müntefering verzieht während der Rede ihres Konkurrenten keine Miene, presst nur die Lippen aufeinander und wirkt kurz darauf erleichtert, als sie endlich ans Rednerpult darf:

    "Ich bin nicht mit einem roten Strampler auf die Welt gekommen, nicht als Sozialdemokratin geboren, sondern bin es durch eigenes Suchen und Finden geworden. Als junges Mädchen hat mich die Frage nach Gerechtigkeit gepackt, und auch als Frau lässt sie mich heute nicht mehr los."

    Genossin aus vollem Herzen, und noch dazu spielt Müntefering statt der Ehefrauen- einfach die Frauenkarte aus. Es brauche junge Gegenmodelle zu den Lindners und Bahrs, wird sie gleich noch sagen, und sich dann als Lokalpatriotin aus Herne präsentieren:

    "Im Frankfurter Bankenviertel wissen die Menschen eben nicht mehr über Politik als in unseren Ortsvereinen. Und das Oktoberfest in München hat die größeren Krüge, aber wir haben das bessere Bier. Und Berlin ist arm und sexy, aber dafür sind wir nicht geschminkt."

    Michelle Müntefering gewinnt diese erste Vorstellungsrunde mit 85 von 157 Stimmen. Die endgültige Entscheidung über ihre Kandidatur fällt am 18. September auf einer Wahlkonferenz in der Nachbarstadt Bochum, die sich den Wahlkreis mit Herne teilt.