Donnerstag, 28. März 2024

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Auf virtuoses Handwerk gegründet

Der Regisseur, Bühnen- und Kostümbildner und Maler Achim Freyer ist in den fast fünf Jahrzehnten seiner Künstler-Karriere ein Mann des "künstlerischen Experiments" geblieben. Nun lässt sich sein Werk auch zuhause betrachten: Die großformatige dreibändige Dokumentation zu Freyers Lebenswerk behandelt alle Arbeiten von 1959 bis 2006 unter dem Titel "Achim Freyer-Theater".

Von Frieder Reininghaus | 03.03.2008
    Der Schuber ist eine Wucht: Die Akademie der Künste Berlin hat den großen Theaterbilderschöpfer Achim Freyer gewürdigt. Hochglänzende Bilder sind - wie selbstverständlich - die Hauptsache, nicht nur in dem ihnen ganz und gar reservierten ersten Band. Insgesamt wird das weite Spektrum der Produktionen, die Freyer in jeweils spezifischer Weise auf die Bühne zu bringen half, abgesteckt: Die Vielfalt, die so oft im Detail steckt, breitet sich aus und wiederkehrende Motive stellen Zusammenhänge am weiten Horizont her - Seil und Schlange, phantastischste Formen des Kopfschmucks und krass stilisierte Einhüllung von Körperformen, Masken und Puppen, Ableitungen des Triadischen Balletts, des Kasperletheaters oder von Figuren der Commedia dell'arte.

    Freyer erwies sich stets als weitherzig, was die Herkunft der von ihm aufgegriffenen, reduzierten oder angereicherten, veredelten und dabei pointierten Formen und Farbkombinationen betrifft. Doch bleibt dank seiner Methoden der Anverwandlung stets die eindeutige und unverwechselbare Handschrift sichtbar. Feine Zeichnungs-Lineatur wechselt mit großräumigen Farborgien, Mickymaus-Ohren mit Schlagstöcken aus dem realen Leben, überhaupt Werkzeugen aus der Arbeiter-, Bauern- und Heimwerker-Welt.

    Auf die Dialektik von Variabilität und Vereinheitlichung kam es dem Künstler in seinem langen Berufsleben wesentlich an. In besonderer Weise konnte er sie mit den ganzheitlich konzipierten Flügelschlägen, DisTanzen und stillen Komödien des von ihm gegründeten und nach ihm benannten Artisten-Ensembles ins Werk setzten:
    "Ich hatte immer den chinesischen Traum: Theater zu machen mit Tänzern und Akrobaten - dass sich Theater auf alle Bereiche der Darstellung bezieht. Und in meinem Ensemble habe ich alle Künste vereint."
    Umfassend rief Sven Neumann, der Herausgeber der Freyer-Theater-Bildbände, den weiten Weg in Erinnerung, den dieser so außerordentlich phantasiebegabte Künstler zurücklegte, seit er 1964 die Ausstattung zum DEFA-Puppentrickfilm "Das tapfere Schneiderlein" schneiderte. Gut sieben Jahre nach diesem Debüt kam er in die Bundesrepublik, sorgte mit einem fulminant illustrierten "Freischütz" und seinen Aufbereitungen von Philip-Glass-Opern in Stuttgart für Furore. Mit Claus Peymann spitze er die beiden Teile von Goethes "Faust" zu: Man sah - parallel zur Installation "Deutschland, ein Lebensraum" auf der documenta VI in Kassel - was da an Erbschaft der von DDR-Sozialisation geprägten Bildideen umgesetzt wurde.

    Doch weit hinaus ging der Weg von dort noch einmal, führte zu Spitzenprodukten des europäischen Opernbetriebs und wurde mitunter Welttheater. Das zeitigte starke Nachwirkung und erfuhr manche Nachahmung - vornan das 1985 an der Deutschen Oper in West-Berlin mit Bildern von höchster Suggestionskraft ausgestatte Händel-Oratorium "Der Messias" oder die im Schwetzinger Rokoko-Theater inszenierte h-moll-Messe von Bach.
    "Ich habe immer sehr viel Glück gehabt und bin sehr verwöhnt; und ich finde, dass es wenigen gelungen ist, wirklich der Oper gerecht zu werden."
    Achim Freyer ist in den fast fünf Jahrzehnten seiner Künstler-Karriere ein Mann des von konservativen Kreisen lange übel beleumundeten "künstlerischen Experiments" geblieben (inzwischen scheint dessen Notwendigkeit Konsens). Seine Arbeit, und das dürfte ihre bleibende Bedeutung sichern helfen, war und blieb auf virtuoses Handwerk gegründet. Zugleich war sie stets von weitgehendem Esprit beflügelt, oft von überschäumender Phantasie gekrönt und immer wieder hintergründigem Geist durchdrungen. Das künstlerische Extrem, das Freyer errang, war allemal einer Logik der Sache geschuldet, gehorchte einer wie sehr auch verborgenen Objektivität, nicht der privaten Willkür: "Seine Legitimität aber zieht es wesentlich aus der Tradition, die es negiert" (Adorno).

    Die drei Bände der Berliner Akademie, die eine integrale Sicht auf das außerordentliche Lebenswerk ermöglichen, bestechen jenseits aller kunst- und theatertheoretischen Bedeutung allein schon durch die Magie der Bilder, deren Fülle und Vielfalt. Eine Wucht!

    Sven Neumann (Hg.): "Achim Freyer - Theater"
    (Alexander Verlag Berlin)