Donnerstag, 25. April 2024

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Aufarbeitung der Waldbrände in Portugal
Taktik statt politischer Verantwortung?

Zwei Wochen nach den Waldbränden in Portugal mit 64 Opfern wird die Katastrophe zum Spielball der Politik. Die konservative Opposition kritisiert das Krisenmanagement der Regierung scharf. Sie spürt zu einem Zeitpunkt, an dem die sozialistische Regierung wegen der Wirtschaftslage eigentlich beliebt war, wieder Rückenwind.

Von Tilo Wagner | 05.07.2017
    Ausgebranntes Auto auf einer Straße nach dem Waldbrand in Portugal.
    Waldbrand in Portugal: Menschen starben zum Teil in ihren Autos. (PATRICIA DE MELO MOREIRA / AFP)
    Mehr als zwei Wochen nach den schwersten Waldbränden in der portugiesischen Geschichte fragen sich viele Lissaboner immer noch, wer die Verantwortung für das Unglück in Zentralportugal übernehmen soll:
    "Die Regierung kann doch nicht an allem schuld sein. Sie wird das in den Griff bekommen", sagt eine ältere Passantin. Ein Restaurantbesitzer sieht das anders: "Die Politiker müssten viel mehr tun. Die Brände sind gelöscht; jetzt müssen wir bald langfristige Lösungen finden."
    Viele Fragen bleiben unbeantwortet. Immer wieder tauchen neue Theorien auf, wie es zu dem Unglück in Pedrógão Grande kommen konnte, bei dem 64 Menschen ums Leben kamen. Premierminister António Costa hatte alle beteiligten Behörden aufgefordert, eine Erklärung über die möglichen Ursachen der Brandkatastrophe abzugeben. Die Folge: Zivilschutz, Polizei, Feuerwehr, lokale Behörden und Wetterdienst legten unterschiedliche Interpretationen und Rechtfertigungen vor, die Widersprüche aufdeckten und die teilweise chaotischen Zustände am Unglückstag offenlegten.
    Regierung zurückhaltend bei gegenseitigen Schuldzuweisungen
    José Manuel Fernandes, Herausgeber der einflussreichen Online-Zeitung Observador, glaubt, dass die Regierung von den gegenseitigen, öffentlichen Beschuldigungen der Behörden sogar profitieren könnte:
    "Die Regierung hat nicht erklärt, was schiefgelaufen ist, sondern sie hat die Diskussion darüber von den Behörden im öffentlichen Raum austragen lassen. Durch das Chaos, das wir sehen, rückt der Fokus nun auf die Polizei oder den Zivilschutz, und die Regierung kann sich aus der direkten Verantwortung stehlen. Das mag für die Regierung gut sein, für die Bürger ist es das aber nicht. Denn wir fühlen uns nur sicher, wenn wir wissen, dass der Staat gut funktioniert und sich nicht in Widersprüchen verstrickt."
    Der populäre Premierminister, so Fernandes, nehme das jedoch in Kauf: "António Costa ist vor allem darauf bedacht, keinen Imageschaden zu erleiden, denn als jetziger Regierungschef und früherer Innenminister hat er mit den Fragen nach den Gründen für die Waldbrände eigentlich eine Menge zu tun."
    Der Publizist Fernandes vermutet, dass Costa sich an ein einschneidendes Erlebnis aus seiner politischen Karriere erinnert fühlt. Costas politischer Ziehvater António Guterres übernahm mit seiner Regierung vor 16 Jahren die Verantwortung für einen Brückeneinsturz, bei dem 59 Menschen starben. Kurze Zeit später mussten die Sozialisten eine schwere Niederlage bei den Kommunalwahlen einstecken. Die Regierung trat daraufhin zurück.
    Opposition wittert Chance
    Nach der Waldbrandkatastrophe sehen nun die konservativen Oppositionsparteien eine Chance, die eigentlich sehr stabile Regierung in ein schlechtes Licht zu rücken. Die Konservativen werfen Premierminister Costa ein schlechtes Krisenmanagement und schwerwiegende Fehler vor und verweisen noch auf einen anderen aktuellen Fall: In der vergangenen Woche konnten Unbekannte von einem portugiesischen Militärstützpunkt über 50 Kilogramm Plastiksprengstoff, Panzerabwehrwaffen und Granaten entwenden, weil die Videoüberwachung nicht funktionierte. Die Vorsitzende der kleineren konservativen Volkspartei, Assunção Christas, forderte wegen der Waldbrände den Rücktritt der Innenministerin und wegen des Raubes des Militärmaterials den Rücktritt des Verteidigungsministers. Sie sagt:
    "Wir erleben eine Krise im Staat, in den Befehlsstrukturen und eine allgemeine Krise des Vertrauens. Das lösen wir nur, wenn die beiden Minister entlassen werden. Das haben wir dem Staatspräsident und dem Premierminister klargemacht."
    Folgen der Sparpolitik?
    Der Publizist José Manuel Fernandes glaubt nicht, dass durch die Ablösung der Minister die vehemente Kritik an der Regierung verstummen wird. Er sieht die Ursachen anderswo: Bei den Waldbränden habe ein autonomes Kommunikationssystem der Einsatzkräfte nicht funktioniert, weil die notwendigen Antennen nicht gekauft wurden. Und bei dem Diebstahl auf dem Militärstützpunkt sei das Geld für ein neues Videoüberwachungssystem erst vor Kurzem freigegeben worden, obwohl das Problem seit über einem Jahr bekannt war, José Manuel Fernandes:
    "Die Regierung hat im vergangenen Jahr die Sparpolitik umdefiniert: Die Gehalts- und Rentenkürzungen aus den Krisenjahren wurden zurückgenommen. Aber dafür musste an anderer Stelle gespart werden, um die Defizitvorgaben einzuhalten. Das heißt: Die laufenden Ausgaben der Ministerien sind auf ein Minimum zurückgeschraubt worden, und der Staat hat noch nie so wenig investiert. Diese Sparpolitik ist sicher nicht der Hauptgrund für die Waldbrände und den Diebstahl im Militärlager, aber es stellt sich die Frage, warum die Investitionen zum Beispiel in das Kommunikationssystem der Einsatzkräfte oder in die Videoüberwachung auf dem Militärlager zurückgehalten wurden."