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Aufarbeitung einer rassistischen Mordserie

Vor knapp eineinhalb Jahren flog der "Nationalsozialistische Untergrund" in Eisenach und Zwickau auf. Dessen Gründer Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt sollen zehn Menschen ermordet haben. Was hat Beate Zschäpe davon gewusst? Das ist die Kernfrage im Münchener NSU-Prozess.

Von Rolf Clement, Paul Elmar Jöris, Ludwig Kendzia | 03.05.2013
    Am Ende entschied das Los - und überregionale Zeitungen wie die "Frankfurter Allgemeine", die "Welt" oder die "Süddeutsche" hatten kein Glück. Sie haben keinen der 50 reservierten Presseplätze im NSU-Prozess ergattert.

    "Es wurde in diesem Gruppenloskorb ausgelost: das Online-Medium 'Hallo München.de' und die Zeitschrift 'Brigitte'. Ich wusste, dass ich damit den größten Lacheffekt haben werde."

    Trotz Gelächter – das Münchner Oberlandesgericht blieb in der Kritik. Der Saal ist für den NSU-Prozess schlicht zu klein. Der Ärger war also absehbar, als die 50 festen Presseplätze nach dem Motto "Wer zuerst kommt, mahlt zuerst" vergeben wurden.

    Türkische Medien kamen zu spät und protestierten. Das Bundesverfassungsgericht schritt ein und entschied, dass im Gerichtssaal auch ausländische Medien Platz finden müssen. Denn acht der zehn Mordopfer des NSU, des Nationalsozialistischen Untergrundes, stammen aus der Türkei, ein Opfer aus Griechenland. Der Prozess wurde um fast drei Wochen verschoben. Und die Presseplätze schließlich verlost.

    Es folgten erneut Beschwerden in Karlsruhe – jedoch erfolglos. Damit dürfte der Weg für den Prozessbeginn am kommenden Montag frei sein. Zumal akkreditierte Journalisten ihre reservierten Plätze mit anderen teilen oder sie anderen Medien überlassen.

    Gerichtspräsident Karl Huber wies derweil Kritik zurück, das Gericht habe die nationale und politische Bedeutung dieses Strafverfahrens verkannt. Für ihn ist der Prozess gegen Beate Zschäpe und vier Mitangeklagte ein ganz normaler Strafprozess.

    "Vorrangige Aufgabe des Gerichtes ist es, eine rechtstaatlich ordnungsgemäße, revisionssichere Strafverhandlung durchzuführen und die strafrechtliche Schuld der Angeklagten zu überprüfen und dann nach langer Prüfung und langer Dauer des Verfahrens zu Urteilen zu kommen. Das ist die Kernaufgabe auch dieses Strafverfahrens. Die Gewährleistung einer ausreichenden Öffentlichkeit und die Teilnahme von möglichst vielen Pressevertretern an diesem Prozess sind dem Senat und auch mir ein ganz besonderes Anliegen schon immer gewesen, aber dieses betrifft nicht den Kern des Verfahrens."

    Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt tot im Wohnmobil
    Kern des Verfahrens ist die Aufklärung einer Mordserie. Mehr als zehn Jahre tappte die Polizei im Dunkeln. Neun Menschen wurden mit derselben Pistole erschossen, neun Menschen mit ausländischen Wurzeln. Aber eine Spur zu den Tätern fehlte. Das änderte sich erst vor 15 Monaten:

    Es war ein Banküberfall - nicht unbedingt Routine für die Eisenacher Polizei an diesem 04. November 2011. Aber auch nicht die große Aufregung. Schnell ist klar: Es sind dieselben Täter wie vier Wochen zuvor im 60 Kilometer entfernten Arnstadt. Die Polizei stellt ihre Taktik sofort um.

    Und nach einem Zeugenhinweis steht sie am Mittag vor einem weißen Wohnmobil im Eisenacher Ortsteil Stregda. Es fallen Schüsse, es schlagen Flammen aus dem Wagen und dann machen die Beamten eine grausige Entdeckung: zwei Leichen. Es sind Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt. Untergetaucht am 26. Januar 1998 in Jena - während einer Durchsuchung ihrer damaligen Bombenwerkstatt.

    Dazwischen liegen 13 Jahre, zehn mutmaßliche Morde und mehr als ein Dutzend mutmaßlicher Banküberfälle. Dem Gothaer Polizeidirektor Michael Menzel ist die Dimension schon in den ersten zwölf Stunden nach dem Überfall klar:

    "Aber ich muss schon zugeben, dass Erstaunen war schon groß, wo wir in der Nacht die Waffe P 2000 gefunden haben und bei einer Fahndungsüberprüfung den Treffer bekommen haben, dass es die Waffe von unserer verstorbenen Kollegin Kiesewetter ist."

    Michele Kiesewetter, Polizistin in Heilbronn, war das mutmaßlich zehnte und letzte Opfer der Terrorzelle aus Jena. Seit der Nationalsozialistische Untergrund aufgeflogen ist, beschäftigen sich Untersuchungsausschüsse im Bund und den Ländern mit dem NSU. Und von kommender Woche an das Oberlandesgericht in München in einem Prozess.

    Verharmlosung von Rechtsextremismus in Ostdeutschland
    Immer wieder tauchen Fragen auf: Wie konnte es zu dieser Mordserie kommen? Wo und wann haben Verfassungsschutz, Polizei und Justiz versagt? Die Spuren führen in nahezu alle Bundesländer. Das rechtsterroristische Trio bildete sich in Thüringen. Das hatte auch etwas - so sieht es die Rechtsextremismusexpertin Martina Renner - mit der Verharmlosung von Rechtsextremismus Anfang der 90er-Jahre in den neuen Ländern zu tun:

    "Wir haben eine Situation, wo seitens der damals verantwortlichen Politik im Bereich der Inneren Sicherheit in Thüringen eben gesagt wird: Neonazismus, das wird herbeigeredet von wenigen, die Thüringen in ein schlechtes Licht rücken wollen. Wir haben tatsächlich gar kein Problem."

    Diese Einstellung, so Renner, sollte sich später rächen. Denn wer sich nicht mit der Neonaziszene auseinandersetze, der konnte auch nicht wissen, was diese tat. Und konnte vor allem nicht wissen, wer – auch über Thüringen hinaus - zum Netzwerk gehörte. Diese Wissenslücke bemerkt sie immer wieder auch im Untersuchungsausschuss des Thüringer Landtages, dessen Vizevorsitzende sie als Obfrau die Linksfraktion ist.

    "Der grundlegendste Fehler, der gemacht worden ist, ist nicht zu erkennen, dass die Drei Teil eines Netzwerkes sind, was schon immer beabsichtigt hatte, Straftaten zu begehen. Was sich immer vorbereitet hatte, dass möglicherweise auch Aktivisten aus diesem kriminellen Netzwerk in den Untergrund gehen. Und was Unterstützerstrukturen vorgehalten hat."

    Renner ist davon überzeugt - und das ist dann auch die späte Einsicht der Behörden - dass sich Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe auf alte Kontakte verlassen konnten: Vor allem auf Kontakte in Sachsen.

    Jede Menge Fehler und Pannen bei den Ermittlungen
    An dieser Stelle wird ein weiterer fataler Fehler deutlich: Die Fahnder hatten kurz nach dem Abtauchen des Trios im Januar 1998 eine wichtige Spur in der Hand. Zwei Listen mit Namen und Adressen von Kameraden und Freunden - gefunden bei der Durchsuchung der Bombenwerkstatt in Jena.

    Es erscheint wie ein unglaublicher Fehltritt der Thüringer Polizei und der beteiligten BKA-Beamte damals - denn die Listen hätten klare Hinweise gegeben, wo die Drei vor allem in den ersten Monaten untergetaucht waren.

    Auch für Martina Renner ist das eine der unglaublichsten Pannen bei der vergeblichen Suche nach dem Trio. Sie fragt sich noch immer, was damals dazu führte, dass die Listen nicht ausgewertet wurden:

    "Diese Liste, ist das eine Panne? Oder hat man die Liste ausgewertet und hat festgestellt, auf dieser Liste stehen auch eben diverse Spitzel von Verfassungsschutzbehörden oder auch möglicherweise Zuträger der Polizei. Und hat man deswegen auch, ich sag mal, Zurückhaltung üben lassen bei dieser Liste."

    Diese besagten Listen sind nur ein Baustein im Puzzle der vielen Pannen. Aber dieser Baustein zeigt sehr deutlich, was möglich gewesen wäre, wenn die Behörden bestimmten Hinweisen nachgegangen wären. Beim Betrachten des gesamten Falls fällt einem immer wieder auf, dass an bestimmten Stellen unglaublich viel gemacht - aber wenig erreicht wurde.

    Gleichzeitig aber wurden andere Spuren nicht weiter verfolgt. Das, so die Abgeordnete der Linken, war nicht nur bei den Behörden in Thüringen so, sondern auch bei anderen Behörden wie dem Bundeskriminalamt:

    "Also warum sind dort wenigstens nicht die Informationen soweit zusammengefasst worden, dass man erkannt hat, dass es hier eine rassistische Anschlagsserie gibt. Was der einzelne Ermittler vor Ort nicht leisten konnte, das hat das BKA flankierend dann auch durch ein Desaster begleitet. Also da ist niemand raus, weder die anderen Bundesländer noch die Bundesbehörden."

    Als die Sicherheitsbehörden das eigene Versagen aufzuarbeiten beginnen, wird ihnen schnell klar, dass es neben den zahlreichen individuellen Fehlleistungen ein weiteres Problem gibt: Die Behörden hatten das sogenannte Trennungsgebot zu weit interpretiert. Jede behielt ihre Erkenntnisse für sich, wachte eifersüchtig über ihr Wissen und verkannte, dass am Ende das Ansehen aller leiden wird, wenn nur eine Behörde einen Fehler macht.

    Erstes Opfer in Nürnberg
    Das erste Opfer ist Enver Simsek, ein Blumengroßhändler. Am 9. September 2000 steht er mit seinem Verkaufsstand auf einem Parkplatz in der Nähe von Nürnberg. Acht Schüsse durchsieben den Mann, der gerade auf der Landefläche seines Lieferwagens Blumen schneiden will, als zwei Kunden an den Wagen herantreten. Der 38-jährige Türke hat keine Chance. Für die Polizei beginnt die Ermittlungsroutine, wie Kriminaldirektor Schalkhausen später erklärt:

    "Zunächst war es kein ungewöhnlicher Fall, sondern ein erschossener türkischer Blumenhändler. Da fangen die normalen Umfeldermittlungen an wie bei jedem anderen Tötungsdelikt auch."

    Anhand der Geschosse stellt die Polizei fest, dass eine der Schusswaffen eine Ceska Kaliber 7,65 gewesen sein muss. Das Tatmotiv bleibt im Dunkeln. Die Polizei vermutet einen kriminellen Hintergrund.

    Während der nächsten sechs Jahre erschießen Mundlos und Böhnhardt acht weitere Menschen: Sieben davon sind türkischer Herkunft, ein Opfer ist Grieche. Immer wieder tauchen sie tagsüber in den Geschäftslokalen ihrer arglosen Opfer auf und schießen sie nieder. Immer wieder benutzen sie die erwähnte Ceska-Pistole. Die Ermittler jedoch suchen die Mörder im Drogenmilieu. Hinweise auf ein ausländerfeindliches Tatmotiv dagegen verfolgen sie nicht.

    Der Anschlag am 9. April 2004 in Köln fällt aus dem Muster heraus. In der Keupstraße platzieren die beiden Zwickauer eine selbst gebastelte Nagelbombe vor dem belebten Friseurgeschäft "Kuaför Özcan". Aus sicherer Entfernung zünden sie die Bombe. 24 Menschen werden verletzt, einige davon schwer.

    Bislang achten die mutmaßlichen Täter fast immer darauf, ihre Opfer möglichst allein in ihren Geschäften anzutreffen. Bei ihrem letzten Mord aber, den sie auf dem Rückweg von Dortmund nach Zwickau im Vorbeifahren verüben, riskieren sie, von Zeugen gesehen zu werden: Im Kasseler Internetcafé von Halit Yozgat sind sechs Kunden, einer davon ein Mitarbeiter des Verfassungsschutzes, als der Türke am 6. April 2006 getötet wird. Helmut Wetzel, Kriminalkommissar in Kassel, deutet an, dass er einen ausländerfeindlichen Hintergrund sieht:

    "Ich glaube, dass es sich bei dem Täter um jemanden handelt, der die Opfer nach ihrer Ethnie und nach dem Umfeld aussucht. Also: Er sieht nicht das einzelne Opfer, sondern er sieht hier einen Südländer, einen Türken, in einem Geschäft, einem türkischen Geschäft."

    Einzelne Ermittler kamen gelegentlich auf die Idee, Motiv für die Mordserie könnte auch ein ausländerfeindlicher Hintergrund sein. Doch diese Mutmaßung wurde nicht wirklich nachgegangen. Heute weiß man, wenn die Sicherheitsbehörden schon damals miteinander gesprochen hätten, hätte die Polizei vielleicht von Verfassungsschützern erfahren können, dass rechtsextreme Gewalttäter keine Bekennerschreiben verfassen. Stattdessen gilt in diesen Kreisen die Devise: Eine Tat muss wirken, sie bedarf keiner Erklärung. Auch, weil den Ermittlern dieses Wissen fehlte, ist die Mordserie nicht als politisch motivierte erkannt worden.

    Mordserie endet mit der Tötung einer Polizistin
    Gut ein Jahr nach dem Mord in Kassel wird am 25. April 2007 in Heilbronn Michele Kiesewetter umgebracht. Die aus Thüringen stammende Polizistin in Diensten des Landes Baden-Württemberg wird in ihrem Einsatzfahrzeug erschossen – als sie mit ihrem Kollegen gerade eine Pause macht. Der Kollege überlebt schwer verletzt. Nun endet die Mordserie. Parallel überfallen Mundlos und Böhnhardt Banken, um sich die nötigen finanziellen Mittel für ihr Leben im Untergrund zu beschaffen.

    Wenn sich ab dem 6. Mai Beate Zschäpe, Ralf Wohlleben und andere vor dem Oberlandesgericht in München verantworten müssen, dann wird es nicht nur um zehn Morde gehen. Vor Gericht muss auch geklärt werden, ob der "Nationalsozialistische Untergrund" eine rechtsextremistische Terrorgruppe war. Die Bundesanwaltschaft muss im Prozess beweisen, dass Zschäpe Mitglied dieser terroristischen Zelle war. Sie muss ferner nachweisen, dass Wohlleben und die anderen Mitangeklagten diese Zelle unterstützt hatten. Dafür muss auch geklärt werden, wie sich Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe zu einer Zelle zusammen schlossen und welche Strategie die Drei verfolgten.
    Seit der NSU in Eisenach und Zwickau vor knapp eineinhalb Jahren aufgeflogen ist, werden immer wieder neue Begriffe geprägt: "Terror-Trio", "Neonazizelle", "braune Terroristen". Es sind Versuche, die Gruppe zu beschreiben, die sich selbst "Nationalsozialistischer Untergrund" nannte. Gegründet von Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und wohl auch von Beate Zschäpe. Die beiden Männer - die sich am 4. November 2011 in einem Wohnmobil erschossen haben - sollen zehn Menschen ermordet haben. Was hat Beate Zschäpe davon gewusst? Das ist die Kernfrage im Münchner Prozess.

    Die Strategie des "einsamen Wolfs"
    Vieles spricht für eine Strategie, die seit den 90er-Jahren in der Neonaziszene kursiert. Die Spur führt ins Internet. Der "Einsame Wolf" - der Kampf ohne Organisation, ohne Struktur - wird in der Szene als beste Taktik propagiert. Fabian Virchow, Rechtsextremismusexperte an der Fachhochschule Düsseldorf, kennt diese Strategie sehr gut und kann sich eine Verbindung zur Zwickauer Terrorzelle vorstellen:
    "Es würde mich sehr wundern, wenn von den Dreien und auch in der Szene, aus der sie stammen, diese Konzepte nicht diskutiert worden wären. Die entsprechenden Schriften kursierten quer durch die neonazistischen Strukturen der Bundesrepublik, seit Anfang der 90er-Jahre."

    Eine einschlägige Schrift stammt von Louis Beam - erstellt Anfang der 90er-Jahre. Der US-amerikanische Rassist empfiehlt darin sogenannte "Phantomzellen". Bei diesem Konzept des führerlosen Widerstandes sollen der einzelne Terrorist und die Gruppen unabhängig voneinander operieren. Und niemals einem zentralen Hauptquartier berichten.

    Parallelen zur Zwickauer Zelle drängen sich auf, denn eine feste Gruppe gab es auch in deren Umfeld nicht - eher alte Freunde aus der Szene, die den Untergetauchten halfen. Ein Dutzend Unterstützer will der Generalbundesanwalt identifiziert haben. Ob die von den Morden wussten, ist noch nicht bewiesen.

    "Ich vermute, das erklärt sich darüber, dass man sich lange kennt, sich vertraut. Insofern waren das die Personen, an die man sich zunächst gewandt hat. Insofern ist das Ausmaß der Konspirativität vielleicht für die Kerngruppe dann doch wieder aufgelöst - sozusagen poröse Übergänge zu diesem Unterstützerkreis, den es da offensichtlich gegeben hat."

    Martina Renner ist überzeugt davon, dass das NSU-Trio auf ein Netzwerk von Kameraden zurückgreifen konnte. Sie ist die stellvertretende Vorsitzende des Untersuchungsausschusses im Thüringer Landtag. Die Politikerin der Linkspartei ist sich sicher, dass braune Strukturen das Entstehen der Zelle begünstigt haben:

    "Man muss aber sagen, es waren nicht nur Zschäpe, Böhnhardt, Mundlos. Zu diesem engeren Kreis einer militanten Untergruppe des Thüringer Heimatschutzes gehörten auch weitere, die auch heute als Unterstützer und möglicherweise auch Mitglieder des NSU ein Rolle spielen, wie zum Beispiel Ralf Wohlleben oder Holger Gerlach."

    Und doch - trotz möglicher Helfer - blieben die Drei unerkannt. Denn sie schwiegen; sie vertrauten sich wohl offenbar niemandem in ihrem Umfeld an. Im Schutt des abgebrannten Hauses in Zwickau, in dem das Trio jahrelang lebte, wurde ein Schreiben entdeckt. Darin heißt es wörtlich: "Verfolgung und Strafen zwingen uns, anonym und unerkannt zu agieren."

    Über diese Taktik kann man auch im "NS-Handbuch für politische Soldaten" lesen. Auch darin wird von Bekennerschreiben abgeraten. Wörtlich heißt es:

    "Die sind nur für den Ego-Trip und geben der Polizei nur mehr Beweismittel, um weiter zu arbeiten. Warum gibst du es ihr?"

    Beate Zschäpe ist als Mittäterin angeklagt
    Eigenschutz vor Eigenwerbung hat also möglicherweise dazu geführt, dass innerhalb von 13 Jahren zehn Menschen ermordet worden sind. Und niemand ahnte, wer da mordend durch Deutschland zog - bis am 4. November 2011 in Eisenach ein Wohnmobil mit zwei Leichen in Flammen aufging.

    Fast genau ein Jahr brauchte die Bundesanwaltschaft, um die sichergestellten Beweise zu sichten, die Ergebnisse der Sonderkommissionen in den Ländern zusammenzuführen und um schließlich die Anklage zu formulieren. Generalbundesanwalt Harald Range:

    "Nach dem Ergebnis der Ermittlungen bestand der 'Nationalsozialistische Untergrund' (NSU) aus drei gleichberechtigten Mitgliedern. Deren wahre Identität und terroristische Zielsetzung war nur einem eng umgrenzten Kreis von wenigen Unterstützern und Gehilfen bekannt. Die NSU-Mitglieder verstanden sich als ein einheitliches Tötungskommando, das die feigen Mordanschläge aus rassistischen und staatsfeindlichen Motiven arbeitsteilig verübte. Das allgemeine Entsetzen über die Taten zeigt, wie sehr unser Gemeinwesen, wie sehr wie alle dadurch getroffen wurden."

    Die mutmaßlichen Mörder Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt sind tot. Welche Rolle hat aus Sicht des Generalbundesanwalts die einzige Überlebende des NSU-Trios, Beate Zschäpe, gespielt?

    "Sie war genauso für die terroristischen Verbrechen des NSU verantwortlich wie Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos, die die Mordanschläge und Raubüberfälle letztlich unmittelbar ausführten. Beate Zschäpe ist damit strafrechtlich zugleich als Mittäterin der Verbrechen der terroristischen Vereinigung anzusehen."

    Beate Zschäpes Verteidiger dagegen glauben, dass der Vorwurf der Mittäterschaft keinen Bestand haben wird, weil er ihrer Ansicht nach nur auf Mutmaßungen beruhe.

    "Der Generalbundesanwalt hält zu einer Beteiligung von Frau Zschäpe an den mutmaßlich von Herrn Böhnhardt und Herrn Mundlos begangenen Taten keine gerichtsverwertbaren Beweise in den Händen. Es handelt sich um eine reine Vermutung und weitgehend um eine Spekulation. Wir als Verteidiger gehen davon aus, dass der Vorwurf der Mittäterschaft in der Hauptverhandlung keinen Bestand haben wird."
    So ihr Anwalt Wolfgang Heer. Beate Zschäpe selbst schweigt bisher.

    Der Präsident des Oberlandesgerichts München, Karl Huber, geht davon aus, dass sich der Prozess über zwei Jahre, vielleicht sogar noch länger hinziehen wird. Zwei Jahre, in denen viel passieren kann, aber auch viel passieren soll: Es geht nicht nur um die Urteilsfindung gegen Zschäpe und ihre Mitangeklagten.

    Es müssen auch Antworten gefunden werden: Warum konnten Rechtsterroristen über ein Jahrzehnt lang mordend durch Deutschland ziehen? Warum konnte eine rechtsextremistische Terror-Zelle so lange unentdeckt bleiben? Das öffentliche Interesse an diesem Prozess ist verständlich. Vor allem aber ist man den Angehörigen der Opfer Antwort schuldig.