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Aufbruch in die Anti-Moderne

Die Piusbrüder lehnen die Öffnung der Kirche hin zur Welt prinzipiell ab. Diese Öffnung markierte für die Traditionalisten den Sündenfall der katholischen Kirche im 20. Jahrhundert schlechthin. Davon war Erzbischof Marcel Lefebvre überzeugt.

Von Henning Klingen | 22.06.2012
    "Aggiornamento". Wie kein anderes Wort, fasst der Begriff Anlass und Ziel des Zweiten Vatikanischen Konzils zusammen. Aggiornamento meint die Öffnung der katholischen Kirche hin zur Welt. Eine solche Öffnung sei dringend geboten, vermerkte der Konzilspapst Johannes XXIII. in seiner Eröffnungsansprache am 11. Oktober 1962.

    Nur die "Unglückspropheten", so der Papst wörtlich, würden Welt und Kirche trennen und "immer das Unheil voraussagen, als ob die Welt vor dem Untergang stünde". "Wir aber", so Johannes XXIII. weiter, "sind völlig anderer Meinung".

    Ein Paradigmenwechsel, ist sich Bernd-Jochen Hilberath, Professor für Ökumenische und Interreligiöse Forschung an der Universität Tübingen, sicher:

    "Der Paradigmenwechsel liegt darin, dass sich die römisch-katholische Kirche neu in der Welt positioniert hat. Wichtig ist dabei, dass die Kirche ihr Verhältnis zur Welt jetzt anders versteht als in den Jahrhunderten vor dem Konzil, wo die Kirche der Welt gegenüberstand, sie als feindlich beurteilt hat. Jetzt sagen die Konzilsväter mit überwältigender Mehrheit: Die Kirche ist in der Welt von heute, sie ist solidarisch mit der Welt, sie kann von der Welt lernen."

    Damit ist zugleich der Grundkonflikt benannt, in dem sich die Piusbrüder und der Vatikan seither befinden. Die Piusbrüder lehnen die Öffnung der Kirche hin zur Welt prinzipiell ab. Mehr noch, sie markiert den Sündenfall der katholischen Kirche im 20. Jahrhundert schlechthin. Davon war Erzbischof Marcel Lefebvre, überzeugt. Er gehörte beim Konzil zu den Vertretern einer stramm konservativen, die Tradition über alles stellende Richtung. Lefebvre und seine Anhänger sollten schließlich bei den Abstimmungen über die Konzilsdokumente das Nachsehen haben. Bernd-Jochen Hilberath:

    "Aus meiner Sicht gibt es einen Neuaufbruch, der in gewissem Sinn auch eine Diskontinuität bedeutet. Das heißt, die Mehrheit der Konzilsväter war der Meinung, dass die Veränderung eine legitime Weiterentwicklung dessen ist, was in der Kirche seit Jahrhunderten überliefert wird. Menschen aber wie die Piusbrüder, die meinen, die Identität läge darin, dass man immer die gleichen Formen, die gleichen Strukturen gebraucht, die sehen in jedem Wandel einen Abbruch."

    Doch neben diesem Fundamentaldissens übt die Bruderschaft auch Kritik im Detail. Insbesondere die Dokumente über die Religionsfreiheit und das Verhältnis zum Judentum, sowie das Dekret zur Ökumene lehnen die Traditionalisten ab.

    "Also die Piusbrüder wollen die Position der Kirche beibehalten, wie sie offiziell mit einigen Nuancen vor dem Konzil vertreten wurde. Da wurde gesagt: Ein Hindu zum Beispiel kann auch in den Himmel kommen, und ich rede mal so traditionell, obwohl er ein Hindu ist. Das heißt, seine Religion, seine Tradition, sein religiöser Kontext wird in keiner Weise gewürdigt. Hier macht das Konzil den Paradigmenwechsel und erklärt in Nostra Aetate, dass es nichts von dem ablehnt, was es als Wahres und Gutes in den anderen Religionen gibt."

    Ein besonderer Dorn im Auge ist den Piusbrüdern das Eingeständnis kirchlicher Verfehlungen im Verhältnis zum Judentum. Juden sind in ihren Augen Gottesmörder. Das Konzil hingegen betont das gemeinsame Erbe von Christen und Juden und verurteilt jede Form von Antisemitismus.

    Ein weiterer Sündenfall in den Augen der Piusbrüder: die innerchristliche Ökumene:

    "Wir können das in etwa mit dem vergleichen, mit dem, was über die nichtchristlichen Religionen in Nostra Aetate gesagt wurde: Das heißt, die anderen werden – in der Ökumene noch stärker – als wirkliche Partner angesehen. Es ist nicht mehr so, dass man theologische Klimmzüge machen muss, um zu erklären, warum ein Protestant auch in den Himmel kommen kann. Es wird jetzt vielmehr gewürdigt, was es an christlicher Erfahrung, an geistlichen Gütern, an Frömmigkeit, an Theologie in den anderen Kirchen gibt."

    Selbst wenn durch die Gespräche der vergangenen Jahren in jenen Detailfragen eine Annäherung zwischen Rom und den Piusbüdern gelungen sein sollte. Grundlegende Unterschiede dürften bestehen bleiben, ist sich Bernd-Jochen Hilberath sicher:

    "Die Mehrheit der Theologen versucht das zu verbinden, was traditionell eingestellten Katholiken immer noch unmöglich erscheint, nämlich Wahrheit mit Geschichte, mit Wandel zu verbinden. Es ist eben nicht so, dass die Wahrheit garantiert ist, wenn wir immer die gleichen Worte wiederholen und dass Begriffe sich so ändern können, dass wir neue Begriffe, neue Sprache für das immer gleiche finden müssen. Und diesen Weg ist das Konzil gegangen, auf ausdrückliche Vorgabe von Papst Johannes XXIII., der in der Eröffnungsansprache gesagt hat: Wir müssen unterscheiden: Das eine sind die sogenannten ewigen Wahrheiten, das andere ist ihre zeitgemäße Verkündigung."

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