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Aufbruch ins Unbekannte

Umwelt. - Die Nordostpassage wäre der schnellste Weg von Europa nach Südostasien. Der Rückgang des arktischen Eises verspricht daher Schifffahrt und Industrie ein gewaltiges Potenzial. Deutsche Ingenieure entwickeln dafür bereits die Techniken.

Von Renate Ell | 27.02.2007
    20 bis 30 Prozent der globalen Ölreserven sollen in Sibirien liegen – teilweise unter dem Meeresboden. Unter einem Meer also, das die meiste Zeit des Jahres zugefroren ist – und das wird auch in einigen Jahrzehnten zumindest im Winter noch der Fall sein. Die Ölgewinnung im arktischen Meer stellt hohe Anforderungen. Bevor spezielle Tanker, Bohranlagen oder Verladeterminals zum Einsatz kommen, müssen sie als verkleinertes Modell viele Testläufe absolvieren – zum Beispiel im Eiskanal der Hamburgischen Schiffbau-Versuchsanstalt. Der Ingenieur Jens-Holger Hellmann öffnet die Tür zur Halle mit dem Test-Becken.

    "Die muss man jetzt leise zumachen, weil das Eis gerade ganz frisch angefroren ist, es dauert ungefähr zwei Tage, bis das Eis so weit ist, bis wir es für den Versuch verwenden können."

    Das zehn mal 60 Meter große Becken sieht aus wie ein zu lang geratenes Schwimmbad, verlockt aber bei minus 20 Grad in der Halle nicht zum Baden. Ein zarter Nebel hängt über der glatten Eisschicht. Hellmann erklärt, dass so gleichmäßiges Eis in der Natur nur selten zu finden, für bestimmte Versuche aber wichtig ist, um zu vergleichbaren Ergebnissen zu kommen. Für weitere Versuche wird die Eisdecke dann aufgebrochen, und die fünf bis sieben Meter langen Schiffsmodelle müssen sich durch dickes Packeis kämpfen.

    "Es geht bei uns darum, welche Fahreigenschaften hat das Schiff. Welche Antriebsleistung es braucht, um unter bestimmten Eisbedingungen überhaupt fahren zu können, und welche Geschwindigkeit es dabei erreichen kann, das heißt, welche Zeiträume braucht es, um eine Strecke zurückzulegen, das ist natürlich von Bedeutung für ein Schiff, im offenen Wasser genauso wie im Eis."

    Zumal sich das Eis ständig verändert – wo eben noch freies Wasser war, kann ein paar Stunden später eine geschlossene Eisdecke sein. Bei solchen Versuchen haben sich zum Beispiel die Double Acting Vessels bewährt, also Doppelfunktionsschiffe, berichtet Walter Kühnlein, Leiter der Abteilung Eistechnik in der Hamburgischen Schiffbau-Versuchsanstalt.

    "Das sind also Schiffe, die im offenen Wasser vorwärts fahren und ein Eis brechendes Hinterschiff haben, und dann können sie im Eis rückwärts fahren, damit sehr ökonomisch sowohl im offenen Wasser als auch im Eis fahren."

    Aber eisgängige Tanker allein sind nicht genug. Ölbohrplattformen und Verladeterminals müssen dem Druck des Packeises widerstehen, das durch Meeresströmungen, Gezeiten oder Wind ständig in Bewegung ist. Auch Ölverladetechniken müssen erst noch ihre Eistauglichkeit beweisen. Als vielversprechend gilt die Betankung mit einem Schlauch, der an einer ferngesteuerten Boje hängt. Beides liegt am Meeresboden, bis ein Tankschiff kommt.

    "Wenn ein Schiff kommt, wird diese Boje durch ein akustisches Signal ausgelöst, hoch schwimmen, und das Schiff ist dann sozusagen mit dieser Boje verankert und kann über diese Boje auch dann Öl aufnehmen. Aber dann, wenn das ganz dicke Eis kommt, wird diese Boje tief auf dem Boden sitzen und ist demzufolge eben auch nicht diesen ganz großen Eiskräften ausgesetzt."

    Pipelines würden das Öl von Ölplattformen oder anderen Förderanlagen zu solchen Verladeterminals bringen. Im relativ flachen sibirischen Meer sind Pipelines allerdings gefährdet – durch so genannte Presseisrücken. Das sind übereinander geschobene Eisschollen, die einen erheblichen Tiefgang haben. Deshalb brauchen die Pipelines eine doppelte Außenwand.

    "Sie können dann eben eine Konstruktion bauen, die sich viel mehr mitbewegen kann, wenn sie erlauben, dass sich das mehrere zehn Meter weit verformt, dann wird das mit Sicherheit weniger häufig brechen oder eben in der Regel gar nicht brechen. Wenn eine Pipeline richtig eingegraben ist und sich nicht bewegen kann, dann wird diese Pipeline natürlich sofort brechen."

    Seit 2005 berät eine deutsch-russische Arbeitsgruppe über die Entwicklung neuer Techniken für die Erschließung der Rohstoffreserven in der Nordostpassage. Die Bundesregierung fördert mehrere Forschungsprojekte auf diesem Gebiet – damit in Deutschland auch in Zukunft das Öl nicht knapp wird, und um der deutschen Meerestechnik den Weg in die russische Arktis zu bahnen.