Samstag, 20. April 2024

Archiv


Aufbruch zur Toleranz

Im Jahre 1530 hatten reformatorische Theologen auf dem Augsburger Reichstag ihr neues Glaubensbekenntnis, die Confessio Augustana, vorgelegt. Ein Jahr später war in Schmalkalden der Bund protestantischer Fürsten und Städte zur Verteidigung des neuen Glaubens gegründet worden. Im Verlauf der Auseinandersetzungen zwischen katholischen Fürsten und Kaiser Karl V. einerseits und protestantischen Fürsten andererseits war 1546 der Schmalkaldische Krieg ausgebrochen, ein blutiger Religionskrieg. Es dauerte bis 1555, ehe die feindlichen Parteien auf einem weiteren Reichstag in Augsburg ein Kompromiss erzielten, der als Augsburger Religionsfriede in die Geschichtsbücher eingegangen ist.

Von Peter Hertel | 25.09.2005
    "Wir, Ferdinand, von Gottes Gnaden, Römischer König, zu allen Zeiten Mehrer des Reiches... gebieten, daß hinfort niemand ... den anderen befehden, bekriegen, berauben ... und belagern soll, ... sondern ein jeder soll dem anderen in echter Freundschaft und christlicher Liebe begegnen ... Und damit solcher Friede auch trotz der Religionsspaltung ...desto beständiger ... erhalten werden möchte..., so soll die strittige Religion nicht anders als durch christliche, freundliche, friedliche Mittel und Wege zu einhelligem, christlichem Verständnis und Vergleich gebracht wer-den."

    Reichs- und Religionsfrieden nach blutigem Glaubenskrieg. Besiegelt wird er am 25.September 1555 im Alten Rathaus zu Augsburg durch König Ferdinand I., dem Vertreter Kaiser Karls V.
    Heute gilt dieser Kompromiß zwischen den evangelischen und katholischen Feudalherren als weltpolitisches Ereignis. In einem religiösen Konflikt wurde eine politisch-rechtliche Lösung gefunden, ohne daß die umstrittene Frage nach dem wahren Glauben entschieden werden mußte. Die verfeindeten Konfessionen wollten friedlich, gewaltfrei zusammenleben. Nicht Theologen hatten das erreicht, sondern Politiker.

    Kein Wunder, daß die Politik heute, 450 Jahre danach, noch immer Grund zum Jubeln sieht. "Jauchzet Gott in allen Landen", die Bach-Kantate umrahmt musikalisch die Gedenkfeier im Rathaus zu Augsburg mit Bundespräsident Horst Köhler.

    Die gespaltenen Christen dagegen haben wohl kaum Anlaß zum Jauchzen. Der Augsburger Gottesdienst von heute mit den beiden kirchlichen Repräsentanten, Kardinal Lehmann, dem Vorsitzenden der katholischen Bischofskonferenz und Wolfgang Huber, dem Vorsitzenden des Rates der Evangelischen Kirche, zeigt zwar, daß sich die getrennten Christen mehr und mehr angenähert haben. Doch die Glaubensspaltung selbst besteht weiter.

    Jauchzet Gott in allen Landen? Zumindest 1555 war in deutschen Landen die Begleitmusik leiser. Schon der Reichstag selbst, der fast neun Monate lang über die Religionsfrage beriet, lief ungewöhnlich schlicht ab, ohne den gewohnten Pomp. Die Öffentlichkeit nahm kaum Notiz vom Schlußdokument. Erst die Nachwelt erkannte seine historische Bedeutung.
    Die hat es in der Tat. Das Luthertum war neben dem Katholizismus als Religion anerkannt, aber die gegnerischen Lager wollten nicht mehr mit Waffen aufeinander losgehen. Das Vertragswerk hat zwei Dreh- und Angelpunkte:

    "Erster Punkt. Die Religionseinheit in Deutschland wird aufgegeben. Die Territorialherren erhalten das Recht, eine der beiden Konfessionen für ihre Untertanen festzulegen. "

    40 Jahre später wird dieses Prinzip in die lateinische Formel gegossen: Cuius regio - eius religio (Wer ein Land beherrscht, bestimmt auch dessen Religion).
    Damit war der Grundstein gelegt für die deutsche Konfessionskarte. Noch heute sind zum Beispiel Bayern und Münsterländer eher katholisch, Sachsen und Berliner eher evangelisch.

    "Zweiter Punkt. Zwar leben die Untertanen weiterhin unter Glaubenszwang. Sie müssen ja die Religion annehmen, die der Landesvater vorschreibt. Gleichwohl erhalten sie einen kleines Maß an Gewissensfreiheit: Wer mit der Religion des Herrschers nicht einverstanden ist, darf auswandern."

    Dem einzelnen wurde also die Möglichkeit freier religiöser Entscheidung zugestanden - der erste Schritt zur späteren allgemeinen Gewissensfreiheit in religiösen Dingen. So gesehen war der Augsburger Religionsfriede der Aufbruch zu allgemeiner Toleranz, zu einer interkulturellen Vielfalt ohne Gewaltanwendung.