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Aufbruchstimmung in Myanmar

Bis vor Kurzem war Myanmar isoliert und wegen seiner Menschenrechtsverletzungen international geächtet. Doch der neue Präsident Thein Sein scheint ein Reformer zu sein. Der Westen reagiert positiv darauf. Allerdings sprechen nicht alle Anzeichen für einen politischen Frühling im Land.

Von Sascha Zastiral | 26.11.2011
    In Myanmar, dem früheren Burma, herrscht in diesen Tagen Aufbruchstimmung wie schon lange nicht mehr. Aung San Suu Kyis "Nationalliga für Demokratie" hat erst am Freitag beantragt, wieder formell als politische Partei zugelassen zu werden. Wenn vermutlich Anfang 2012 Nachwahlen für rund 50 Sitze im Parlament des Landes abgehalten werden, dürfte Demokratieführerin Suu Kyi als Kandidatin antreten. Damit würde die Politikerin, die wegen ihrer Überzeugungen jahrelang in Gefangenschaft verbracht hat, über Nacht zur Oppositionsführerin des Landes aufsteigen.

    Der Westen reagiert positiv auf die Entwicklungen, die Burmas Präsident Thein Sein in den vergangenen Monaten vorangetrieben hat. Davon zeugt nicht nur der geplante Besuch von US-Außenministerin Hillary Clinton kommende Woche: Auch Barack Obama hat auf dem Ostasiengipfel vergangene Woche in Bali betont, dass die USA die Reformen in Burma begrüßen. Jahrzehntelang, sagte Obama, seien die USA besorgt gewesen, weil die Militärherrscher den Menschen in Burma ihre grundlegenden Rechte verweigert hätte. Er fügte hinzu:

    "Jedoch haben wir nach Jahren der Finsternis in den vergangenen Wochen Anzeichen für Fortschritt aufflackern gesehen. (...) Wir möchten die mögliche historische Gelegenheit für Fortschritt ergreifen. Und klarstellen, dass Burma – wenn es weiter den Weg demokratischer Reformen geht – eine neue Beziehung zu den USA schmieden kann."

    Und tatsächlich haben die Entwicklungen der vergangenen Monate viele Beobachter verblüfft. So hat die Regierung angekündigt, Gewerkschaften zuzulassen und erwägt offenbar sogar, zukünftig Demonstrationen zu erlauben. Einige ausländische Fernsehsender, die lange in Burma verboten waren, dürfen heute ausgestrahlt werden. Zudem hat die Regierung erst kürzlich 230 politische Gefangene – manche von ihnen nach Jahrzehnten – aus der Haft entlassen.

    Besonders überraschend war eine Entscheidung, die Präsident Thein Sein im Oktober getroffen hat: Er ließ den Bau eines umstrittenen, von China finanzierten Staudammes im Norden stoppen. Der Damm solle nicht "gegen den Willen des Volkes gebaut werden", erklärte Thein Sein damals.

    Vor wenigen Wochen trafen sich dann auch Thein Sein und Aung San Suu Kyi zu einem Gespräch. In einem Interview mit der britischen BBC sagte sie vor wenigen Tagen dazu:

    "Ich weiß nicht, wie es mit anderen Mitgliedern der Regierung ist, aber ich denke, dass der Präsident ein guter Zuhörer ist. Und das nicht nur in bestimmten Fragen. Er scheint ein guter Zuhörer zu sein!"

    Jedoch zeugen einige Vorfälle aus der jüngsten Zeit davon, dass Burmas autoritäre Vergangenheit noch nicht vorbei ist. Erst kürzlich hat ein Gericht in Rangun einen ehemaligen Soldaten zu zehn Jahren Haft verurteilt. Er soll in einem Artikel, der im Ausland erschienen ist, die Armee kritisiert haben. Ein freier Mitarbeiter des Exil-burmesischen Fernsehsenders Democratic Voice of Burma, der im vergangenen Jahr zu acht Jahren Haft verurteilt worden ist, wurde zu weiteren zehn Jahren verurteilt.

    Und noch immer befinden sich die meisten der etwa 2000 politischen Gefangenen des Landes in Haft. Die geplante Freilassung weiterer politischer Häftlinge Anfang vergangener Woche haben die Behörden im letzten Moment gestoppt. Möglicherweise haben die Hardliner um Ex-Diktator Than Shwe die Freilassungen verhindert. Vielleicht möchte sich die Regierung mit den Gefangenen auch nur weitere Zugeständnisse vom Westen erkaufen.

    Zudem haben sich die bewaffneten Auseinandersetzungen mit ethnischen Milizen in den vergangenen Monaten drastisch verschärft. Benjamin Zawacki, Burma-Forscher der Organisation Amnesty International:

    "Die Situation ist zwiegespalten. In gewissen politischen und wirtschaftlichen Fragen hat sich die Lage in bescheidenem Umfang verbessert. Die Veränderungen sind sicher qualitativ, aber auch begrenzt. In den Gegenden, in denen ethnische Minderheiten leben, haben sich die Menschenrechtsverletzungen hingegen wesentlich verschlimmert. In mehreren Gegenden sind die bewaffneten Auseinandersetzungen entweder von Neuem aufgeflammt oder sie haben sich verschärft. Generell kann man sagen, dass Mitglieder ethnischer Minderheiten zum Ziel der burmesischen Armee geworden sind."

    In zahlreichen Berichten aus den Konfliktgebieten ist die Rede von wahllosen Morden, Vergewaltigungen und Vertreibungen durch burmesische Soldaten.

    Das wirft die Frage auf, ob der Westen nicht zu schnell auf Burma zugeht. Immer mehr Staaten, die Sanktionen über Burma verhängt haben, denken inzwischen darüber nach, diese aufzuheben. Einige EU-Staaten – unter ihnen auch Deutschland – können es offenbar gar nicht erwarten, mit dem verarmten aber rohstoffreichen Land ins Geschäft zu kommen.

    Benjamin Zawacki von Amnesty International hält den Weg der kritischen Annäherung, den die USA eingeschlagen haben, für sinnvoller:

    "Die Europäische Union geht viel engagierter und wesentlich unkritischer auf Burmas Regierung zu als die USA. Die USA halten bei ihrem Austausch mit der Regierung in Burma an ihrer Doppelstrategie fest. Der Besuch von Hillary Clinton demonstriert dies am deutlichsten, ist es doch der erste Besuch eines US-Außenministers in 50 Jahren. Aber Washington hält auch den Druck auf die Regierung aufrecht."