Donnerstag, 18. April 2024

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Auferstanden als Ruine

Lückert: Der Bildhauer Arno Breker wurde in Wuppertal geboren, unweit vom Wilhelm-Dörpfeld-Gymnasium, das nun eine seiner Statuen, nämlich die lebensgroße Figur der Pallas Athene wieder aufstellen will. Wieder muss man sagen, weil im letzten Frühjahr, vermutlich im Zusammenhang mit Protesten gegen den Irakkrieg die Skulptur von unbekannten Randalierern beschädigt wurde. Nun hat die Schulkonferenz entschieden, und die Stadt wird diesem Entschluss vermutlich folgen, die Statue wieder aufzustellen. An den Kunstexperten Walter Grasskamp die Frage, wie dieser Entschluss zu beurteilen ist, ist das ein Weg, eine Art Frieden zu schließen mit der ungeliebten Kunst?

Walter Grasskamp im Gespräch | 28.06.2004
    Grasskamp: Zunächst einmal muss man sagen, dass es sich bei Arno Breker um einen ausgemachten Schurkenkünstler handelt. Ich pflege nicht die Wortwahl des gegenwärtigen amerikanischen Präsidenten, aber in diesem Fall scheint sie mir Wert, angebracht zu werden auf eine Künstler, der völlig gewissenlos, skrupellos, rücksichtslos eine Karriere unter einem absolut unmenschlichen, totalitären Regime verfolgt hat und dabei auch zugesehen hat, wie die Leute, die ihn in seiner Frühzeit gefördert haben, also zum Beispiel der jüdische Händler Alfred Flechtheim emigrieren mussten und ihre Existenz ruiniert wurde. Das ist kein harmloser Künstler und man kann ihn auch nicht harmlos reden. Ich habe ein bisschen den Eindruck, als wolle man sich in der Verlegenheit, in die man jetzt gebracht worden ist durch den vandalistischen Anschlag, der nicht meine Sympathien hat, aus dieser Verlegenheit herausreden und das ist nicht so einfach. Wir haben es zwar nicht mit einem Auftragswerk der Nazis zu tun, aber der Fall ist nicht viel einfacher, denn es ist ein Nachkriegswerk, wäre es ein Vorkriegswerk oder ein, genauer gesagt ein Werk aus dem Frühwerk von Arno Breker, könnte man darüber anders diskutieren. Die erste Frage, die sich ja schon stellt, ist, warum 1957 in Wuppertal das Werk eines solchen Künstlers aufgestellt worden ist und der Grund, dass er in der Nähe geboren wurde, der kann ja wohl nicht ausreichend sein, um diese, sagen wir ruhig, Reinwaschungsaktion vorzunehmen, die im Übrigen ein Wuppertaler Journalist, Christian Sawisch, vor Jahren mal genauer untersucht hat, wobei er feststellte, dass der Nazikünstler Breker 1957 überhaupt nicht im Mittelpunkt der Diskussion stand sondern sozusagen nur der brave, internationale anerkannte, anscheinend international anerkannte Lokalmatador.

    Lückert: Zwei Frage stellen sich nun, auch diese Athene ist nicht auf den ersten Blick eine Skulptur der Nazikunst, sie ist ja eher schlank und zurückhaltend, wenn sie jetzt nicht von Breker wäre, wäre sie vielleicht einfach eine langweilige Skulptur, die man vergessen könnte, wenn sie einmal zerstört wäre. Also, die alte Frage: Kann man Werk und Künstler trennen?

    Grasskamp: In dem Fall würde ich sagen, auf gar keinen Fall. Und es ist auch nicht so, dass man sagen könnte, es sei keine Nazikunst. Es ist eine Nazikunst, die durch die Zeit der Lebensmittelkarten gegangen ist, die Schlankheit dieses Nachkriegsklassizismus ist nicht eine des Einsehens, einer der künstlerischen Reifung über eine Vita, die durchaus eine größere Reflektion verdient hätte, sondern sie ist ein Verlegenheitsklassizismus, für den Breker ja einen großen Markt hatte, übrigens bis in die achtziger Jahre hinein, wo er dann wieder seine Handschrift änderte und so eine Art plastischer Schönheitschirurg für prominente Auftraggeber geworden ist. Das Schulkollegium, das sich damit redlich herumplagt und soweit ich die Beschlüsse gelesen habe, das auch in vieler Hinsicht diskutiert hat, tut sich natürlich keinen Gefallen, genauso wenig wie der Stadtrat oder die mit der Sache Beauftragten von Seiten der Stadt, zu behaupten, dies sei keine kriegerische Plastik. Ich meine, wo haben die Leute denn die Augen? Diese Frau trägt einen Speer und sie trägt einen Helm und damit geht man nicht in die Bibliothek. Zu sagen, dass sei die Göttin der Weisheit und der Künste unterschlägt, dass sie in erster Linie und das steht in jedem Handbuch der antiken Mythologie, an erster Stelle die Göttin des Krieges war.

    Lückert: Nun ist die Skulptur aber beschädigt worden bei diesem Anschlag im letzten Jahr und sie soll auch nicht repariert werden, das nennt man wohl Patina, wenn sie dann ohne Schwert und Schild da steht. Wie sehen Sie das als Kunstkritiker?

    Grasskamp: Es ist, sagen wir es andersherum, viele zeitgenössische Künstler, die im öffentlichen Raum arbeiten, geben sich damit zufrieden oder wollen es sogar selber, dass ihre Figuren nicht auf Ewigkeit stehen sondern temporäre Interventionen sind für eine abschätzbare Zeit von 20 oder 30 Jahren oder vielleicht von einigen Wochen und Monaten. Man könnte das auch aus dem Gesichtspunkt betrachten, muss etwas, was aufgestellt worden ist, auch ständig stehen bleiben oder wieder aufgestellt werden. Angesichts der zeitgenössischen Kunst ist das überhaupt keine Verpflichtung mehr und angesichts des Werkes von Arno Breker und seiner absoluten Uneinsichtigkeit, die oft auch die Uneinsichtigkeit mancher Auftraggeber der Nachkriegszeit gewesen ist, gibt es hier überhaupt keinen zwingenden Grund. Die Kombination, das jetzt wieder aufzustellen und mit einer Schrifttafel zu erklären, ist eine Lösung, mit der ich mich durchaus anfreunden könnte, ist keine schlechte Lösung. Allerdings, was man, glaube ich, unterschätzt, ist, in dem Fall hängt alles von der Schrifttafel ab und wenn ich das sehe, was bisher zu dem Bescheid der Wiederaufstellung geschrieben worden ist, da graust es mich jetzt schon, wenn das vom Schulkollegium oder der Stadtverwaltung selbst gebastelt wird. Hier wäre dann auch mal der Auftrag zu verteilen an einen Schriftsteller, der in der Lage ist, so etwas zu machen, das hätte ich, sagen wir mal, Heinrich Böll zugetraut oder vielleicht Günter Grass, dass er so eine Schrifttafel hinbekommt. Hier kann man nur davor warnen, dass der gute Wille alleine reicht, das kann doppelt peinlich werden.

    Lückert: Der Kunsthistoriker Walter Grasskamp über die Bemühungen Brekers Athene in Wuppertal wieder aufzustellen.