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Aufgeblähter Bundestag
Lammert will das Wahlrecht ändern

Der Bundestag könnte nach dem geltenden Wahlrecht auf 700 oder mehr Sitze anwachsen, sagt Bundestagspräsident Norbert Lammert. Um eine zu starke Vergrößerung des Parlaments zu verhindern, will er die Regelungen ändern. Doch beim Wahlrecht geht es um Machtfragen - daher gibt es auch Widerstand gegen die Pläne.

13.04.2016
    Umbau im Bundestag nach der Wahl 2013
    Umbau im Bundestag nach der Wahl 2013 (imago stock & people)
    Lammert möchte in einem reformierten Wahlrecht künftig eine Höchstgrenze festgelegt wissen, die etwa der jetzigen Anzahl von Sitzen entspreche, teilte der CDU-Politiker mit. Eine "Kappungsgrenze" könne bei der aktuellen Abgeordnetenzahl 630 liegen, aber auch etwas darunter oder darüber. Direkt gewonnene Mandate müssten aber auf jeden Fall erhalten bleiben.
    Seit 2013: Ausgleichsmandate für Überhangmandate
    2013 trat die jüngste Änderung des Wahlrechts in Kraft, im Zentrum standen damals wie heute die sogenannten Überhangmandate. Diese entstehen, wenn eine Partei über direkt gewählte Vertreter in den Wahlkreisen mehr Mandate bekommt, als ihr nach der prozentualen Verteilung von Zweistimmen zustehen würden. Um diesen Effekt aufzufangen, einigte sich der Bundestag auf Ausgleichsmandate. Der Parteienproporz nach Zweitstimmen wird so sichergestellt.
    Zuvor war die Praxis der Überhangmandate ohne Ausgleichsmandate lange problemlos gewesen, das Bundesverfassungsgericht erklärte sie 1998 noch für verfassungskonform. Doch nachdem immer mehr Parteien in das Parlament eingezogen waren, konnten die Überhangmandate den Wählerwillen verfälschen. Viele Überhangmandate könnten bei einem knappen Wahlausgang theoretisch entscheidend sein - auch zu Gunsten einer Partei, die nach Zweitstimmen gar nicht stärkste Kraft ist. Bei der Bundestagswahl 1998 erhielt die SPD beispielsweise 13 Überhangmandate, 2009 hatten die Unionsparteien 24 davon.
    2008 erklärte das Bundesverfassungsgericht das damals gültige Wahlrecht daher für verfassungswidrig und mahnte eine Änderung an. Die damalige schwarz-gelbe Koalition setzte 2011 eine Änderung durch, die das Bundesverfassungsgericht 2012 wiederum als unzureichend zurückwies. Und so einigte sich das Parlament parteiübergreifend auf die Reform mit den Ausgleichsmandaten, die bei der Bundestagswahl 2013 erstmals Anwendung fand. Nur eine Fraktion stimmte damals gegen die Reform: Die Linke.
    Linke befürchteten schon 2013 einen zu großen Bundestag
    Diese begründete ihr Stimmverhalten mit dem Hinweis auf eine Schwachstelle: Das neue Wahlrecht kann zu einer massiven Vergrößerung des Bundestages führen, kritisierte die Partei. Die Abgeordnete Halina Wawzyniak klagte damals, dass es "eine verfassungsgemäße Alternative zu diesem Modell gibt, die mit großer Wahrscheinlichkeit nicht zu einer Vergrößerung des Bundestages führen würde".
    Die damals geäußerten Bedenken der Linken haben sich nun bestätigt. 630 Abgeordnete sitzen zurzeit im Bundestag, 32 davon sind Überhang- oder Ausgleichsmandate. "In Modellrechnungen werden 700 und mehr Mandate für möglich gehalten, angewandt auf Wahlergebnisse der Vergangenheit ergeben sich bis zu 671 Mandate", schreibt Lammert in seiner Mitteilung. "Es wäre gut, wenn es einen Mechanismus gäbe, der das begrenzen könnte." Lammert sagte zudem, dass sich die Funktionsfähigkeit des Parlaments mit wachsender Anzahl der Sitze nicht verbessere. Deshalb habe der Gesetzgeber 1996 die Sollgröße des Bundestages eigentlich auf 598 Mitglieder festgelegt.
    Eine entsprechende Passage im Grundgesetz könnte laut Lammert wie folgt ergänzt werden: "Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages werden in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl nach den Grundsätzen einer mit der Personenwahl verbundenen Verhältniswahl gewählt." Damit würde weder die Höhe der Mandatszahl noch der Sperrklausel von derzeit fünf Prozent im Grundgesetz stehen, dies sollte dann per Bundesgesetz näher bestimmt werden.
    Bundestagspräsident Norbert Lammert am 13. April 2016 in Berlin
    Bundestagspräsident Norbert Lammert am 13. April 2016 in Berlin (dpa / picture-alliance / Kay Nietfeld)
    Bundestagswahlrecht

    Eine detaillierte Erklärung zum aktuell gültigen Wahlrecht hat der Bundestag unter diesem Link veröffentlicht. Auch die Bundeszentrale für politische Bildung liefert Antworten auf Detailfragen zum Wahlrecht.
    Grüne fordern Reform, lehnen Lammerts Vorschlag aber ab
    Der Bundestagspräsident schreibt, weil für eine Verfassungsänderung Zweidrittel-Mehrheiten in Bundestag und Bundesrat notwendig seien, hätten kleinere Parteien auch Einfluss auf das Verfahren. "Für mich gehört das Wahlrecht zu den Dingen, die man möglichst im Konsens gestaltet und möglichst auch im Konsens ändert."
    Ein Konsens ist allerdings noch nicht in Sicht. Katrin Göring-Eckardt nannte Lammerts Vorschlag "parteipolitisch gefärbt". Die Grünen wollten ein Wahlrecht, in dem jede Stimme gleich viel wert ist, sagte Göring-Eckardt. Ihre Partei hätte Vorschläge gemacht, die aber allesamt bei der Union nicht auf Gegenliebe gestoßen seien. Allerdings sagt auch sie: "Eine Wahlrechtsreform ist angesagt, damit es nicht zu einer Aufblähung des Bundestages kommt."
    Zu den Erfolgsaussichten seines Vorstoßes noch vor dem Ende bis 2017 laufenden Wahlperiode äußerte sich Bundestagspräsident Lammert zurückhaltend. Immerhin sei "mit unterschiedlicher Begeisterung" eingeräumt worden, dass sein Vorschlag ein ernsthafter sei. "Wir haben noch ein ganzes Jahr Zeit", die Reform noch in dieser Legislatur sei also möglich.
    (nch/am)