Donnerstag, 18. April 2024

Archiv


Aufklärung, die sich rechnet

Kritische Theorie, provokante Sachbücher, große Werkausgaben, Lyrik und Krimis: In 30 Jahren hat sich der zu Klampen Verlag immer wieder neu erfunden. Längst zählt er zu den rührigsten Independents der Republik.

Von Nils Kahlefendt | 27.09.2013
    Im August 1983 tankte Deutschland erstmals bleifrei und die von Helmut Kohl postulierte "geistig-moralische Wende" ließ grüßen. Wer damals ein Buch "Zur Aktualität der Marxschen Theorie" veröffentlichte - und dafür eigens einen Verlag gründete! - schielte offenbar nicht nach dem Zeitgeist. Geschieht das Ganze dann weder in Berlin noch in Frankfurt, sondern im beschaulichen Lüneburg, reibt man sich vollends verdutzt die Augen. Für umtriebige Philosophiestudenten wie Dietrich zu Klampen, Rolf Johannes und Gerhard Schweppenhäuser war Lüneburg Anfang der Achtziger eine Insel der Seligen: Man las tatsächlich noch ganze Bücher, um danach leidenschaftlich zu diskutieren; Professoren wie Christoph Türcke oder Schweppenhäusers Vater Hermann, der noch bei Horkheimer und Adorno promoviert und als Assistent am Frankfurter Institut für Sozialforschung gearbeitet hatte, machten die Pädagogische Hochschule in der niedersächsischen Provinz zu einer kleinen Hochburg der Kritischen Theorie. Ein Businessplan war für zu Klampen und seine Freunde das Letzte, an das zu denken war, wenn die Beiträge einer Ringvorlesung in schauerlichem Blocksatz zwischen Buchdeckel gebracht wurden.

    "Uns ging es tatsächlich - so pathetisch das heute klingt - um Aufklärung. Wir haben gedacht: Das, was wir hier lernen, von diesen geistigen Kapazitäten, das müssen wir in die Welt tragen. Das war richtig ein aufklärerischer Gedanke. Wir haben uns nicht die Frage gestellt: Ach, womit können wir uns denn jetzt unser armes Studentenleben am besten finanzieren? Waffenhandel? Prostitution? Verlagswesen? Und haben dann das Lukrativste genommen... Nein, wir haben uns einfach nur gedacht: Das probieren wir aus! Wir wollen etwas zur Aufklärung beitragen. Na ja. Und dass sich daraus ein 30 Jahre alter Verlag entwickeln würde, das haben wir uns damals nicht geträumt."

    Ein Buch pro Semester, das bleibt zunächst die Taktzahl. Zu Klampen selbst geht nach absolviertem Lehramtsstudium für zwei Jahre als Sozialarbeiter auf die Büsumer Werft, bevor er sich 1989 entschließt, ganz auf die Verlegerei zu setzen. Ein Jahr gibt er sich; seine Frau, als Zeitungsredakteurin in Lohn und Brot, hält ihm den Rücken frei.

    "Nach einem Jahr habe ich mich hingesetzt und gesagt: Liebe Ehefrau, jetzt habe ich herausgefunden, dass man mit diesem Verlag Geld verdienen kann: wenn Du mich noch zehn Jahre finanzierst. Da allerdings hat sie mir einen Vogel gezeigt. Und hat gesagt, das könne ich mir abschminken."

    Der Zufall kommt den Verlegern zu Hilfe. Lüneburg ist zwar seit 1989 Universitätsstadt - was fehlt, ist eine Universitätsbuchhandlung. In diese Lücke springen zu Klampen und sein Kompagnon Rolf Johannes mit ihrer Neugründung Uni-Buch. Ein Schritt, den sie bis heute nie bereut haben.

    "Ich bin eigentlich sehr, sehr froh, dass wir sowohl einen Verlag haben als auch eine Buchhandlung. Weil es viele Verlagskollegen gibt, die nicht so genau wissen, was eine Buchhandlung drückt. Und es gibt viele Buchhändler, die gar nicht so genau wissen, was einen Verlag eigentlich so drückt. Und beide Seiten dieser Medaille kennenzulernen, hat mir jedenfalls immer sehr viel genützt."

    Schritt für Schritt wird das Verlagsprogramm um Philosophie, Gesellschaftstheorie, Zeitgeschichte und Politik erweitert. Wobei zu Klampen stets klar ist, dass sich ein Unternehmen nicht allein mit sperrigen Sachbüchern über Wasser halten lässt. Ein erstes Achtungszeichen über den engen akademischen Zirkel hinaus gelingt mit der Herausgabe der "Werke in Einzelausgaben" von Soma Morgenstern. Morgenstern, ein ostgalizischer Jude, der lange in Frankfurt und Wien lebte, eng mit Joseph Roth und Alban Berg befreundet war und den Nazis in buchstäblich letzter Minute ins amerikanische Exil entkommen konnte, hatte stets auf Deutsch geschrieben – kaum etwas davon war hierzulande publiziert worden. Elf Bände eines in Deutschland nahezu unbekannten Autors auf den Markt zu bringen: ein Kraftakt. Dem kleinen Verlag bringt die publizistische Großtat die Anerkennung des Feuilletons – und nach einem Anruf bei Sigrid Löffler eine Empfehlung im "Literarischen Quartett", dem wirkungsvollsten Gratis-Werbetrailer, über den die Branche damals verfügt.

    "Wir waren komplett platt. Denn: Es war die einzige Rubrik im 'Literarischen Quartett', die den Verlagen eben NICHT vorher bekannt gegeben wurde. Sondern es war der Zufall, dass wir sie angerufen haben. Und einen Tag vor der Sendung haben wir erfahren, dass das empfohlen wird. Und wir haben es nicht mehr geschafft, alle vorhandenen Bücher in die Barsortimente zu transportieren. Sondern wir hatten ein Lieferloch, sozusagen. Denn es ist natürlich sofort die Nachfrage in die Höhe geschnellt - aber wir waren nicht schnell genug. Heute wüssten wir, wie es geht."

    Mit Soma Morgenstern wagte man sich erstmals aufs Feld der Literatur, seitdem wurde immer wieder neu an- und ausgebaut. In der von Anne Hamilton, einer begnadeten Netzwerkerin, herausgegebenen Essay-Reihe veröffentlichen Autoren wie Gustav Seibt, Martin Mosebach oder Henning Ritter – spannende Seiten-Stücke, die – wie im Fall von Manfred Kochs Lob der "Faulheit" – dem Verlag hin und wieder einen kleinen Bestseller bescheren. 2007 hat zu Klampen die vom hannoverschen Postscriptum Verlag übernommene Lyrik-Reihe abgeschlossen, seit 2003 gehören auch Regional-Krimis zum Programm - ein Türöffner bei den großen Buchhandlungsketten vor Ort.

    "Unsere bestverkauften Kriminalromane spielen auf der Insel-Festung Wilhelmstein im Steinhuder Meer. Die ist nicht groß! Da wohnen auch nur zwei Leute, nämlich der Insel-Vogt mit seiner Frau. Und trotzdem ist das verkauft worden wie die Wilde 13. Warum? Weil das sozusagen ein Kriminalroman mit historischen Unterwander-Stiefeln war!"

    Spannungsromane mit unmissverständlichen Titeln wie "Schweinetango" oder "Über den Deister" helfen dann schon mal bei der Finanzierung von Projekten der Kategorie ‚verlegerischer Wahnsinn’. Christoph Wackernagels furiose Traumtrilogie "es" ist so ein Buch: 600 Seiten im A-3-Format, dreispaltig gesetzt, digital gedruckt und handgelumbeckt, erschienen zum 60. Geburtstag des 1977 wegen Mitgliedschaft in der RAF zu einer langjährigen Haftstrafe verurteilten Schauspielers. Ein Mann, der in den Untergrund gegangen war, der Gewalt abgeschworen hatte und sich den eigenen Lebenslügen in einem schmerzhaften Prozess stellt – diese Geschichte wollte zu Klampen immer schon lesen. Als Wackernagel ihm eines Tages einen riesigen Papierstapel auf den Tisch knallte - "hier ist Dein Buch über die RAF!" – musste er doch schlucken.

    "Denn es war ganz klar: Das wird ein Fünf-Kilo-Hammer! Den man nicht für 19.80 Euro anbieten kann. Denn: Wenn man so ein Buch rausbringen will, dann braucht das diese Größe, sonst kann man die Dreispaltigkeit nicht lesen. Und im Grunde waren wir vollkommen verzweifelt. Aber dank der großartigen Unterstützung einer Druckerei aus dem Nachbardorf - die BookFactory in Bad Münder - haben wir es geschafft, mithilfe modernster Technik im Drucken und ganz althergebrachtem Buchbinder-Handwerk, in kleinen Stückzahlen dieses ungeheure Buch auf den Markt zu bringen."

    Ob Schwergewichte wie Wackernagel oder die von Friedrich Forssman gestaltete Ausgabe der Schriften des Philosophen Ulrich Sonnemann: Bei zu Klampen bemüht man sich um schöne, sorgfältig gemachte Bücher – ohne die Herausforderungen der digitalen Revolution aus dem Blick zu verlieren. Fast jede Neuerscheinung und große Teile der Backlist sind auch im elektronischen Format erhältlich – viel verdient wird damit freilich noch nicht.

    "Wir befinden uns im Bereich des E-Book-Marktes im Trainingsanzug und laufen uns warm. Wir machen nichts anderes als vorbereitende Maßnahmen für den Fall, dass es richtig losgeht."

    Die Dialektik von Peripherie und Zentrum, ein Kreis schließt sich. Vor zehn Jahren zog der Verlag aufs Land. Dietrich zu Klampen, der mit seiner Familie auf dem Hermannshof bei Springe untergekommen war, genießt heute die Vorteile des kurzen Dienstwegs: wenige Treppenstufen unter den Dachgiebel statt stundenlanger Autobahn-Quälerei. Der Hermannshof, einst pittoresker Landsitz eines Industriellen, ist heute eine lebendige Künstlerenklave zwischen alten Pappeln und jungen Apfelbäumen. Zwar trägt der Verleger keine Gummistiefel, dennoch fordert das Landleben gelegentlich Tribut.

    "Manchmal ist es ein bisschen anstrengend. Weil, man sitzt gerade in einer Besprechung oder telefoniert - und sieht: Oha! Auf der Straße läuft ein Schimmel! Dann muss man schon mal sagen: "Entschuldigen Sie, ich muss mal später zurückrufen!", hinterherlaufen, den Schimmel wieder einfangen. Und ihn dem Bauern wiedergeben. Das kann schon mal vorkommen. Kommt aber auch nicht häufig vor."

    Wer von den beiden munter krähenden Hähnen im Verlags-Signet auf die interne Streitkultur schließt, ist schief gewickelt. Mit Kompagnon Rolf Johannes, der in Lüneburg die Stellung hält, verbindet zu Klampen noch immer eine enge Freundschaft – das größte Geschenk, das man in der Verlagsarbeit haben kann. Und – die Kritische Theorie? Dass sie sich weltweit durchsetzt, würde auch der stets schlagfertige Dietrich zu Klampen nicht behaupten. Immerhin: Die gleichnamige Zeitschrift erscheint im 19. Jahrgang, eben ist ein Auswahl-Doppelband in China herausgekommen. Und solange ein kleiner Indie-Verlag Herbert Marcuses Schriften in Lizenz von Suhrkamp übernimmt, um sie in einer wohlfeilen Kassette wieder zugänglich zu machen, besteht wohl Hoffnung. Von Midlife-Crisis keine Spur!

    "Also, wenn sich die Midlife-Crisis schon mit 30 einstellt, dann ist es schlecht für die Individuen. Sie sollte sich erst mit ... nach 45 einstellen. Dafür haben wir noch 15 Jahre. Ich bin aber eigentlich extrem wohlgemut. Weil ich weiß, dass viele kleinere Verlage überhaupt erst nach 30 Jahren Existenz ihren vollkommen überraschenden Bestseller gelandet haben. Und da wir in dem Sinn noch keinen überraschenden Super-Bestseller hatten, gehe ich fest davon aus, dass man erst 30 werden muss, bevor das klappt."