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Aufklärung lässt sich nicht verordnen

Die Ächtung von Nazi-Symbolen ist hierzulande kein Thema mehr. In Italien eigentlich auch nicht. Bis der Justizminister beim Thema "Holocaust-Leugnung" vorpreschte - und den heftigen Widerspruch von Historikern erntete.

Von Thomas Migge | 24.01.2007
    " Auf Initiative einer Reihe von Persönlichkeiten der italienischen Geschichtswissenschaften habe auch ich mich dazu entschieden, dieses Manifest zu unterzeichnen. Man kann historische Aufklärung von oben herab nach unten nicht diktieren. Vor allem angesichts von Leuten, die felsenfest von ihrer Interpretation der historischen Wirklichkeit überzeugt sind, die sie mit pseudowissenschaftlichen Belegen zu beweisen suchen. "

    Der Historiker Gabriele Ranzato hat ein Manifest unterzeichnet, um ein Gesetzesprojekt von Justizminister Clemente Mastella zu Fall zu bringen. Mastella will wahrscheinlich schon am kommenden Samstag dieses Projekt im Parlament präsentieren. Ziel des Ministers ist es, zukünftig das Leugnen des Holocaust und anderer nationalsozialistischer bzw. faschistischer Greueltaten unter Strafe zu stellen. Mit seinem Gesetz sollen bereits existierende rechtliche Bestimmungen ausgeweitet werden: so ist seit Kriegsende das Tragen faschistischer Symbole in Italien verboten. Ein Verfassungsparagraph untersagt die Gründung neofaschistischer Parteien. Und doch gibt es solche Parteien, schon seit 1948. Auch die entsprechenden Symbole sind in Italien an der Tagesordnung. So ist es durchaus möglich, Mussolinibüsten aus Gips an Tankstellen zu erwerben. Ein Winzer in Nordostitalien vertreibt unbehelligt seinen Wein mit Etiketten, auf denen Hitler und Mussolini abgebildet sind. Minister Mastella will mit dem strengen Verbot der Holocaust-Leugnung diesem, wie er es nennt, "Gesetzes-Wischiwaschi" ein Ende machen. Doch 200 Historiker, darunter die bekanntesten Namen der italienischen Geschichtswissenschaft, bezeichnen in einem in der Tageszeitung "la Repubblica" veröffentlichten Manifest dieses Verbot als unsinnig.

    Dazu die römische Historikerin Anna Bravo:

    " Die Gründe für so ein Gesetz sind an den Haaren herbeigezogen. Unsere italienische Nachkriegsgeschichte lehrt uns doch, dass das Verbot neofaschistscher Symbole und Äußerungen nichts fruchtet. In unseren Fußballstadien gehört es doch zur Tagesordnung, dass der faschistische Gruß benutzt wird, und niemand wird deshalb rechtlich belangt. Warum man mit diesen Dingen bei uns so lasch umgeht ist unklar."

    Zu den Unterzeichnern des Manifests gehören illustre Namen der italienischen Geschichtswissenschaft, wie zum Beispiel Carlo Ginzburg, Ernesto Galli della Loggia oder auch Marcello Flores.

    Einige der Historiker befürchten, dass die Deutschen ihre Ratspräsidentschaft innerhalb der EU dazu mißbrauchen könnten, ihr schlechtes historisches Gewissen über ganz Europa auszubreiten. Als Überreaktion wird die Forderung nach einem europaweiten scharfen Gesetz gegen Holocaust-Leugner und andere ultrarechte Sympathiekundgeber kritisiert. Die Exportweltmeister aus deutschen Landen sollten nicht auch noch ihre Schuldgefühle ausführen. Vor allem nicht nach Italien, wo Gesetze nie viel Wirkung zeigten. Auch dann nicht, wenn sie bestimmte politische und historische Äußerungen verbieten.
    Anna Bravo:

    " Wir müssen uns dazu entscheiden, unsere antifaschistische Werte wiederzuleben. Das heißt auch den Wert des freien Meinungsaustausches. Wir wollen niemandem etwas verbieten, wir wollen uns mit der anderen Seite auseinandersetzen. Nur so ist es uns möglich, mit den Fakten, den konkreten Fakten, bestimmte Überzeugungen als irrig zu überführen. Ein Verbot macht aus Holocaust-Leugnern nur Märtyrer der ultrarechten Klientel."

    Dem Protest gegen das Gesetz schließen sich auch viele italienische Juden an. Darunter auch Elio Toaff, ex-Oberrabbiner von Rom und eines der angesehensten Mitglieder der jüdischen Gemeinde.

    Toaff ist davon überzeugt, dass die Verneinung des Holocaust die Verneinung des Evidenten bedeute und dass wer so denke, nicht strafrechtlich verfolgt, sondern psychotherapeutisch behandelt werden müßte. Auch die italienische Vereinigung der Überlebenden des Holocaust steht dem Gesetzesprojekt skeptisch gegenüber, denn, fragt Piero Terracina von der Vereinigung Überlebender zu Recht: wer will die Einhaltung eines solches Gesetzes kontrollieren, wenn es schon jetzt nicht gelingt, die Einhaltung des Verbotes faschistischer Symbole und Parteien durchzusetzen.