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Aufmüpfige Jugend

Ein Theaterabend - zwei Dramen und viel rebellische Jugend: Das war das Rezept für den Spielzeitauftakt am Centraltheater in Leipzig: Dort gab es "Die Räuber" von Friedrich Schiller und "Vatermord" von Arnolt Bronnen im Doppelpack.

Von Hartmut Krug | 17.09.2010
    Schillers "Die Räuber", in denen das Brüderpaar Franz und Karl Moor auf ganz unterschiedliche Weise versucht, gegen die Vätergeneration zu rebellieren, wird auf deutschen Bühnen meist als aktueller Kommentar zum jeweiligen Zeitgeist der Jugend inszeniert.

    Regisseur Martin Laberenz liefert mit seiner pausenlosen, fast dreistündigen Inszenierung in Leipzig keinen Kommentar. Er zeigt keine Haltung zum Text, sondern benutzt ihn für ein Basteltheater. Das heißt, er schüttet ihn mit einer Fülle beliebiger Spielideen zu. Alles, was im sogenannten Regietheater in Mode war und ist, wird benutzt. Da wird mächtig mit Melonen gematscht, wird lange mit herunter gelassen Unterhosen herumgehoppelt und ein Gespräch zwischen Franz und dem von einer Schauspielerin gespielten Spiegelberg wird zu einem wilden, heftigen Beischlafgerangel veralbert, an dessen Ende Franz an seinem Schwanz über die Bühne gezogen wird.

    Amalia raucht viel, zerdeppert Stühle zu einem Song der Sex Pistols und erklärt, Liebe sei der Wunsch, zu vögeln und gevögelt zu werden. Schließlich liefert sie sich einen Streit mit dem alten Moor, bei dem das Blut spritzt und Körperteile abgebissen werden. Man zeigt sich in klassischen Kostümen, aber auch in den obligatorischen langen, schwarzen Ledermänteln. Oft wird Marx zitiert, revoltieren die Räuber doch aus materiell egoistischen Motiven. Einmal steht ein lebendiges Pferd kurz herum, Karl ballert mit der MP, und der alte Moor ist eine Karikatur, deren Darsteller die Figur und ihre Texte sprachlich und gestisch verschrillt.

    Ohnehin fungieren die Figuren und Situationen vor allem als Gaglieferanten. Sicher, alles ist irgendwie bezüglich und deutbar, aber es bleibt dabei auf äußerliche Wirkung bedacht. Das Ganze ist entfesselt einfallsloses Regietheater (der Spiegel-Autor Lottmann, der gegen solch Theater polemisierte, kommt auch vor). Zeit, sich mit Schillers Sprache und den schauspielerischen Mitteln seiner Darsteller zu beschäftigen, hatte der Regisseur wohl nicht. Es werden nicht unpsychologische Mittel souverän und bewusst eingesetzt, wie es in deren guten Zeiten an der Berliner Volksbühne geschah, sondern hier wird nur aufgedreht gehampelt und gedröhnt. Insgesamt stellt sich die Inszenierung nicht ihrem Autor: Schiller wird erbärmlich verkreischt und verplärrt, verlautbart und aufgesagt, nicht dekonstruierend, sondern aus inszenatorischer und schauspielerischer Hilflosigkeit.

    Nach der Pause ist für Arnolt Bronnens "Vatermord" eine Kleinbürgerhaushaltslandschaft aufgebaut, und die Zuschauer blicken aus der Höhe des Rangs auf sie herab. Der alte Moor tritt mit dem Gruß seines Sohnes Karl an die Vaterlandserde an die Rampe, dann krabbelt eine fünfköpfige Familie über alle Schränke durch ihren monotonen Alltag, bis der Freund des Sohnes Vater, Mutter und Töchter erschießt. Darauf wandert das Publikum auf die Hinterbühne zum Kleinbürgerhaus. Dort fügt der alte Moor an einer Nähmaschine Horror- und Alltagsbilder aus deutscher Geschichte seit dem Dritten Reich aneinander und projiziert sie über die Bühne.

    Auch die Inszenierung von Robert Borgmann wirkt zusammengenäht, sie ist mehr dramaturgische Fleißarbeit denn eine Inszenierung. Der Regisseur montiert in das expressionisch übersteigerte Stück Bronnens, das bei der Rebellion des Sohnes auch Homosexualität und Inzest durchtobt, eine Fülle von literarischen Zitaten. In einer Konstruktion mit Vater, Sohn- und schwulem Verführer ist Letzterer mal Mephisto, mal Gründgens und vielleicht auch Goebbels. Joseph Beuys sowie Rotkäppchen und der böse Wolf spielen mit, Goethe, Kleist, Hölderlin und Eichendorff werden zitiert, und die Liebesgeschichte zwischen Martin Heidegger und Hannah Arendt wird mit deren Briefen als Beispiel dafür gezeigt, wie Hassgefühle und Gegnerschaft aus familiären oder privaten Beziehungen ihre Entsprechung in deutscher Geschichte haben, - und wie Menschen unter gesellschaftlichem Druck stehen.

    Es geht um die Geschichte und das Individuum, um Hass, Krieg, Generationskonflikte und Verdrängung. Aber auch um Schönrednerei, wenn zum Beispiel Sohn Götz über seinen Vater Heinrich George redet. Für Deutschland stehen der Wald und die Romantik, weshalb sich alle singend mit einem Volkslied auf ein Caspar-David-Friedrich- Bild mit einem Baum im Schnee setzen. Es ist viel drin in diesem dramaturgischen Konstrukt. Doch wie bei den Räubern ist auch hier von inszenatorischer Form und darstellerischer Differenziertheit wenig zu sehen und zu hören.

    Dieser sechsstündige Doppelabend ist vor allem ein Beispiel dafür, wie eine jüngere männliche Regisseursgeneration bei ihrem intellektuellen Gedankentheater, da sie festen Geschichten mit psychologisch entwickelten und sich entwickelnden Figuren nicht mehr traut, keine sinnliche Darstellungsform mehr findet.

    Informationen:
    Centraltheater Leipzig