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Aufräumen in Echtzeit

Passanten, die eine Straße Überqueren. Kein sonderlich einfallsreiches Motiv für ein Buch. Im Zusammenhang mit dem Titel Aufräumen stellen sich allerdings schnell Assoziationen her zu Amoklauf, Gewalt, Strömen von Blut, Pumpgun. Zumal, wenn nahegelegt wird, Aufräumen als auf-räu-men zu lesen. Doch Aufräumen ist nicht das Drehbuch zu einem Film, den Quentin Tarantino nie gedreht hat. Aufräumen ist ein Text, der mit Motiven der Pulp Fiction die innere Stimme eines Mannes erzeugt, der gewaltig in der Krise steckt.

Von Thomas Palzer | 21.05.2008
    Dobler: "Ein Mann räumt auf oder: Ich muss mein Leben mal aufräumen."

    Der neue Roman des Augsburger Schriftstellers Franz Dobler mit dem Titel Aufräumen schildert die Krise eines Mannes, der zu alt ist für Rock'n'roll und zu jung, um zu sterben. Der in prekären, scheinselbständigen Verhältnissen lebt und spürt, dass er damit vielleicht nicht mehr allzu lange durchkommt. Ein Mann, der den Namen Beat oder Beat trägt. Das passt.

    Beat beerbt die Figur des Flaneurs aus dem 19. Jahrhundert. Er ist hauptberuflich Müßiggänger. Im 20. Jahrhundert ist aus dem Müßiggänger die Figur des Zuhälters oder Drogendealers hervorgegangen. Siehe Quentin Tarantino.

    Franz Dobler führt die Figur wieder auf das zurück, was sie ausmacht: Literatur. Unangestrengt und pointiert.

    Beat hält sich gerade so über Wasser. Er kellnert im Heaven, schreibt gelegentlich Musikkritiken und beliefert einen Pornoproduzenten mit Ideen.

    Auf dem Cover von Aufräumen ist Beat oder Beat im Anschnitt zu sehen: am Tisch eines Straßencafés, die Zigarette wippt nervös zwischen den Fingern.

    Beat ist eine romantische Figur. Ein ferner Nachfahre des Taugenichts.

    "Das ist schon mal die Frage: Wie man ihn ausspricht - Beat oder Beat? Die Hauptperson in dem Buch, mit Schweizer Ursprüngen - aber es spielt natürlich mit beidem."

    Beat geht langsam, er hat sein Jackett ausgezogen und über die Schulter gelegt, er sieht aus wie einer, der seine Mittagspause nicht quatschend auf einem Stuhl verbringen will, sondern mit einem lockeren Gang, man sitzt doch ohnehin viel zu viel, etwas Bewegung tut gut, ein Einzelgänger wahrscheinlich, kennt sich aus im französischen Kino und so.

    Der Roman schildert vierundzwanzig Stunden aus dem Leben von Beat. Vierundzwanzig Stunden. 24. Wir kennen die amerikanische Fernsehserie über eine Antiterror-Spezialeinheit, die das Format Echtzeit eingeführt hat. Vierundzwanzig hier, 24 da - das passt zu Beat. Denn Beat findet in allem eine "Serie". Das ist seine Metaphysik. Metaphysik in trostloser Zeit.

    Auch Aufräumen spielt in Echtzeit. Als Bewusstseinsstrom. Lakonisch, witzig, rhythmisch, literarisch versiert.

    Anfangs beobachtet Beat eine Frau zufällig bei dem Versuch, eine Kiste in ihr Auto zu verladen. Die Kiste gleitet der Frau aus den Händen und verstreut ihren Inhalt über das Pflaster: Hunderte von Singles. Beat hilft der Unglücklichen beim Einsammeln.
    Er wie sie sind: Single.

    Schon wieder eine "Serie".

    "Man geht eben in unterschiedlichsten Zuständen so durch die Stadt, und es wechselt einfach von aufmerksam zu unaufmerksam. Wenn man aufmerksam eben durch die Stadt geht, dann fallen einem permanent Punkte auf, die sich mit dir selbst verbinden. Also das kommt ganz oft: Er sieht eine Person, und da macht es irgendwie klick und es verbindet sich mit irgendwas also nicht nur: die Person sieht so und so aus, mehr eben, eine ganze Umgebung."

    Wie ein Seismograph nimmt Beat die Aggressionen seiner Umgebung auf - etwa von einem in der Straßenbahn, bei dessen Anblick Beat sich fragt:

    Wie viel Ärger hat er zu bieten?

    Beats innere Stimme ist der fortgesetzte Kommentar dessen, was um ihn herum und was mit ihm selbst passiert. Dieser Kommentar, dieser stream of consciousness ist sich selbst transparent, ist sich seiner Literarizität bewusst. Das macht den großen Charme von Aufräumen aus.

    Aufräumen ist gewissermaßen die Mitschrift eines Selbsterschaffungsprozesses.
    Beat hängt über der Tastatur. Er will den Pornoproduzenten mal wieder mit Ideen beliefern. Aber ihm fällt nichts Gewünschtes ein. In Gedanken kündigt er dem Produzenten schon mal. Das weiß der bloß noch nicht.

    Etwas großes Fieses sollte er ihnen als letzte Arbeit hinwerfen, eine Szene, in der deutlich im Hintergrund eine ekelhaft fette Armut zu erkennen ist, die ihre kaputten, verbeulten, fleckigen Beine so breit macht, dass ein Existenzminimumpolitiker dazwischen verschwinden kann, zuletzt hängt nur noch sein zuckendes Bein heraus, das jemand absägt, um es in einen Kochtopf zu werfen.

    Beat bewegt sich durch die namenlose Stadt, als würde er verfolgt. Dabei ist es vor allem er selbst, der sich bei allem, was er tut, verfolgt - verfolgt m Sinne von: beobachtet. Er sieht sich gewissermaßen immer auch von außen durch die Straßen laufen. Aber er wird darüber hinaus tatsächlich verfolgt. Von Helfern des Pornoproduzenten. Denn dieser fühlt sich von Beat verpfiffen. Beat selbst ahnt von den Anschuldigungen nichts.

    Beat ist ein bisschen paranoid. Nicht nur, dass er sich verfolgt fühlt, ständig wittert er eine "Serie". Etwa: Dass ihm permanent alte Frauen begegnen. Oder die Zahlen vier und fünf in den unterschiedlichsten Kombinationen. Als 45er. Oder als: 54, dem Alter, in dem ihm von einem Traum der Tod prophezeit worden ist.

    Beat fragt eine alte Frau, bei der er immer Zigaretten kauft und die seine Marke einfach nicht behalten kann, wie lange sie das Geschäft denn schon führe. Und die alte Dame antwortet, logisch:

    Seit '54.

    Unentwegt überall Serien zu wittern, ist eben selbst eine Serie. Ist die Metaphysik eines Romantikers, eines traurigen Clowns, einer Chandleresken Figur, die dem unaufhaltsamen Verfall der Welt trotzt.

    "Es hat so mit dem Gefühl zu tun: Du gehst eine Straßen hinunter und hast den Eindruck: Alle Personen kommen auf Dich zu."

    Aufräumen ist ein Text, in dem Gangster nicht Jerry-Cotton-Gangster sind, sondern als Jerry-Cotton-Gangster wahrgenommene Gängster mit ä. Insofern ist Aufräumen Pop-Literatur, wenn dieser Begriff noch Sinn macht: Literatur, bei der die Wahrnehmung dessen, was geschildert wird, neben dem Text immerzu herläuft. Sozusagen Text mit Selbstbewusstsein.

    Auf der hinteren Umschlagseite von Aufräumen folgender Romanauszug - hier von Franz Dobler gelesen:

    "Das schöne alte Spiel: Beat nimmt die CDs, die auf seinem Bauch liegen, und zieht eine aus dem Stapel ohne hinzusehen. Vielleicht ergibt sich ein Hinweis auf die Zukunft. Aus dem schwarzen Cover springen ihn die Worte an: Entrance to the Exit. Und von der Rückseite leuchten ihm die Titel Murder, Death to Everyone, Babylon Is Burning ins Gehirn. Der seltsame Zufall spielt also perfekt mit, was bringen die nächsten Sekunden, eine Stimme in seinem Kopf, die glaubt, ihn herumkommandieren zu können? Und welcher Botschaft wird ihn das Amokbuch konfrontieren, wenn er es irgendwo aufschlägt? Er liest, was ihm als erstes ins Auge sticht: Geisteskranke werden nicht häufiger zu Gewalttätern als Geistesgesunde. Versucht irgendein etwas durch zufällige Botschaften Kontakt mit ihm aufzunehmen? Nur die Ruhe."

    Aufräumen ist wie ein Film von Quentin Tarantino. Allerdings einer, den dieser so noch nicht zustande gebracht hat.

    Franz Dobler: Aufräumen
    München 2008: Kunstmann