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Aufsteiger RB Leipzig
Motor und neue Identität für die Stadt?

Es ist schon jetzt eine beachtliche Erfolgsgeschichte der Bundesliga-Saison: RB Leipzig spielt im ersten Jahr ganz vorne mit. Zugleich hat ein Verein selten für solche Emotionen gesorgt. Von "Brause-Klub" bis zur neuen Hoffnung des ostdeutschen Fußballs ist alles dabei. Doch was bedeutet RB Leipzig für die Stadt Leipzig? Schafft der Klub Identität in der Stadt?

Von Johannes Schiller | 11.02.2017
    Sie sehen die Spieler von RB Leipzig. Sie liegen sich in den Armen.
    Als Aufsteiger sofort erfolgreich: RB Leipzig (picture-alliance / dpa / Jan Woitas)
    Heimspiel gegen Frankfurt. Das Stadion wie zuletzt immer ausverkauft, alle knapp 43.000 Plätze. Senioren, Männer, Frauen, Familien. Sie alle zieht es ins Stadion. Sie alle wollen Bundesliga-Fußball sehen. Der Verein ist jung, gerade mal acht Jahre alt. Vor vier Jahren spielte RB noch Regionalliga. Damals entstand auch die Fangruppe Fanatics, zu der Max gehört. Er freut sich über den Erfolg seines Teams. "Das ist auf jeden Fall gut für uns. Gut für den Osten. Man sieht ja, in Mitteldeutschland total populär. Wenn man das aus der Sicht von Leipzig sieht, ist es gut. In allen Bereichen."
    Der Verein ist Wirtschaftsfaktor. Restaurantbesitzer, Hoteliers, Taxifahrer – sie allen hoffen auf Einnahmen. Gerade jetzt, wo klar ist: RB spielt auch künftig an dem Ort, den Einheimische noch immer Zentralstadion nennen. Selbst wenn der offizielle Name längst Redbull-Arena lautet. Der Verein hat das Stadion vor kurzem gekauft, sich gegen den Neubau auf der grünen Wiese entschieden. Sehr zur Freude von Oberbürgermeister Burkhard Jung, der kurz vor Saison-Beginn von vielen neuen Jobs schwärmte. "Also wir rechnen ja nach wissenschaftlichen Studien bei Erstliga-Clubs mit Effekten auf den Arbeitsmarkt von ca. 3000 bis 8000. Wenn Sie so wollen: Der Aufstieg RBs ist die Ansiedlung eines großen mittelständischen Unternehmens."
    Leipzig war schon immer Fußballstadt
    Und das in einer Stadt, die ohnehin an allen Ecken boomt und Schlagzeilen macht: Schönste Innenstadt Deutschlands, Top-Reiseziel in der New York-Times, sprunghafter Zuzug von Einwohnern. Dazu passt für Jung die Erste Bundesliga. "Natürlich waren wir immer Fußballstadt! Gründungsort des Deutschen Fußballbundes. Erster Deutscher Fußballmeister. Das sind Faktoren, die selbstverständlich für die Stadt von enormer Bedeutung sind. Und nach Innen für die Identitätsbildung der Menschen, psychologisch überhaupt nicht zu unterschätzen sind."
    Die Managementhochschule HHL Leipzig hat versucht, den gesellschaftlichen Wert zu berechnen, den RB Leipzig für die Stadt hat. Dazu nutzte der Wirtschaftspsychologe Timo Meynhardt ein Modell, das zuvor schon beim FC Bayern eingesetzt worden ist. Kern der Studie: Der Verein bringt die Stadt voran, weil er den Erfolg über alles stellt und so deutlich wird, "dass die Wirtschaftsordnung der Marktwirtschaft wieder ein Erfolgsbeispiel vor Ort mit sich bringt. Dass in einer Stadt, die immer selbstbewusst war, die bürgerliche Kultur immer eine wichtige Rolle spielte, zu allen Zeiten, in allen Systemen. Und hier das Erfolgsmotiv, das unternehmerische Kalkül, auf eine Stadtgesellschaft trifft, die damit nicht nur etwas anzufangen weiß sondern die sich damit sogar wieder gestärkt fühlt."

    Blick über das Zentrum von Leipzig (Sachsen) am 30.09.2013. Die Messestadt war im Herbst 1989 Zentrum der Bürgerproteste in der DDR. Traditionell am 9. Oktober gedenkt die Stadt der friedlichen Revolution mit einem Lichtfest.
    Leipzig wächst immer mehr. (picture alliance / dpa / Hendrik Schmidt)
    Breite Unterstützung für RB in Leipzig
    Die Begeisterung, die ein Großteil der Menschen in der Region Leipzig für ihren neuen Bundesligisten verspürt, steht im Widerspruch zu Stimmen im Rest der Republik. Stimmen, die RB für ein Kunst-Produkt halten. Doch Meynhardt betrachtet das letztlich sogar als Stärke: "Man wirft RB Leipzig ja in der Regel ja mangelnde Verwurzelung vor. Retortenclub. Keine Tradition. Damit auch ein Kunstprodukt letztlich. Wir haben herausgefunden, dass dieser scheinbare Nachteil sich sogar als Vorteil erweist. Dieses Angebot, was der RB macht, letztlich durch Offenheit verschiedenste Menschen ins Stadion zu bringen, so lange Gewalt draußen bleibt, ist alles erlaubt. Ein sehr modernes, vielleicht sogar ein postmodernes Identitätsmodell."
    Der Jubel in Leipzig ist mächtig. Zuletzt erhielt der Verein den Tourismuspreis. Auch die Lokalpresse steht fest zu den "Roten Bullen". Kritiker sind selten. Aber es gibt sie. Mit ihrem Blog zwangsbeglueckt.de setzen Thomas Schmidt-Lux und seine Freunde ein Gegenprogramm zum RB-Rausch. "Unsere Mission ist die, nicht so ein Einheitsbild entstehen zu lassen von der Stadt. Im Sinne von: Die ganze Stadt steht hinter dem Verein. Es gibt nach wie vor Gruppen, die Anhänger anderer Leipziger Vereine sind und es gibt nach wie vor Gruppen von Leuten, denen das Ganze schlichtweg egal ist."
    Wenn der promovierte Soziologe Schmidt-Lux über RB Leipzig spricht, fallen Begriffe wie "Marketing-Instrument eines Brause-Konzerns". Dass das viele in der Stadt ausblenden und sich RB völlig unkritisch nähern, wundert ihn. "So zu tun, als gehöre das jetzt schon nach wenigen Jahren unveränderlich zur Stadt. Und als sei das unglaublich wichtig für die Stadt, würde Tausende Arbeitsplätze schaffen, würde das Image der Stadt weiter nach vorne bringen. Das ist in weiten Teilen mindestens übertrieben. Wenn nicht gänzlich erfunden. Also jetzt auch die Diskussion, ob das für den Osten wichtig wäre. Das ist auch unglaublich naiv, zu großen Teilen." Aber er räumt ein: Sportlich ist RB Leipzig ein Erfolg – zumindest im Moment.