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Aufstiegschancen

Drei Viertel der in einer Studie befragten Top-Managerinnen haben keine Kinder, weil ihre Arbeitszeiten "extrem ausgefranst" sind. Die radikale Verfügbarkeitserwartung vieler Unternehmen ist denn auch ein Grund, warum viele Frauen keine Führungsposition anstreben. Diese Karrieremechanismen müssen sich ändern.

Von Isabel Fannrich | 31.03.2011
    "Ich hab rechtzeitig Grenzen gesetzt. Das fing schon im Studium an, dass ich beispielsweise nicht wie meine Kommilitonen gesagt habe: Okay, ich nehme jetzt jede Vorlesung mit und bin möglichst lange an der Universität, sondern ich hab sehr stark selektiert: Das sind Veranstaltungen, da muss ich an der Uni sein, das sind Veranstaltungen, da kann ich zu Hause das Material aufarbeiten. Und so ähnlich war es nachher auch im Unternehmen, dass ich wirklich differenziert hab und gesagt hab: In dieses Meeting muss ich. Hier muss ich abends an der Telefonkonferenz teilnehmen, und hier ist es so, da ist es vielleicht nicht so wichtig."

    Margret Klein-Magar arbeitet im mittleren Management bei SAP in Heidelberg. Sie ist 46 Jahre alt, die Tochter längst aus dem Haus. Ihre Karriere war nur möglich, sagt sie, weil ihr Mann und sie immer wieder die Arbeit und die Kinderbetreuung neu aufgeteilt haben.

    Bei SAP, einem der international führenden Software-Anbieter, ist fast jeder dritte Mitarbeiter weiblich. Rund 18 Prozent des Managements liegen in Frauenhänden, in die obersten Führungsetagen haben es fast elf Prozent Frauen geschafft. Das ist vergleichsweise viel.

    Anders sieht die Lage in den meisten Großunternehmen aus. Wie stark Männer hier vor allem die oberen Posten beherrschen, weiß Elke Holst vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung. Seit Jahren untersucht die "Forschungsdirektorin Gender Studies" die 200 umsatzstärksten deutschen Unternehmen. Jetzt liegen die neuesten Zahlen auf dem Tisch:

    "Das wichtigste Ergebnis sind eigentlich die Veränderungen, nämlich die, dass kaum etwas passiert ist oder nichts passiert ist. Ich darf nochmal daran erinnern, dass in den Top-200-Unternehmen lediglich 3,2 Prozent der Vorstandssitze in den Händen von Frauen liegen, in den Top-100-Unternehmen nur 2,2 Prozent. Wenn Sie das in absoluten Zahlen messen, ist das natürlich eine vernichtend geringe Zahl. Wenn ich das einmal nennen darf, sind das 29 von 906 Sitzen, die in den Händen von Frauen sind. Und wenn wir jetzt in den Medien lesen, dass hier und dort mal eine Frau hinzu kommt, dann werden wir vielleicht 30, 40 haben, aber das ist immer noch eine verschwindend geringe Zahl."

    Bei SAP ist Frauenförderung nicht nur das Ergebnis der Firmenpolitik - die Frauen selber wachen darüber, dass die Männer nicht unter sich bleiben. Die Managerinnen haben sich in einem Netzwerk organisiert. Als Sprecherin der leitenden Angestellten kennt und vertritt Margret Klein-Magar ihr Anliegen:

    "Dass Frauen auch motiviert werden, sich darzustellen, das heißt visibel zu werden, so dass sie nachher, wenn Positionen zu besetzen sind, auch in Betracht gezogen werden. Oder lasst uns die Frauen motivieren, sich quasi auch zu melden und zu sagen: Hier, ich möchte gerne Verantwortung übernehmen. Weil häufig ist es so, was wir beobachten, dass Frauen hier etwas zögerlicher sind, etwas schüchterner und denken, man müsste doch schon sehen, dass sie gute Leistungen bringen und nicht so schnell die Hand heben wie Männer und sagen: Hmmh, dazu bin ich jetzt bereit. Das kann ich, und ich möchte mich jetzt auf die neue Position bewerben."


    Die weibliche Karriere ist derzeit in aller Munde. Während Politiker und Wirtschaftsbosse über die Frauenquote diskutieren oder diese von der Deutschen Telekom bereits eingeführt wird, nehmen Wissenschaftler wie Andreas Boes das Wechselspiel zwischen Frauen und Unternehmen in den Blick. Der Soziologe vom Institut für Sozialwissenschaftliche Forschung in München untersucht, wo die großen Betriebe Frauen den Weg an die Spitze ebnen - oder wo sie ihn blockieren. Er spricht von einer "historischen Entscheidungssituation", weil aktuell zwei Phänomene zusammen treffen:

    "Die Unternehmen stehen plötzlich regelrecht im Spotlight der Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit und von ihnen wird erwartet, dass sie etwas tun und nicht wie die letzten zehn bis 15 Jahre weiter zuwarten. Und das andere ist, in den Unternehmen findet eine tief greifende Veränderung statt, bei der Organisation, Arbeit, aber auch Führung so grundlegend gewandelt werden, dass auch neue Möglichkeiten und neue Chancen sich abzeichnen, die man jetzt nutzen kann."

    Im Fokus der Studie "Frauen in Karriere" steht der Karrieremechanismus zwölf moderner Großunternehmen der deutschen Elektro- und IT-Branche sowie der Bankenwirtschaft. Rund 200 weibliche und männliche Manager wurden befragt.

    "Faktisch ist es so, dass die Großunternehmen in Deutschland über Generationen das Thema Frauen eigentlich nie wirklich konsequent angegangen sind. Die einzige Ausnahme, die es hier gibt, sind bestimmte Bereiche des öffentlichen Dienstes und Unternehmen, die aus dem öffentlichen Dienst entstammen. Darüber hinaus gibt es traditionell eine geringe Befassung damit und faktisch ist es natürlich so, je wichtiger die Position ist und je höher das Gehalt in einer Position ist, desto geringer ist der Frauenanteil. Und in den Großunternehmen haben wir natürlich deutlich höherwertigere und besser bezahlte Positionen als beispielsweise im Mittelstand."

    Auch SAP war Teil der Untersuchung. Margret Klein-Magar fing hier vor rund 20 Jahren an - nach einem Studium der Informationswissenschaften, der Soziologie und Sozialpsychologie. Eine Führungsposition strebte sie damals nicht an.

    "Was mir wichtig war, als ich im Unternehmen damals anfing, waren einige Grundprinzipien. Ich wollte gern eine Arbeit haben, die mir Spaß macht. Ich wollte schon in einem Umfeld sein, wo ich viel mit Menschen zu tun habe. Und nach ein, zwei Jahren habe ich schon gemerkt, es macht mir sehr, sehr viel Spaß, Teams zu leiten. Also was mich getrieben hat, waren eher die Herausforderungen, und damit ist natürlich die Karriere gekommen."

    "Was wir wissen ist, dass in den letzten Jahren die Bedeutung von Ethik - also kann man im Beruf das tun, was man selbst ethisch für relevant hält - und die Bedeutung von Ansehen des Berufes, also welches Image hat die Tätigkeit, die ich ausübe, dass diese beiden Aspekte bei Frauen massiv zugenommen haben. Bei Männern haben sie übrigens im gleichen Zeitraum deutlich abgenommen, aber bei Frauen ist diese Bedeutung stark gestiegen. "

    Heinrich Wottawa ist Professor für Psychologie an der Ruhr Universität Bochum. Er hat in einer Langzeit-Studie rund 21.000 Hochschulabsolventen nach ihren Zielen und Qualifikationen befragen lassen. In einem Punkt sind sich die Männer und Frauen einig: In einem Ranking von acht beruflich relevanten Lebenszielen setzen beide den Spaß im Job an die oberste Stelle. Danach folgen Familie und der Kontakt zu Freunden.

    Vor allem die Unterschiede fallen ins Auge: So messen die jungen Männer Geld und Macht eine weit größere Bedeutung zu als ihre Altersgenossinnen. Diese wiederum interessieren sich besonders für ethische Werte und das Image des Berufs.

    Überraschend fanden die Psychologen im Verlauf der siebenjährigen Studie auch eine veränderte Einstellung zur Macht - bei beiden Geschlechtern:
    "Das Machtstreben nimmt tatsächlich bei beiden Geschlechtern stark ab, bei Frauen noch stärker wie bei den Männern. Es scheint gerade für Frauen so etwas wie ein inhaltsleerer Begriff, Macht an sich, keine wirklich positive Bedeutung zu haben."

    Wottawa hat mit Hilfe psychologischer Tests herausgefunden, dass Hochschulabsolventen immer weniger über jene Leistungsmerkmale verfügen, die besonders in Führungspositionen gefragt sind. Sowohl Männer als auch Frauen seien heute in geringerem Maße bereit, im Beruf Probleme zu lösen oder sich durchzusetzen. Sie seien weniger stressresistent und empfänden Konflikte als lästiger. Doch nicht nur das. Der Anteil derer, die nach der universitären Ausbildung Karriere machen wollen, sinkt, sagt der Wissenschaftler:

    "Da zeigt sich im Zeitverlauf, dass der potentielle Führungsnachwuchs sehr stark abnimmt, also insgesamt für beide Geschlechter zusammen von 27 Prozent der Hochschulabsolventen auf nur noch 20 Prozent, und dass diese Abnahme bei den Männern besonders stark ist, von 32 auf 23, bei den Frauen im Durchschnitt gesehen ist sie auch vorhanden, aber schwächer wie bei den Männern, von 23 zu 18. Das heißt die Vorgesetzten, die Recruiter, werden sich darauf einstellen müssen, dass sie noch viel mehr Anstrengungen brauchen, um aus den neu eingestellten Hochschulabsolventen im Laufe der Zeit ihren Führungskräftebedarf zu decken."

    Der Engpass beim Besetzen der Top-Stellen wird sich insbesondere in den Wirtschaftsunternehmen verschärfen, prognostiziert Wottawa. So zeigt seine Untersuchung, dass führungsstarke junge Frauen nicht nur ein juristisches oder naturwissenschaftliches Studium bevorzugen, sondern nach der Ausbildung lieber im öffentlichen Dienst als in der Wirtschaft arbeiten - und dort verstärkt Leitungsaufgaben übernehmen.

    Die Unternehmen müssen deshalb entscheidend dazu beitragen, die Frauen auf die Karriereleiter zurück zu holen, sagt auch Andreas Boes vom Institut für Sozialwissenschaftliche Forschung. Eine positive Veränderung sieht er darin, dass sie ihr Personal heute nach sachlicheren Kriterien auswählen. Anders als früher, wo der Abteilungschef vor allem den männlichen Nachwuchs förderte, können sich Frauen heute etwa mit Hilfe von Tests für eine Stelle oder Beförderung qualifizieren.

    Allerdings warnt der Soziologe vor einer Überbewertung moderner Einstellungskriterien:

    "Beispielsweise das Thema Durchsetzungsvermögen ist das wichtigste Thema bei allen Kriterien für die Managementauswahl. Demgegenüber ist das Thema Integrationsfähigkeit ganz selten ein Thema. Wir haben zwar sachliche Kriterien, aber praktisch führen genau diese sachlichen Kriterien wiederum dazu, dass in der Auswahl faktisch Männer gewissermaßen im Vorteil sind."

    Welche Rolle aber spielt in den Unternehmen eine Eigenschaft, in der die Frauen zu punkten scheinen: die kommunikative Kompetenz? In den vergangenen zehn Jahren hätten sich Führung durch Nähe, Coaching und Beziehungsmanagement sehr durchgesetzt, bestätigt Boes.

    Doch finde die Kommunikation nicht in einem herrschaftsfreien Raum statt, sondern in einer Konkurrenzsituation. Die Managerin muss sich mit ihrem Anliegen öffentlich zeigen, überzeugen und durchsetzen können. Macht sie dabei einen Fehler, muss sie teilweise vernichtende Kritik einstecken.

    "Und je höher man kommt, desto mehr muss man sich damit abfinden, dass man eine Alphamenschen-Kultur hat und wo man mit dem Ellbogen sich dann durchsetzen muss. Und da sagen tatsächlich sehr viele sehr qualifizierte Frauen: Also Kommunikation ja, aber diese Art Politik und diese Spielchen und dieses Sich-ständig durchsetzen-müssen und dieses Sich-ständig-unsachlich-kritisieren-lassen-müssen, das tu ich mir nicht an."

    Was Frauen von einer Führungsaufgabe aber besonders abhalte, sei die radikale Verfügbarkeitserwartung von Seiten der Unternehmen, beobachtet Andreas Boes. Dazu gehören in der globalisierten Arbeitswelt die Telefongespräche mit anderen Zeitzonen in den frühen Morgen- oder den späten Abendstunden. Jeder ist per Blackberry jederzeit zu erreichen. Der Chef schickt um 22 Uhr noch eine Mail mit der Bitte um Informationen für die Sitzung am nächsten Morgen. Die Arbeitszeiten seien "extrem ausgefranst". Dreiviertel der befragten Top-Managerinnen habe deshalb keine Kinder.

    "Ein bisschen Karriere geht nicht. Wenn man Karriere machen will, muss man absolut Prio A auf die Karriere setzen, und das nicht nur in den ein zwei Jahren, wo man den Karriereschritt machen will, sondern von Anfang an. Und auch, wenn man den Karriereschritt gemacht hat - das ist auch neu -, kann es auch passieren, dass es wieder Abwärtskarrieren gibt."

    Klein-Magar:

    "Wenn einem die Arbeit Spaß macht und man Herausforderungen liebt und auch das Gefühl hat, die Arbeit ist nicht nur da zum Geld verdienen, sondern ist auch eine Aufgabe, die mich erfüllt. Dann kann man auch sehr, sehr flexibel umgehen mit der Zeit, die man hat. Ob man sie jetzt in die Arbeit steckt oder in private Aktivitäten, sei es Familie, sei es Hobbys. Aber was nicht der Fall sein sollte, ist, dass diese Begeisterung für Arbeit so weit geht, dass man nichts anderes mehr tut."

    Damit nicht nur einige wenige Frauen von den Veränderungen in den Unternehmen profitieren, müssen diese ihre Karrieremechanismen grundlegend verändern. Die Wissenschaftler aus München und Bochum fordern etwa "eine neue Kultur der Teilzeit" für Führungskräfte. Von einer guten Kinderbetreuung und der Möglichkeit, spät Karriere zu machen, könnten Frauen, aber auch Männer, profitieren. Außerdem müssten die Mitarbeiter regelmäßigen "Potenzialanalysen" unterzogen werden - um sie im Einklang mit ihren Motiven, Zielen und der Persönlichkeit zu fördern.

    Nicht zuletzt sind die Frauen gefragt - unabhängig von einer Quote. Klein-Magar:

    "Was ich vielleicht anders machen würde oder auch andern Frauen raten würde, ist sich zu trauen, sehr frühzeitig von sich aus zu sagen: Hmmh, ich bin bereit, diese oder jene Herausforderung zu übernehmen, auch wenn man sich noch nicht so ganz sicher ist, ob man es schafft - deswegen ist es ja auch eine Herausforderung. Aber wirklich etwas mutiger zu sein, voranzutreten und zu sagen: Ja, das schaffe ich. Und ich würde das ganz gerne machen. Und dafür dann auch kämpft."