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Auftakt am Staatsschauspiel Dresden
"Schöne neue Welt" und "Wir sind keine Barbaren"

Von Hartmut Krug | 14.09.2014
    Obwohl Aldous Huxleys Horrorvision einer "Schönen neuen Welt" in seinem gleichnamigen Roman von 1932 in Details veraltet wirkt, findet man doch erschreckende Parallelen zu unserer Gegenwart: von neoliberaler Konsumpolitik bestimmt, werde Menschen in unbewusster, "alternativloser" Unmündigkeit gehalten.
    Huxley beschreibt ein Arbeits- und Lebenssystem, das den Menschen wahre Gefühle und Individualität nimmt. Durch Gentechnik, die die in Kasten eingeteilten Menschen künstlich herstellt und dabei so konditioniert, dass sie selbst ein Arbeitssklavendasein als befriedigend empfinden. Und die Droge Soma sowie die Pflicht zur exzessiven sexuellen Betätigung mit unendlich vielen Partnern ohne Kinderfolgen schafft Befriedigung.
    Am Staatsschauspiel Dresden erzählt zu Beginn in einer Filmeinspielung ein lehmverschmierter Verbannter von seinem Scheitern. John, dessen Erlebnisse dann nacherzählt werden, wird von den Urlaubern Lenina und Bernard in einem äußeren Reservat entdeckt, in dem sogenannte, auf natürlichem Wege entstandene Wilde leben. Die beiden Urlauber in der klinisch weißen Einheitskleidung der Zivilisierten sind zunächst geschockt vom Anblick von John und dessen heruntergekommener Mutter. Doch dann ist Bernard fasziniert vom Individualismus des in T-Shirt und Boxershorts mit Sternenbanner gekleideten John und nimmt Mutter und Sohn mit zurück in die Zivilisation:
    "Wer ist Miranda?"
    "Ich helfe Ihnen."
    "O Wunder. O wie schön die Menschheit ist. So herrliche Geschöpfe. Oh schöne neue Welt, die solche Wesen in sich trägt."
    "Es geht los, John. Es geht los."
    Noch viele weitere Shakespeare-Zitate neben diesem aus dem "Sturm" durchziehen die Bühnenfassung des Dramaturgen Robert Koall, wenn John ein Leben auch mit Leidenschaft, Unglück und Liebe einfordert. Roger Vontobels Inszenierung ist bestimmt von einer bühnenhohen Wand, von der herab der Live-Gitarrist Keith 0´Brian seine Klänge schickt. Vor allem aber dient die Wand als Projektionsfläche. Wie hier in faszinierenden Bilderfluten Spermien-Behandlung und künstliche Reproduktion gezeigt werden, bestimmt die Inszenierung mehr als die Schauspiel-Szenen. Erst am Schluss, als André Kaczmarczyks John mit dem Welt-Kontrolleur Mustapha Mond eine Grundsatzdiskussion über das Mensch-Sein führt, bekommt der Abend auch schauspielerisches Profil. Denn Christian Erdmann gibt dem Kontrolleur, der zwischen Sehnsucht und Einsicht in die Notwendigkeit argumentiert, eine wunderbar schillernde Aura.
    Auch die Premiere im Kleinen Haus des Dresdner Staatsschauspiels galt einem gesellschaftspolitischen Stück. In Philipp Löhles "Wir sind keine Barbaren" werden zwei benachbarte hippe Paare mit einem um Hilfe bittenden Fremden konfrontiert. Während das eine Paar den Fremden radikal abweist und dies mit allerlei reaktionären Klischee-Sprüchen begründet, nimmt Barbara vom anderen Paar den Fremden trotz des Unwillens ihres Mannes auf. Der Fremde, der Clint oder Bobo heißt und vielleicht aus Afrika stammt, ist für sie das Idealbild eines Unterdrückten. Zu sehen bekommt der Zuschauer diese metaphorische Figur nicht. Wie nach dem unterhaltsam komischen Smalltalk der Anfangsszenen sich die Konflikte zwischen den Paaren und Personen zuspitzen, das bündelt alle bekannten Haltungen gegenüber Immigranten. Es geht um Schuld- und Angstgefühle, um erotische Neugier, um Fremdenfeindlichkeit und Egoismus. Ein 13-köpfiger Heimatchor singt immer wieder sein Wir-Gefühl ins Geschehen:
    "Wir, das vollkommene Volk, brauchen Strom. Viel Strom.
    Aber keinen Flüchtlingsstrom.
    Wir können nicht mehr bei uns aufnehmen. (...)
    Echt. Sorry. Ist so."
    Regisseurin Barbara Bürk leitet ihre vier Schauspieler sehr schön zu überdrehtem Spiel. Wenn am Schluss Barbara ermordet und der Fremde als Mörder verurteilt ist, die angereiste Schwester von Barbara ihn aber für unschuldig hält, dann jagt der Chor die Schwester fauchend aus dem Haus. Dennoch: sicherlich war der Ehemann, der sich betrogen fühlte, der Mörder. So fügt sich in Löhles durchaus unterhaltsamen, aber mit seinen wahren Klischees allzu sicher hantierendem Stück alles so zusammen, wie es ein einverständiges Publikum gern hat.