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Auftakt eines kurzen Frühlings

Alexander Dubcek starb 1992 bei einem Autounfall, hinter dem den manche Stimmen heute noch ein Attentat vermuten. Nur wenige Tage später hätte Dubcek in Moskau als Zeuge aussagen sollen - über die Rolle der sowjetischen Führung bei der Niederschlagung des Prager Frühlings 1968. Seine eigene Rolle dabei begann heute vor 40 Jahren, als er die Führung der Kommunistischen Partei in der CSSR übernahm.

Von Doris Liebermann | 05.01.2008
    "Sozialismus mit menschlichem Antlitz", hieß der Traum, der die Tschechoslowakei vor 40 Jahren erfasst hatte. Genau am 5. Januar 1968 nahm dieser Traum reale Gestalt an: Um neun Uhr abends verbreitete der tschechoslowakische Rundfunk eine Meldung, die die gesamte Bevölkerung elektrisierte: Parteichef Antonin Novotny war entmachtet worden, mit ihm zusammen die einflussreichen Parteifunktionäre der stalinistischen Ära.

    Der Mann, der jetzt ans Ruder kam - Alexander Dubcek - war ein weitgehend unbekannter Kompromisskandidat, auf den sich das Politbüro geeinigt hatte. Von dem Slowaken schien keine Gefahr für die Nomenklatura auszugehen. Doch der ehemalige Maschinenschlosser, damals 46 Jahre alt, versprach einen völlig neuen Parteikurs: Abschaffung der Zensur, Reisefreiheit, freier Zugang zu den geheim gehaltenen Informationen über den stalinistischen Terror, der Millionen Menschen in der Sowjetunion das Leben gekostet hatte. Gebannt schaute die Welt nach Prag.

    "In der Nacht, als sie uns im Namen des Revolutionstribunals einsperrten, haben wir es noch geschafft, unseren Widerstand zu erklären, einen moralischen Widerstand gegen die militärische Gewalt. Wir haben den Bruch des Völkerrechts verurteilt und die Verletzung unserer Souveränität, mehr konnten wir nicht tun."

    Monate später. Die wohl schwerste Stunde im Leben des Alexander Dubcek. Tausende Panzer der Streitkräfte des Warschauer Paktes hatten am 21. August 1968 den Traum vom "Sozialismus mit menschlichem Antlitz" niedergewalzt. Als Dubcek seinen Landsleuten mitteilen musste, dass er die Kapitulation unterschrieben hatte, konnte er die Tränen nicht zurückhalten:

    " Wir haben beschlossen, keinen militärischen Widerstand zu leisten, um Zehn- oder gar Hunderttausende von Menschenleben zu retten. Glauben Sie mir, niemand auf der Welt hätte für uns einen Finger gerührt. Sie hätten uns im Blut ersticken können." "

    Ein Hauch von Abenteuer war Dubcek in die Wiege gelegt. Seine Eltern, slowakische Auswanderer in Amerika, waren 1921 in die Slowakei zurückgekehrt, wo Alexander kurz nach der Ankunft geboren wurde. Schon 1925 zog die Familie mit der slowakischen Arbeiter-Kooperative "Interhelpo" nach Kirgisien. Alexander, "Sascha" genannt, besuchte am Fuße des Tien-Schan-Gebirges russische Schulen und erlebte schon als Kind, was Stalinismus bedeutete:

    "Helden der Revolution, die wir bis dahin zu bewundern gelernt hatten, wurden plötzlich zu Verbrechern erklärt, vor Gericht gestellt und hingerichtet. In der Schule mussten wir ganze Seiten aus unseren Lehrbüchern herausschneiden, wenn sich die Wahrheit änderte, was oft über Nacht geschah."

    Aus Angst, ebenfalls verhaftet zu werden, kehrten die Dubceks in die Slowakei zurück, wo sie bald in die Wirren des Zweiten Weltkrieges gerieten. Alexanders älterer Bruder wurde von den Deutschen gefangenen genommen und standrechtlich erschossen, sein Vater in das KZ Mauthausen deportiert.

    Nach dem Krieg hatte Dubcek Aussicht, Direktor einer Hefefabrik zu werden und ein ruhiges, gesichertes Familienleben zu führen. Da bekam er das Angebot, in der Parteiverwaltung zu arbeiten. Seine Parteikarriere endete im April 1969, als er seinem slowakischen Landsmann Gustav Husák weichen musste. Nach einem kurzen Intermezzo als Botschafter in der Türkei wurde Dubcek 1970 aus der Kommunistischen Partei ausgeschlossen.

    Isoliert, kaltgestellt und vom Geheimdienst überwacht, durfte er schließlich in seinem alten Beruf als Maschinenschlosser in der slowakischen Forstverwaltung arbeiten. Ein "Schattenleben" nannte er diese Zeit später.

    "Wir sollen weitermachen in dem Kampf und der Welt zeigen, dass der Sozialismus mit menschlichem Antlitz keine Utopie bleiben muss."

    Im Herbst 1989 erlebte er noch einmal Euphorie und Begeisterung wie zur Zeit des "Prager Frühlings". Die Bürgerbewegung holte Dubcek nach Prag, er wurde Parlamentspräsident.

    Er fand seine politische Heimat bei den Sozialdemokraten, wurde 1992 Vorsitzender der slowakischen Sozialdemokratischen Partei und setzte sich für den Erhalt der Tschechoslowakei ein.

    Als Dubcek im November 1992 nach seinem schweren Autounfall starb, war die Auflösung des Landes jedoch schon beschlossen. Die formal noch existierende gemeinsame Republik konnte sich zu keinem Staatsbegräbnis entschließen, kein Tscheche redete beim Begräbnis: Dubcek wurde als Slowake beerdigt.