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Aus dem Leben eines Taugenichts

Ein arbeitsloser Vollalkoholiker, seine Kinder, die sich selbst erziehen, weil die Mutter abgehauen ist. Das klingt zunächst nach bitterer Darstellung einer präkären Familie. Aber in "Shameless" wird in einer ziemlich eigenwilligen Mischung aus realistischem Sozialdrama und Comedy erzählt. Jetzt ist die US-Serie auf DVD erhältlic

Von Christian Berndt | 23.07.2012
    Filmausschnitt:

    "Es behauptet ja keiner, dass unsere Gegend das Paradies ist, verdammt. Manche sagen sogar, dass Gott einen großen Bogen um unser Viertel macht. Wir fühlen uns hier aber wohl, ich und meine Kinder, auf die ich sehr stolz bin, denn jedes von ihnen erinnert mich ein bisschen an mich."

    Das würden seine Kinder allerdings bestreiten. Frank Gallagher ist alles andere als ein Vorbild. Die meiste Zeit verbringt er in der Kneipe, zuhause schläft er seinen Rausch aus. Währenddessen müssen die 6 Kinder, seit die Mutter abgehauen ist, alleine den chaotischen Alltag bewältigen:

    "Stromrechnung."
    "Klar."
    "Oh, Klassenausflug, ich brauche Dad's Unterschrift."
    "Wer hat das Telefon?"
    "Ich."
    "Wie viele Minuten haben wir noch?"
    "14."
    "Ich gebe nach der Schule Nachhilfe, ich könnte zehn zuschießen."
    "Super, hat Carl auch was rein getan?"
    "Du bist fast neu, Du musst langsam auch mal Deinen Teil abdrücken."
    "Genau, und einen richtigen Job annehmen und nicht nur den Klingelbeutel in der Kirche leer räumen."
    "Einer von euch muss Liam nehmen."
    "Ich schreib heute Mathetest."
    "Ich arbeite nach der Schule."


    Geld ist knapp, aber mit Pfiffigkeit und Diebstählen schaffen sie es irgendwie, und die 21-jährige Tochter Fiona managt die Familie als Ersatzmutter. Der Alltag der Gallaghers im sozialen Brennpunkt Chicagos wird mit viel skurrilem Humor, aber nicht weniger rauem Realismus erzählt. Armut, Alkoholismus und Gewalt gehören zum Alltag, aber auch ausgelassene Partys und heimelige Fernsehabende. Die amerikanische Serie "Shameless" orientiert sich nah am britischen Vorbild, der gleichnamigen, preisgekrönten TV-Serie von Channel 4, die mit drastischer Lebensnähe von einer Familie der Unterschicht in Manchester erzählt. Der Autor des Originals hat auch die US-Version mitproduziert. Paul Abbott wollte ein Milieu beschreiben, mit dem sich das Fernsehen sonst nicht ernsthaft beschäftigt, wie er im Bonusmaterial meint. Paul Abbott:

    "Die meisten Seifenopern spielen im Arbeitermilieu. Man tut so, als wäre das die niedrigste Gesellschaftsgruppe, die es gibt. Anspruchsvolles Drama wird dagegen nie in diesem Milieu angesiedelt."

    In amerikanischen Serien der letzten zehn Jahre ging es zwar oft um desolate soziale Verhältnisse und Familien. "Breaking Bad" oder "Weeds" erzählen von gut situierten Bürgern, die durch finanzielle Miseren abrutschen und kriminell werden. Meist ist der kriselnde Mittelstand im Focus, die Unterschicht taucht in der Regel nur als Bedrohungsszenario auf. Anders in der Serie "Shameless", die eine Welt zeigt, die Autor Abbott selbst kennt:

    "Die Inspiration für die Serie kommt von meiner eigenen Familie. Meine 16-jährige Schwester zog uns - wir waren acht Kinder - ohne Eltern auf. Sie war übrigens selbst schwanger, im neunten Monat mit 16. Wir wussten nicht, wie wir von außen gesehen wurden, die Art, wie wir lebten, war eine Welt für sich."

    Diese Innenkenntnis zeichnet "Shameless" aus. Im Gegensatz zum britischen Vorbild, das mit Darstellern in Jogginghosen und durchschnittlichem Aussehen authentischer wirkt, ist die amerikanische Version filmischer, ja amerikanischer angelegt. Hier sind die Figuren smarter, vielleicht teilweise ein wenig zu hübsch, aber sehr lebendig und mitreißend gespielt. Allen voran William H. Macy, der schon in Filmen wie "Fargo" und Magnolia" als melancholischer Verlierer glänzte und auch hier mit zerfurchtem Gesicht als charismatischer, aber oft schwer erträglicher Taugenichts beeindruckt:

    "Das Leben ist hart, das wissen wir alle, aber Geld verdienen ist härter, und ich kann auch nicht mehr rauskitzeln als möglich."
    "Hast Du eine Ahnung, wie viel wir jede Woche für Lebensmittel ausgeben?"
    "Zuviel, garantiert zu viel. Dann noch Gas, die Stromrechnung."
    "Das zahlen wir."
    "Ich hab mich nicht aus dem Staub gemacht, wie eure Mutter. Ich hätte euch einfach dem Staat überlassen können, euch sechs. Habe ich aber nicht."


    So sehr Frank nervt, so sehr hängt die Familie an ihm. Man hält eben zusammen. Von dieser Solidarität erzählt "Shameless" mit viel Witz, aber oft auch berührend: etwa als Lipp merkt, dass ausgerechnet sein jüngerer Bruder Ian, der unbedingt zur Army will, schwul ist:

    "Das sah jetzt ein wenig schwul aus, was Du gerade mit Deinen Augenbrauen gemacht hast. Achte lieber drauf.
    "Lass mich in Ruhe, okay?"
    "Ganz im Ernst, heißt das: Schwups in den Arsch? Hast Du Dich echt dran gewöhnt. Kann man sich überhaupt dran gewöhnen? Ich meine, der Verdauungsapparat ist doch von der Konstruktion her nur eine Einbahnstraße. - Und sonst nichts? So wie unsere Lungen nur da sind, um sie mit Rauch vollzupumpen?"


    Lipp ist anfangs zwar irritiert, steht seinem Bruder aber rührend bei. "Shameless" verklärt die Armut nicht, aber zeigt Stolz und Würde dieser Menschen, für die der Zusammenhalt einzige Überlebenschance ist. Als im Viertel ein Lebensmitteltransporter eine Panne hat, wird er wie in einem Dritte-Welt-Land von der Nachbarschaft geplündert. Zu diesen sozialen Hintergründen äußern sich die Macher der Serie im Bonusmaterial, leider sind - im Gegensatz zu den Dokumentationen - die englischen Audiokommentare nicht untertitelt. Dafür aber kann man "Shameless" auch im englischen Original mit deutschen Untertiteln sehen, was diese sehr sehenswerte Serie noch reizvoller macht.