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Aus dem Zeitalter der Röhrenjeans

Schelmenromane sind selten geworden. Bernd Imgrund jedoch hat ein solches Buch verfasst, "Quinn Kuul", ein Roman über die 80er Jahre. Das Buch soll der Altersschicht zwischen 68ern und Generation Golf eine Stimme verleihen.

Von Enno Stahl | 08.11.2007
    Was eigentlich waren die 80er Jahre? Auf jeden Fall eine Zeit, die seltsam unbekannt ist. Friedensdemonstrationen, Encounter-Seminare und Norwegerpullover - heute sind nicht nur Grünen-Politiker wenig geneigt, sich daran zu erinnern, geschweige denn, die Endzeit der alten Bundesrepublik als spezifische kulturelle Phase gelten zu lassen. Dennoch gab es sie, die Epoche, in der Röhrenjeans, Parka und Palästinensertücher Massenphänomene waren. Und was liegt näher, als sich diesem Thema einmal parodistisch zu widmen? Bernd Imgrund hat das jetzt getan, mit "Quinn Kuul" hat er eine gar nicht so unambitionierte Melange aus triefender Alltagsästhetik, politischer Allgegenwart und Öko-Gezausel vorgelegt, die er nicht zu Unrecht als "modernen Schelmenroman" bezeichnet. Was charakterisiert für Imgrund dieses Genre? In welche Traditionen schreibt er sich ein?

    "Der Schelm ist naiv, der Schelm ist ehrlich, dadurch entlarvend, was die Gesellschaft betrifft, in der er lebt. Und so sehe ich das bei Cervantes, so sehe ich das bei Grimmelshausen, und diese Figuren waren mir immer unglaublich sympathisch, und deshalb habe ich selber versucht, so eine zu schaffen, die dann allerdings in den 1980er Jahren lebt."

    Die Hauptfigur hört auf den etwas eigenartigen Namen Quinn Kuul, während die sonstige Personage im Setting der 80er Jahre ziemlich realistisch gezeichnet und völlig normal benannt ist. Wie kommt es zu dieser offensichtlichen Verfremdung?

    "Eine der faszinierendsten Figuren in der deutschen Literatur heißt Quirinius Kuhlmann, 17. Jahrhundert, sogenannte Barockzeit, ein Sprachkünstler und Mystiker, und Lebenskünstler und Verrückter, über den ich immer schon mal schreiben wollte. Ist mir nie gelungen, aber immerhin ist er jetzt in den Namen meiner Hauptfigur des Romans eingeflossen."

    Der Verlag bewirbt das Buch mit der Sentenz, es verleihe einer gewissen Zwischengeneration, jener Altersschicht zwischen 68ern und Generation Golf, eine Stimme. Inwiefern ist das so, und wieso haben die Erfahrungen dieser Generation bislang so wenig Ausdruck gefunden?

    "Die 1980er Jahre sind oft als unpolitisches Jahrzehnt bezeichnet worden, was ich, der ich dieses Jahrzehnt als Jugendlicher erlebt habe, natürlich nicht so empfinde. Es gab die großen Anti-Reagan-Demonstrationen in Bonn, es gab eine funktionierende Friedensbewegung und Anti-Atomkraft-Bewegung und so weiter, und so weiter. Und diese Vorwürfe kommen normalerweise immer von denen, die noch älter sind, also die 68er haben sich als politischer empfunden als alles, was danach kam. Dazu kommt natürlich, dass es das Popper-Jahrzehnt war. Damit wird vor allen Dingen die Frühzeit, die frühen 80er Jahre werden verbunden mit Schulterpolstern und Karottenhosen und Föhnfrisuren und so weiter.
    Ich habe die 80er Jahre natürlich auf der anderen Seite verbracht, nämlich bei den Rockern oder Wavern oder Post-Punkern, wie immer man sie benennen soll, und das war meines Erachtens auch die bewegtere, die weniger affirmative Gruppe der damaligen Jugend."

    In dem Roman wird sehr ausgiebig und sehr kenntnisreich die Welt der Arbeit, der wirklichen, schmutzigen Industriearbeit beschrieben. Wie ist Imgrund diese Innenbeschreibung eines Rußwerks, ja, auch der Proletariermentalität geglückt?

    "Ich habe in den 1980er selbst ein Jahr in der Fabrik gearbeitet, gleichzeitig war ich in einem Tischtennisverein, wo ich für Wochenspiegel-Heftchen den Pressewart gemacht habe. Gleichzeitig habe ich totalverweigert und mich mit Anarchismus beschäftigt und Dutzende von Straßenaktionen gemacht. Das ist also eine sehr heterogene Triangel, die ich befruchtend fand für einen Roman. Deswegen sind alle diese verschiedenen 'peer groups' eingeflossen."

    Tatsächlich markieren diese unterschiedlichen Welt- und Wahrnehmungsbereiche eine Stärke, aber vielleicht auch eine Schwäche des Buchs. Am beeindruckendsten ist sicher die Schilderung der Arbeitswelt, der zwischenmenschlichen Beziehungen der Arbeiter untereinander, und ihr Verhältnis zur Leitungsebene. Das ist ein Thema, das die deutsche Gegenwartsliteratur fast gänzlich ausspart, womöglich ein Grund dafür, dass man diese mitunter als steril, subjektiv und wirklichkeitsfern empfindet. Allerdings, die verschiedenen Motivbereiche, neben den Fabrikerfahrungen Quinn Kuuls etwa die "hohe Liebe" zur Supermarkt-Tippse Fräulein Sylvie, erscheinen in Imgrunds Roman nicht immer sinnfällig verwoben. Was waren seine dramaturgischen Beweggründe?

    "Nun, die Figur ist halt ein Arbeiter. Er ist halt auf seine skurrile Art ein Feind des Intellektuellen. Sehr geerdet. Gleichzeitig kommt er aber, das macht das Ganze kontrastreich, in eine Geheimdienstentwicklung hinein, lebt als einziger seiner Kollegen auch in der Stadt, geht in Kneipen, Szene und so weiter. Das fand ich ein ganz spannungsreiches Feld, einen Arbeiter dieser Szenewelt gegenüberzustellen."

    In der Tat ermöglicht das, weite Bereiche des urbanen Lebens zu Beginn der 80er Jahre literarisch zu rekonstruieren. Und als Altersgenosse Imgrunds kann man Autor und Buch bescheinigen, dass dies wirklich sehr gut gelingt, dass hier eine vergangene Zeit mit all ihrer intellektuellen Provinzialität zum Leben erweckt wird. Und das ist immer eine Leistung von Literatur, da sie uns damit unseren Wurzeln nahebringt und erklärt, auf welchen historischen Fundamenten wir stehen. Die eigenartige Undercover-Tätigkeit Quinn Kuuls zur Ausspähung des linken Spektrums ist jedoch nicht ganz einfach in Zusammenklang zu bringen mit dem Realismus der Arbeits- und Szenewelt

    "Nun, wie viele Schelmenromane lebt auch meiner von Parodie. Wer genau liest, erkennt, dass beispielsweise dieser Tjure, der als Wikinger verkleidete Terrorist, RAF-Sprache spricht, diese Staccato-Sätze, das wird parodiert. Gleichzeitig die Theater-Off-Szene, Thomas Bernhard, es gibt ein Kapitel über Kafka und so weiter. Nietzsche-Anspielungen noch und nöcher, das wird alles untergründig mittransportiert. Dass das alles aus dem Mund, aus der Sichtweise eines Unintellektuellen Proleten, Proletariers kommt, macht das für mich interessant, hat das für mich interessant gemacht beim Schreiben."

    Natürlich sollte man einem Schelmenroman, der mit Groteske und Überzeichnung arbeitet, solche Disparitäten nicht allzu stark ankreiden. Einiges jedoch wirkt auch unter dieser Maßgabe überzogen, da wäre weniger vielleicht mehr gewesen, etwa die terroristische Wikingergruppe, die sich nach "Wicki und den starken Männern" formiert hat. Zwar kommt so ein Aspekt der Populärkultur jener Zeit in den Blick, zwar bedürfte der deutsche Linksterrorismus unbedingt der Persiflage, aber die Gruppe der Flaker, die Imgrund hier schildert, ist so gar nicht ernst zu nehmen, dass man kaum glauben mag, es solle sich hier um echte Terroristen handeln.

    "Wie ernst wird heute die RAF genommen, wie ernst ist sie damals genommen worden? Wie ernst ist die Bewegung 2. Juni genommen worden, wie ernst wird sie heute genommen? Wenn man Bommi-Baumann-Zitate heute hört, klingt das für mich sehr nach Schelmenroman, obwohl die natürlich auch Leute umgebracht haben, ja. Das in Verbindung mit der Tradition der Kölner Stämme, in Köln gibt es ja Indianer und Mongolen und eben auch Wikinger, habe ich miteinander in Verbindung gebracht. Und natürlich hat das extrem parodistische Züge, genau wie die Hinleitung dann zur Wiedervereinigung, der deutschen Wiedervereinigung, in die diese Flaker dann halt involviert sind."

    Terrorismus und Karneval - das überspannt den metaphorischen Bogen ein bisschen, aber das sind Kleinigkeiten, vielleicht reine Geschmackssache, das Buch ist auf jeden Fall durchgehend amüsant zu lesen, und wie Imgrund bereits andeutete: es liefert eine neue Lesart der dunklen Hintergründe, die letztlich zur deutschen Wiedervereinigung führten. Und wer weiß, vielleicht steckt im der Groteske mehr Wahrheit als in dem, was die Zeitgeschichte kolportiert.


    Bernd Imgrund: Quinn Kuul
    Haffmanns Verlag bei Zweitausendeins, Frankfurt/M.