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Aus der Handschrift gelesen

Technik. – Schreiben ist eine in der westlichen Welt universelle Kulturtechnik. Dabei kann man die Handschrift noch zu anderen Zwecken brauchen als zur Informationsübermittlung, Stichwort Unterschrift. Regensburger Wissenschaftler wollen jetzt mit einem sensorgespickten Stift die Handschrift nicht nur zur Legitimierung sondern auch zur Identifikation und darüber hinaus zur Diagnostizierung von neurologischen Erkrankungen.

Von David Globig | 05.01.2007
    Die Idee für den Biometric Smart Pen kam Jürgen Kempf eines Morgens beim Frühstück. Der Regensburger FH-Professor für Mikrosystemtechnik grübelte gerade darüber nach, wie man Personen anhand von biometrischen Merkmalen eindeutig erkennen könnte. Warum, dachte er sich, stecken wir nicht einfach Sensoren in einen Kugelschreiber? Sensoren, die erfassen, wie ich den Stift halte und wie ich ihn bewege. Denn das macht jeder von uns völlig anders - und somit unverwechselbar. Jürgen Kempf überlegte, welche Messgrößen man dafür berücksichtigen müsste.

    "Wichtig sind Parameter, wie schnell man schreibt, der Beschleunigungseffekt ist sehr wichtig. Und eben die Kraftgrößen, mit denen ich den Stift halte. Das gibt Informationen über die Feinmotorik der Finger, das ist sehr wichtig. Dann sind die Neigungswerte des Stiftes sehr wichtig, weil sie insbesondere die Dynamik beim Schreiben erfassen."

    Gemeinsam mit Kollegen aus den Bereichen Elektrotechnik, Mathematik und Informatik entwickelte Jürgen Kempf einen Hightech-Kugelschreiber. Im vorderen und hinteren Teil des Stifts sitzen Ultraschallsender. Mit Hilfe von drei Empfängern außerhalb des Kugelschreibers erkennt das System auf einen Zehntelmillimeter genau, wo sich die Stiftspitze befindet und wie der Kuli geneigt ist. Messfühler an der Mine registrieren unter anderem, wie stark ich beim Schreiben aufs Papier drücke. Dem Regensburger Team wurde relativ bald klar, dass der Smart Pen nicht nur Personen an ihren Schreibbewegungen erkennen kann. Er lässt sich auch in der Medizin einsetzen. Bestimmte Krankheiten verursachen zum Beispiel ein Zittern, führen zu verlangsamten Bewegungen oder stören die Feinmotorik. All das kann der Stift erkennen. Professor Christian Hook, zuständig für die Software des Systems, nennt als Beispiel Parkinson:

    "Hier könnten wir zum Beispiel unseren Stift einsetzen, um objektivierbar, sagen wir also: neutral, eine Bewertung zu machen, ob ein parkinsontypisches Handzittern vorliegt - das nennt man den Ruhetremor. Oder ob das Zittern der Hand eine ganz andere Ursache hat, die sich durch eine ganz andere Form des Zitterns mit unserem Stift erfassen lässt."

    So kann auch ein zu niedriger Blutzuckerwert Zittern verursachen. Oder einfach das fortgeschrittene Alter eines Patienten. Dass ihr Stift so etwas tatsächlich unterscheiden kann, haben die Entwickler in einer Pilotstudie gezeigt. Parkinsonkranke und Personen ohne Parkinson bekamen Testblätter vorgelegt. Darauf: verschiedene Muster und vorgedruckte Wörter. Mit dem Smart Pen sollten die Versuchspersonen die Linien nachzeichnen. Ein angeschlossener Computer wertete anschließend die Daten der Stift-Sensoren aus: Wie schnell und präzise konnte eine Person den vorgegebenen Linien folgen? Wie stark hat ihre Hand schon auf dem Weg zum Papier gezittert? Mit Hilfe solcher Informationen war das System in der Lage einzuordnen: Parkinson oder kein Parkinson. Aber auch in anderen Medizinbereichen könnte der Stift zum Zuge kommen. Zum Beispiel um spezielle Psychopharmaka richtig zu dosieren. Der Grundgedanke dazu stammt aus den 50er Jahren, vom deutschen Psychiater und Neurologen Hans-Joachim Haase. Hook:

    "Der hat gezeigt, dass bei einer bestimmten Dosierung ein beispielsweise depressiver Patient oder auch Schizophreniekranke anfangen, ihr Schriftbild sehr stark zu verändern. Und seine Empfehlung lautet: Man solle anhand des Schriftbildes die Dosierung letzten Endes festmachen."

    Der Sensorstift könnte schon minimale Veränderungen im Schriftbild feststellen und dementsprechend früh vor einer Überdosierung warnen. Hier laufen ebenfalls erste Tests. Da dieses Prinzip auch bei anderen Medikamenten funktionieren dürfte, wollen die Regensburger Forscher ihren Stift so weit entwickeln, dass ihn jeder Patient bei sich zu Hause einsetzen kann. Ein spezieller Minicomputer könnte dann zum Beispiel eine grüne Ampel zeigen, wenn alles in Ordnung ist. Und eine rote, falls der Patient ein Arzneimittel nicht verträgt.